SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2006, Seite 10

Die Unkontrollierbaren

Der BND und die Affäre el Masri

Die Verstrickung des BND in die Affäre el Masri beweist: Geheimdienste sind ein Staat im Staat und gehören abgeschafft.
"Was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen, ein Ozean." Mit diesem Zitat des britischen Philosophen und Mathematikers Isaac Newton beschrieb der Abgeordnete der Fraktion Die Linke, Wolfgang Neskovic, in der Bundestagsdebatte vom 1. Juni 2006 zutreffend den Kenntnisstand des Parlamentarischen Kontrollgremiums bezüglich der Machenschaften des Bundesnachrichtendienstes (BND).
Niemand mochte widersprechen, denn am selben Tag war bekannt geworden, dass die Bundesregierung den Verschleppungsfall Khaled el Masri und die Rolle des BND dabei in einem entscheidenden Punkt falsch dargestellt hatte. Der BND wusste weitaus früher als bisher zugegeben von der Verschleppung durch die Amerikaner. Das Parlament sieht sich von Bundesregierung und BND getäuscht.
Khaled el Masri, deutscher Staatsbürger libanesischer Herkunft, wurde Silvester 2003 unter mysteriösen Umständen an der serbisch-mazedonischen Grenze verhaftet. Nach 23 Tagen Gefangenschaft in Skopje wurde er der CIA übergeben, mit verbundenen Augen zum Flughafen gebracht, mit Handschellen gefesselt, eine Sichtmaske über den Augen. In einer Verhörzelle wurde er zusammengeschlagen. Seine Kleider wurden ihm mit einer Schere vom Leib geschnitten. Durch eine Injektion wurde der Mann betäubt und in ein Flugzeug gesetzt. In einer Zelle wachte er auf. Mitgefangene erzählten ihm, er sei in Kabul. Dort hielt ihn die CIA fünf Monate gefangen und verhörte ihn immer wieder über das Multikulturhaus in Neu-Ulm. Ende Mai 2004 ließen ihn die Amerikaner endlich frei.

Ans Messer geliefert

Ein BND-Agent meldete sich zu Wort, als er annehmen musste, zu diesem Verschleppungsfall als Zeuge im BND-Untersuchungsausschuss des Bundestags aussagen zu müssen: Er habe beiläufig bei einem Einsatz in Skopje Anfang Januar 2004 von der Verhaftung erfahren. Demnach hätte der BND das Martyrium el Masris noch rechtzeitig verhindern können. Der Agent behauptet, er habe seine Information für sich behalten. Dies erscheint so weltfremd und unwahrscheinlich, dass niemand diese Version glaubt. Damit gerät auch die offizielle Version ins Wanken, die Bundesregierung habe erstmals nach der Freilassung el Masris von dessen Verschleppung erfahren.
Noch im Februar hatte Olaf Scholz, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und ehemaliger Hamburger Innensenator, getönt, nach Vorlage des 270 Seiten starken "Schlussberichts" der Bundesregierung seien alle Fragen zu el Masri, zu den Vernehmungen in Foltergefängnissen, zu den CIA- Gefangenenflügen in Europa und zum BND-Einsatz während des Irakkriegs in Bagdad beantwortet. Die Opposition setzte dennoch einen Untersuchungsausschuss durch. Zu Recht, wie sich jetzt zeigte. Sogar SPD- Obmann Thomas Oppermann gab zu, man könne die Lesart nicht mehr aufrechterhalten, dass schon alles aufgeklärt sei.
Vielmehr wird der Untersuchungsausschuss jetzt erst recht prüfen müssen, ob el Masri bewusst von deutschen Behörden den Amerikanern ans Messer geliefert worden ist. Es gibt Anhaltspunkte für eine Kooperation mit der CIA. Laut Focus soll ein Mitarbeiter des bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz im April 2004 in der Nähe des Münchner Stachus einem CIA-Mann ein Dossier über el Masri ausgehändigt haben. Eine Widerrufsklage des Verfassungsschutzpräsidenten gegen das Nachrichtenmagazin blieb in erster Instanz erfolglos.

