SoZ - Sozialistische Zeitung |
Fast 40 Jahre nach 1968 bietet sich Frankreich eine historische Chance. Die
Frage um die es geht, ist von enormer Tragweite: Können die antineoliberalen Bündnisse, die sich
in der letzten Zeit gebildet haben, bei den kommenden Wahlen einen politischen Ausdruck finden? Führen
sie vielleicht sogar zur Bildung einer neuen politischen Kraft, die eine glaubwürdige Alternative zum
Sozialliberalismus bietet?
Europa steht immer noch unter den Einwirkungen des französischen und niederländischen Nein.
Wenn die politische Führung in der EU sich davon noch nicht erholt hat, liegt es daran, dass es weit
mehr war als nur ein Nein der Franzosen und Niederländer. Diese Nein steht stellvertretend für
die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger der EU, die nicht die Möglichkeit hatten, ihre
Stimme abzugeben.
Das Neue an der französischen
Situation war, dass alle Kräfte der Linken, die gegen den Neoliberalismus stehen, sich in einer
gemeinsamen Kampagne zusammengetan haben. Das gemeinsame Ziel war stärker als die jeweiligen
Sonderinteressen, und der Wille, "alle gemeinsam" weiterzumachen schlug sich in der Fortsetzung
der Arbeit der Kollektive des 29.Mai auch nach der Abstimmung nieder. Deren letzte Generalversammlung hat
eine Charta verabschiedet, eine Erklärung, die festhält, was die beteiligten Kräfte eint.
Das hat es noch nie gegeben.
In der jüngsten Zeit war es die
Jugend, die alle Initiativen, Gewerkschaften und Parteien der Linken zusammengebracht und Millionen
Menschen aller Generationen gegen ein ultraliberales Regierungsprojekt mobilisiert hat, das die
Beschäftigung Jugendlicher unter extrem prekäre Bedingungen stellt (CPE). Die Regierung musste
schließlich zurückweichen, auch das hat man lange nicht mehr gesehen. Die derzeitige
Mobilisierung der Jugendlichen in Griechenland zeigt, dass die junge Generation aufgewacht ist und ein
Bewusstsein entwickelt hat, dass der neoliberale Kapitalismus keine Zukunft für sie bereit hält.
Nach diesen beiden Sturmläufen gegen
den neoliberalen Kapitalismus stehen nun in Frankreich Wahlgänge an, wo die Erfahrungen der Einheit,
die in den vergangenen Kämpfen gemacht wurden, in wahlpolitische Erfolge übersetzt werden
müssen. Die diesbezüglichen Erwartungen sind enorm in Frankreich wie wahrscheinlich auch
in Europa.
Wenn die antiliberale Koalition für
das Nein zusammen bleibt und sich weiter ausweitet, kann es in diesem Land nicht mehr darum gehen, das
Wechselspiel zwischen Rechtsliberalen und Sozialliberalen endlos weiter zu treiben es muss dann eine
politische Alternative ans Tageslicht treten.
Man muss wissen, dass die Präsidentschaftswahlen den Parlamentswahlen vorgelagert sind. DIe
Präsidentschaftswahlen sind die undemokratischsten, die es gibt: sie drängen zu einer extremen
Personalisierung der politschen Programme und begünstigen über die Maßen die traditionellen
Organisationen man braucht 500 Unterschriften von Mandatsträgern, um zur Wahl antreten zu
können.
Die Wahl findet in zwei Wahlgängen
statt: Im ersten Wahlgang können alle antreten, die dazu in der Lage sind. Im zweiten Wahlgang gibt es
ein Duell zwischen den beiden bestplatzierten Kandidaten aus dem ersten Wahlgang. Die restlichen Kandidaten
können zugunsten der beiden Erstplatzierten verzichten.
Die meisten Parteien versuchen, zu den
Präsidentschaftswahlen anzutreten, um eine nationale politische Existenz vorzuweisen. Die Frage, die
sich uns heute stellt, lautet deshalb: Sind die antiliberalen politischen Organisationen bereit, einen
gemeinsamen Kandidaten aufzustellen? Das würde ihnen ein Ergebnis bescheren, das es so noch nicht
gegeben hat (auch wenn es da keine Selbstläufer gibt), und den jüngsten Mobilisierungen einen
politischen Ausdruck verleihen. Oder treten sie getrennt an, um ihre jeweilige "Identität"
zu wahren?
Lutte Ouvrière (Arlette Laguiller)
backt inmer eigene Brötchen. Was aber machen PCF und LCR?
