SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Juli 2006, Seite 11

Herne

Kirchenkreis löst Industrie- und Sozialpfarramt auf

Die evangelische Kirche Herne löst zu Jahresende das Industrie- und Sozialpfarramt (ISPA) auf. Arbeitsplatzabbau geht auch woanders vor sich, doch lohnt ein Blick auf Hintergründe und Grundsätzliches.
Die Industrie- und Sozialpfarrer im Ruhrgebiet waren seit den 1960er Jahren oft Sammelpunkte sozialer Ideen und sozialen Engagements bis zur Opposition zu den sich auftürmenden Problemen in Industrie und Gesellschaft. Die Vernichtung von Zechen und Hütten, von Maschinenbau und Elektroindustrie im Revier und die zunehmende Arbeitslosigkeit hat deren Rolle noch verstärkt.
So waren und sind die ISPA-Leute jenseits ihrer kirchlichen Rolle Anlaufpunkt für Gewerkschafter, Initiativen, soziale Netze und Arbeitslosenzentren. Sie verstehen sich als engagierte Christen, schauen nicht weg von den gesellschaftlichen Zuständen, sondern greifen ein zugunsten der Benachteiligten. Insbesondere in Herne hat das zu einem funktionierenden breiten, in Opposition zum herrschenden neoliberalen Zeitgeist stehenden Netz geführt. In einem Protestbrief gegen die angedrohte Schließung des ISPA verweist der DGB Herne auf die positive Bilanz der letzten Jahre. Diese wäre in Herne undenkbar ohne die Arbeit von Jürgen Klute, der das ISPA seit Jahren leitet.
Allen Protesten zum Trotz hat die Kreissynode nun die Auflösung des ISPA beschlossen und nur vage von einer Übertragung auf regionale Strukturen gesprochen. Als Begründung wird die finanzielle Entwicklung im Kirchenkreis angeführt, es müsse gespart werden — eine Beschäftigung mit den politischen und sozialen Einwänden fand nicht statt.
Der Beschluss der Herner Synode hinterlässt eine Menge zerschlagenes Porzellan. Ganz abgesehen von der persönlichen Perspektive der im ISPA Beschäftigten muss vermutet werden, dass gerade die gesellschaftliche Rolle dieses Bereiches der Kirche ein Dorn im Auge ist. Mit der wohlfeilen Begründung des Sparzwangs wird gerade in einem Bereich, der sich der neoliberalen Logik widersetzen wollte, die Schere des Kostenfaktors angesetzt. Rückzug aus gesellschaftlicher Verantwortung, Rückkehr zu Sonntags- und Freizeitkirche — ist das der Weg, den man sozial engagierten Menschen zuweisen möchte?
Mit dem Beschluss entledigt sich der Kirchenkreis Herne hinterrücks eines weiteren Problems, ohne das offen zu sagen. Industrie- und Sozialpfarrer Jürgen Klute war bei der Landtagswahl in NRW Spitzenkandidat der WASG und bekam ein Achtungsergebnis, das einer reaktionären christlichen Ansicht nicht behagen mag, die auf Predigt, Glauben und bestenfalls Versorgung der Opfer gesellschaftlicher Entwicklung setzt.
Pikant ist nicht nur, dass Jürgen Klute zu den Kritikern des neoliberalen Kurses in Wirtschaft und Gesellschaft gehört, sondern dass er sein eigenes Haus in der Rolle als Arbeitgeber von dieser Kritik nicht ausnimmt. Das ISPA Herne engagierte sich wie andere im Ruhrgebiet gegen das Zechensterben, gegen den Arbeitsplatzabbau bei Opel und seine Folgen für die Region. Arbeit im ISPA — das war für die engagierten Pfarrer Analyse und wo möglich Bekämpfung der Ursachen der Entwicklung, eine andere Art von "urchristlichem" Auftrag.
Jürgen Klute war maßgeblich beteiligt an einer Studie über Kirchensteuer und Finanzen, die Alternativen zum aufkommenden Kostensenkungskurs zeigte. Die Studie verweist insbesondere auf die Steuerpolitik der früheren rot- grünen Regierung, die Umverteilung von unten nach oben, die Steuersenkung für Reiche und Konzerne bei steigender Arbeitslosigkeit und die Folgen für das Kirchensteueraufkommen. Klute engagierte sich gegen die Dienstleistungsrichtlinie der EU (den sog. "Bolkesteinhammer") und ihre Folgen für den Bereich des Diakonischen Werkes, das mit seinen sozialen Einrichtungen inzwischen zu einem der größten Arbeitgeber in NRW geworden ist. Er stellte sich auf die Seite der Arbeitslosen und Hartz-Geschädigten, auch angesichts der Tatsache, dass im Diakonischen Werk die 1-Euro-Jobs eine willkommene betriebswirtschaftlich lohnende Ergänzung der Beschäftigung geworden sind.
Weil die Beschäftigten bei der Landeskirche aber weiter beschäftigt werden müssen, muss angenommen werden, dass der Hauptgrund für die Schließung des ISAP weniger in finanziellen Gründen als im Wunsch liegen, kritische Positionen loszuwerden.
So wird die Kirche aus dem strukturellen Widerspruch zwischen ihrem nötigen Engagement zugunsten der Betroffenen und ihrer Rolle als staatstreue Institution und Arbeitgeber nicht herauskommen.

Rolf Euler

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