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"Tarifvertrag jetzt" lautete das Motto, unter dem die Gewerkschaft Ver.di die
Beschäftigten der sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen am 13.Februar in den Streik rief. Das war der
Auftakt für den bisher längsten Streik im öffentlichen Dienst in der Geschichte der Bundesrepublik.
Aber für die Unikliniken an Rhein und Ruhr galten besondere Bedingungen, deswegen traten sie auch früher in den
Streik als die anderen Landesbeschäftigten und hörten später auf. Im Jahr 2001 hatte die damals noch rot-
grüne Landesregierung von NRW die sechs Universitätskliniken zu "Anstalten des öffentlichen Rechts"
erklärt, was in diesem Fall wohl als Vorstufe zur Privatisierung zu verstehen ist. Denn durch diese Rechtsform bleiben
die Kliniken zwar in öffentlichem Besitz, müssen aber wie selbständige Firmen wirtschaften. Durch diese
Änderung fielen die Kliniken aus der Tarifbindung, da die verselbstständigten Betriebe nicht mehr zur
"Tarifgemeinschaft deutscher Länder" (TdL) gehörten, aber auch nicht selbstständig
Tarifverträge abschließen durften.
Per Rechtsverordnung legte die Landesregierung fest, dass die
Bestimmungen der mit der TdL geschlossenen Tarifverträge auch für die Universitätskliniken gelten soll, so
dass eine indirekte Tarifbindung entstand, die aber einseitig durch die Landesregierung geändert werden kann. Das Land
NRW benutzte also seine Rechtssetzungskompetenzen, um in seiner Eigenschaft als "Arbeitgeber" einseitig tarifliche
Bestimmungen erlassen zu können. Ver.di fordert seitdem einen auf gleicher Augenhöhe zwischen
"Arbeitgeber"- und Arbeitnehmervertretern ausgehandelten Tarifvertrag statt einseitiger Festlegungen durch die
"Arbeitgeber".
Das Problem verschärfte sich im Jahr 2004, als die
Länder die Regelungen im BAT zur Arbeitszeit sowie zu Weihnachts- und Urlaubsgeld kündigten. Für die
Altbeschäftigten galt zwar ein Bestandsschutz, aber allen nach dem 1.April 2004 eingestellten Arbeitern und Angestellten
wurden die gleichen Bedingungen diktiert, die auch allen Beamtinnen und Beamten aufgenötigt wurden: 41 Stunden
wöchentliche Arbeitszeit, kein Urlaubsgeld und nur noch die Hälfte des Weihnachtsgelds. Die Situation eskalierte
weiter, als im Oktober 2004 der neue "Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst" (TVöD) von Ver.di
nur mit dem Bund und den Kommunen nicht aber mit den Ländern abgeschlossen wurde.
Der Streik war durch einige Besonderheiten geprägt. Obwohl Ver.di federführend bei den Tarifverhandlungen war,
waren an vier der sechs Universitätskliniken (Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln) viele Kolleginnen und Kollegen
bei der Tarifunion des Deutschen Beamtenbunds, genau gesagt beim "Verband der Landes-Beamten, -Angestellten und -
Arbeiter des Landes Nordrhein-Westfalen" (VdLA) organisiert. Lediglich in Essen und Münster führte Ver.di den
Streik allein. Das führte in den ersten beiden Streikwochen zu einigen Irritationen.
Zwar rief auch der VdLA zum Streik auf, aber der diesem
Verband angehörende Personalratsvorsitzende des Universitätsklinikums Aachen erklärte sich im Streik für
neutral, was den Streik in Aachen, wo Ver.di besonders schwach war, zeitweise zum Erliegen brachte. Da dieses Vorgehen aber
auch bei vielen VdLA-Mitgliedern für Unmut sorgte, verzichtete der VdLA von da an auf solche Sondertouren und
führte den Streik insgesamt 14 Wochen in einem im Großen und Ganzen gut funktionierenden Bündnis mit Ver.di.
Für Irritation sorgte am Anfang des Streiks auch, dass
dieser von beiden Gewerkschaften in den rheinischen "Karnevalshochburgen" Köln, Bonn und Düsseldorf
über die "tollen Tage" ausgesetzt wurde. Bei vielen Bürgerinnen und Bürgern entstand der Eindruck,
Ver.di und VdLA würden den Streik wohl nicht so ganz ernst meinen und auch die meisten Streikenden hätten lieber
weitergemacht. Die Streikleitungen hatten unterschätzt, dass es auch im Rheinland sehr wohl wichtigere Dinge gibt als
Karneval.
Der Streik litt vor allem unter einer geringen Beteiligung.
Ver.di und VdLA organisieren an allen Universitätskliniken zusammen weniger als die Hälfte der streikfähigen
Beschäftigten und nicht alle Organisierten beteiligten sich am Streik. So streikten jeweils 200500 der je
30004000 nichtbeamteten Beschäftigten. Dadurch konnten zwar einige Bereiche lahmgelegt werden und der Streik
entfaltete durchaus Wirkung, gelegentlich hatte man aber eher den Eindruck, an einer Mahnwache teilzunehmen als an einem
Streik. Hier machte sich natürlich auch die fehlende Streikerfahrung bemerkbar, denn in den früheren Streiks im
öffentlichen Dienst hatten die hoch organisierten und kampfstarken Bereiche der Abfallentsorgung und des kommunalen
Nahverkehrs die Tarifabschlüsse für die anderen Bereiche miterkämpft.