Die PCF (Französische Kommunistische
Partei) spricht sich für eine gemeinsame Kandidatur aus, betont dabei aber, dass ihre Kandidatin,
Marie-George Buffet, die beste Kandidatin für eine Einheitsliste wäre. Noch ist alles
möglich, aber solange die PCF nicht sagt, dass auch eine andere Kandidatur als die ihre für eine
gemeinsame Liste denkbar ist, bleiben Zweifel an ihrem Einheitswillen. Umso mehr als ihre 10000
Mandatsträger eher in Richtung Eigenkandidatur drängen, selbst wenn die Mehrheit des neuen
Parteivorstands bereit wäre, einen Kandidaten zu akzeptieren, der von allen getragen wird.
Auf seiten der LCR (Revolutionäre
Kommunistische Liga/IV.Internationale) dominiert bislang ebenfalls die identitäre Logik. Die LCR tut
alles Notwendige, um Olivier Besancenot als Kandidaten aufstellen zu können vor allem sammelt
sie die erforderlichen Unterschriften. Dabei erklärt sie jedoch, dass sie eine gemeinsame Kandidatur
unterstützen würde, wenn sich eine solche abzeichnete. Die Mehrheit der Organisation tut aber
nichts, oder fast nichts, um sie zu ermöglichen.
Ihre jüngste nationale Konferenz (am
24. und 25. Juni) hat diese Linie bestätigt. Ihr hauptsächliches Argument ist, dass sie der PCF
nicht abnimmt, mit dem Sozialliberalismus gebrochen zu haben, den sie im Rahmen der "Gauche
plurielle" (Plurale Linke) unterstützt hat. Die LCR will Garantien dafür, dass die PCF auf
eine Regierungsbeteiligung oder Einbindung in eine parlamentarische Mehrheit mit der sozialdemokratischen
PS (Sozialistische Partei) verzichtet. Dasselbe gilt für Einheitskandidaten, die nicht aus einer
politischen Partei kommen, wie José Bové oder andere.
PCF und LCR spielen somit Katz und Maus.
Beide wissen, wer als erster den gemeinsamen Rahmen durchbricht, wird dies teuer bezahlen.
Wir dürfen die politischen Probleme,
die eine gemeinsame Kandidatur für die eine und die andere Seite auffwirft, nicht unterschätzen.
Das Problem ist, dass diese im Verhältnis zur allgemeinen politischen Situation immer stärker als
engstirnig und politikasterhaft erscheinen. Die politische Rechte in Frankreich macht derzeit eine
beispiellose Regierungs- und institutionelle Krise durch, und die PS hat eine Hoffnungsträgerin,
Ségolène Royal, die eine glühende Anhängerin von Tony Blair ist. Die extreme Rechte um
Le Pen könnte noch einmal auf der "Sicherheitskampagne" schwimmen, die Nicolas Sarkozy und
jüngst auch Ségolène Royal angezettelt haben.
Die Kollektive des 29.Mai aber und all
jene, die ihre Hoffnungen in eine wirkliche Alternative und nicht einfach einen Regierungswechsel gesetzt
haben, drängen ungeduldig auf eine gemeinsame Kandidatur, die die Erwartungen der letzten beiden Jahre
zum Ausdruck bringt. Komitees für eine gemeinsame Kandidatur entstehen derzeit in allen Städten.
Sie sind breiter als die politischen Organisationen, um die es geht. Foren wie die Stiftung Copernic,
Attac, die Sozialforen und andere, in denen verschiedene politische Kräfte zusammen arbeiten, schaffen
ebenso wie die Kämpfe der letzten Zeit Synergien und ein Terrain, auf dem Einheit sich in der
Tagespolitik bereits herstellt. Diese Dynamik geht weit über die politischen Neuformierungsprozesse
hinaus, die in der Vergangenheit versucht wurden.
Die Erwartungen dürfen nicht
enttäuscht werden. Mehr und mehr hängt alles davon ab, dass vor Ort eine Einheitsdynamik
aufgebaut wird, die von lokalen Strukturen unterfüttert wird und auf nationaler Ebene ein Gewicht in
die Waagschale zu werfen hat.
Je mehr Zeit verstreicht, desto schwieriger
wird es. Die Entscheidung für eine gemeinsame Kandidatur muss deshalb so schnell als möglich
fallen dann wird es eine wirkliche Massendynamik geben. Noch nie waren wir unserem Ziel so nahe.
Demgegenüber müssen Sonderninteressen jetzt zurückstehen.
Michel Rousseau
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04