Widerwillige Reformmaßnahmen

Immer mehr rücken sogar die traditionell geheimdienstfreundlichen Unionspolitiker vom BND ab. Der CSU-Innenexperte Stephan Mayer verlangte eine völlige Neuorganisation des Dienstes. Wolfgang Bosbach, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, ging noch weiter und erklärte, die "Informationspannen" seien "fast schon systemimmanent". Bosbach forderte einen ständigen Geheimdienstbeauftragten des Parlaments.
Solche Vorschläge greifen aber zu kurz. Der BND ist und bleibt ein Fremdkörper in einer Demokratie, nicht kontrollierbar und nicht reformierbar. Er schadet viel und nützt wenig. Nicht nur blamabel, sondern sogar katastrophal war die Fehlleistung des BND, den Amerikanern mit falschen Informationen über angebliche Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins einen Vorwand für den Irakkrieg zu liefern. Der jüngst bekannt gewordene Skandal, dass der BND anderthalb Jahrzehnte rechtswidrig Journalisten bis in die Privatsphäre bespitzelt hat, müsste jedermann die Augen geöffnet haben: Die einzige logische Konsequenz ist die Auflösung dieses Geheimdienstes.
Denn die Reaktion der Bundesregierung im Bespitzelungsskandal zeigt, dass es keinen ernsthaften Willen gibt, diesen "Staat im Staate" an die kurze Leine zu legen. Publikumswirksam hat das Kanzleramt Mitte Mai 2006 dem BND ab sofort die Bespitzelung und Anwerbung von Journalisten als Quellen untersagt. Bei näherer Betrachtung fiel auf, dass dies nur für die Fälle der sogenannten "Eigensicherung" gelten soll, wenn also der BND herausfinden will, wie Geheimdossiers an Journalisten gelangt sind. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert daher schärfere Vorgaben für die Nachrichtendienste. DJV-Justitiar Benno Pöppelmann erklärte gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio zu der unzureichenden Anweisung des Kanzleramtes: "Das heißt im Klartext nur: Wenn ein Geheimdienst nach undichten Stellen in den eigenen Reihen sucht, darf er Journalisten nicht mehr bespitzeln — in allen anderen Fällen aber durchaus. Das ist mit den Grundsätzen der freien Medien nicht vereinbar." Journalisten dürften sich nicht länger als "Zielobjekte der Geheimdienste" fühlen müssen.
Dieses Beispiel beweist, dass die Bundesregierung eine Schaufensterentscheidung getroffen hat, um die Gemüter zu beruhigen. Weiterhin wird aber der BND Journalisten als Quellen führen, besser gesagt, sogenannte Journalisten, die sich dafür hergeben. Der Bundestag schaut bei alledem mehr oder weniger machtlos zu. Heribert Prantl bestätigte in der Süddeutschen Zeitung den Abgeordneten, die im Parlamentarischen Kontrollgremium die Geheimdienste überwachen sollen, redliches Bemühen. Aber dieses Gremium ist den Diensten strukturell unterlegen. Es ist auf Informationen durch die Bundesregierung angewiesen. Laut Gesetz informiert die Bundesregierung von sich aus über alle wichtigen Vorgänge. Dieser blauäugig formulierte Gesetzestext ist eine schriftliche Lüge, denn das Gegenteil ist wiederholt geschehen: Die Bundesregierung hat beispielsweise nicht über den Einsatz von BND-Agenten in Bagdad informiert. Diese Mitwirkung am Bush/Blair-Krieg stand im Gegensatz zur "Friedenspolitik" von Kanzler Gerhard Schröder und Außenminister Joseph Fischer. Kein Wunder, dass man lieber den Mantel des Schweigens darüber gebreitet hat. Nicht die Kontrolleure bestimmen die Themen im Kontrollgremium, sondern die Kontrollierten selbst.

BND abschaffen

Daran wird sich nichts ändern. In der Bundestagsdebatte vom 1.Juni machte SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Struck deutlich, dass die Koalition Mitarbeitern des BND nicht einmal das Recht einräumen will, sich wegen aktueller Missstände unmittelbar an das Kontrollgremium zu wenden, damit die Parlamentarier rechtzeitig eingreifen könnten. "Das würde die Funktionsfähigkeit eines Dienstes nachhaltig beeinträchtigen", wehrte Struck diesen kleinen Reformansatz ab. Und selbst wenn an der einen oder anderen Stelle kleine Verbesserungen für die Arbeit der Kontrolleure erreicht werden sollten, darf man sich keine Illusionen darüber machen, dass die Schlapphüte letztlich doch machen, was sie wollen — sei es in Pullach oder künftig in Berlin.
Die Bundesregierung hat festgestellt, dass es zu den Journalistenbespitzelungen gekommen sei, weil sich im BND noch die "Mentalität des Kalten Krieges" gehalten habe. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass diese Mentalität dort je überwunden wird.

Ulla Jelpke

Ulla Jelpke ist Abgeordnete der Fraktion Die Linke im Bundestag. (Aus: Ossietzky, Nr.12, 2006.)



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