Damit sind wir bei einer weiteren Besonderheit des Streiks. Die einzelnen Bereiche des öffentlichen Dienstes
streikten getrennt. Auch die Kommunalbeschäftigten standen mehrere Wochen im Streik, das gab den
Landesbeschäftigten aber nur moralische Unterstützung, die Tarifabschlüsse erfolgten jeweils für die
Bereiche separat. Das war vermutlich der Hauptfehler der Gewerkschaft, sich auf diese Salamitaktik der
"Arbeitgeber" einzulassen.
So wurde der einheitliche Flächentarifvertrag für
alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von vorneherein unmöglich. Dass unter diesen Umständen die
Aktionseinheit mit den gleichzeitig streikenden Beschäftigten von Gate Gourmet Düsseldorf und der Metallindustrie
erst recht nicht zustande kam, versteht sich da fast von selbst. Es blieb bei symbolischen Solidaritätsbesuchen und -
adressen.
Als ein Teil der Studierenden der nordrhein-
westfälischen Hochschulen begann, zum Teil sehr entschiedene Proteste gegen die Einführung von Studiengebühren
vorzutragen, indem Senatssitzungen gesprengt und Rektorate besetzt wurden, beteiligten sich auch einige Beschäftigte der
Universitätskliniken. Aber eine richtige Einheit kam auch hier nicht zustande.
Das größte Problem aber war der gleichzeitig
stattfindende Streik der Ärztinnen und Ärzte an den Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern. Obwohl
in den gleichen Betrieben tätig, liefen die Aktionen der beim Marburger Bund (MB) organisierten Ärztinnen und
Ärzte und der bei Ver.di und VdLA beheimateten nichtärztlichen Beschäftigten völlig getrennt voneinander.
Der Marburger Bund hatte sich 2004 aus der Tarifgemeinschaft mit Ver.di und der DBB-Tarifunion verabschiedet und einen
Alleinvertretungsanspruch für die im öffentlichen Dienst beschäftigten Ärztinnen und Ärzte erhoben.
Dieser bestand insofern zu Recht, als dass beim MB über
100000 Mediziner organisiert sind, während Ver.di nur etwa 600 der im Landesdienst beschäftigten Heilkundigen in
seinen Reihen zählt. Die standesegoistische Politik des MB ist sehr unappetitlich und beinhaltet auch eine
Unterstützung neoliberaler Vorstellungen von "Gesundheitsreform". Die konkreten Forderungen, die er erhob,
waren aber nicht unberechtigt. Der Ruf nach 30%iger Lohnerhöhung war nämlich die Antwort auf die Streichung von
Urlaubs- und Weihnachtsgeld und auf Arbeitszeitverlängerung, von der ja auch die nichtärztlichen Beschäftigten
betroffen sind. Ver.di und DBB beschränkten sich aber rein defensiv auf die Forderung nach Erhalt der 38,5-Stunden-Woche
und erhoben überhaupt keine nennenswerte Lohnforderung. Ein ernsthaftes Konzept für die Ärztinnen und
Ärzte, um wenigstens innerhalb des Gesundheitswesens eine einheitliche Streikbewegung herzustellen, fehlte.
Für die Universitätskliniken in NRW gibt es immer noch keinen Tarifvertrag. Sie gehören immer noch nicht
zur TdL, deswegen gilt das Ergebnis von Potsdam vom Mai 2006 für sie nur indirekt durch Rechtsverordnung, da sich die
Landesregierung von NRW zunächst weigerte, einen Anerkennungstarifvertrag abzuschließen. Dem VdLA reichte dies und
er beendete nach 14 Wochen gemeinsamen Streiks das Bündnis mit Ver.di und schickte seine streikenden Mitglieder wieder
zur Arbeit. Ver.di hielt den Streik noch zwei Wochen mit Mühe und Not aufrecht und erhielt von NRW-Finanzminister
Linssen (CDU) die schriftliche Zusage, dass es bis spätestens 1.Januar 2007 einen Tarifvertrag für die
Universitätskliniken geben wird. Daraufhin setzte Ver.di den Streik aus, es gab aber im Gegensatz zu den anderen
Landesbetrieben keine Urabstimmung und es besteht auch in Ermangelung eines Tarifvertrags für die Unikliniken in NRW
keine Friedenspflicht, sodass Ver.di die hier Beschäftigten jederzeit wieder in den Streik rufen kann.
Für alle, die an diesem 16 Wochen dauernden Streik
teilgenommen haben, wird er eine unvergessliche Erfahrung bleiben. Ein bisher streikunerfahrener Bereich verfügt nunmehr
über einen streikerfahrenen Kern. Das ist ein Pfund, mit dem man in Zukunft wuchern kann. Dieser Kern umfasst viele
Frauen und Migrantinnen und Migranten, was bei den streikstarken Betrieben vor allem in Bezug auf die Frauen bisher nicht der
Fall war. So könnte dieser Streik zur Modernisierung der Gewerkschaftsbewegung beitragen, die sich darauf einstellen
muss, immer mehr Auseinandersetzungen jenseits der klassischen Industriebetriebe und im öffentlichen Dienst jenseits vom
Müllabfuhr und Nahverkehr führen zu müssen.
Andreas Bodden
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