SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 06

Der Kombilohn

Ergänzende Sozialhilfe in neuem Gewand

Für den kommenden Herbst werden Entscheidungen der Großen Koalition zum Kombilohn erwartet.

Der Lohn muss der Leistung entsprechen und den angemessenen Lebensbedarf des Arbeitenden und seiner Familie decken.
(Art.24 Abs.2 Landesverfassung NRW)


Im Juli stellte Arbeitsminister Müntefering im Rahmen der "Initiative 50plus" Überlegungen zu einem Kombilohn für Ältere vor. Demnach sollen Bezieher von Arbeitslosengeld I über 50 Jahre mit einem ALG-Restanspruch von mindestens 120 Tagen bei Annahme eines schlechter entlohnten Jobs im ersten Jahr 50%, im zweiten Jahr 30% der Differenz zum vormaligen Lohn erhalten. Danach entfällt die Förderung. Die Rentenversicherungsbeiträge sollen für die Förderdauer auf Basis von 90% des früheren Lohn weitergezahlt werden.
Diese Weiterentwicklung des Hartz-Moduls der sog. "Entgeltsicherung" für Ältere soll 250 Millionen Euro kosten und 50000 Betroffene in geringer entlohnte Jobs bringen. Damit ist Müntefering deutlich bescheidener als weiland Kohls Arbeitsminister Blüm, der 1998 100000—150000 Langzeiterwerbslose per Kombilohn in den Niedrigstlohnsektor bringen wollte. Mit der Kombilohndiskussion wurde damals ein Richtungswechsel in der staatlichen Arbeitsmarktpolitik eingeleitet — von der Förderung und Stützung regulärer Beschäftigung zur politisch forcierten Ausweitung und Ausgestaltung des prekären Niedriglohnsektors.

Wenig praktikabel

Ein gewisser Zug zur Bescheidenheit war der Debatte über die öffentliche Subventionierung von Niedriglöhnen — anfangs als "Wunderwaffe" gepriesen — allerdings von Beginn an zu eigen. Vorstellungen eines Einsatzes in großem Stil scheiterten regelmäßig an den enormen Kosten. Zum anderen haben sämtliche bisherigen Modellversuche die Kritiker bestätigt, die erhebliche Drehtür- und Mitnahmeeffekte und allenfalls geringe positive Beschäftigungswirkungen vorhersagten.
Die bundesweite Erprobung des "Mainzer Modells" musste 2003 nach nur einem Jahr wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit abgebrochen werden. Aus solchen Gründen, aber auch, um dem Einstieg in den Kombilohn öffentliche Akzeptanz zu sichern, nahm die Diskussion zunehmend Kurs auf begrenzte, am Arbeitsmarkt besonders benachteiligte Zielgruppen bei relativ kurzer Dauer der Lohnsubventionierung. NRW-Arbeitsminister Laumann (CDU) schlug etwa einen Kombilohn für die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von behinderten Menschen, gering Qualifizierten und Älteren in begrenzten, vom Markt nicht ausreichend besetzten sozialen Dienstleistungsfeldern vor. Ein politischer Vorteil solcher Einstiegskonzepte liegt darin, dass sie bei den gewerkschaftlichen Führungen eher Kooperations- als Widerstandsbereitschaft wecken.
Dass sich die Kombilohnidee trotz geringer Praktikabilität und Effektivität so hartnäckig hält, dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass ihr die Vorstellung einer reinen Marktpreisbildung für Arbeitskräfte zugrundeliegt. Nach neoliberaler Diagnose ist bekanntlich Arbeit zu teuer und die Massenerwerbslosigkeit Folge überhöhter Arbeitskosten. Daher gelte es, durch Freisetzung der Marktkräfte am Arbeitsmarkt niedrigere, "markträumende" Preise für Arbeit durchzusetzen und insbesondere den Niedrigstlohnsektor auszubauen.
Dem steht die Erwartung gegenüber, dass Vollzeitbeschäftigte von ihrem Lohn auch leben können müssen. Bei Kombilohn kann sich der Arbeitgeber auf die Zahlung eines Vollzeitlohns beschränken, der sich "am Markt rechnet", auch wenn man davon nicht leben kann. Um leben zu können, wird das Einkommen aus Steuermitteln aufgestockt. Dabei ist der Begriff Kombi-"Lohn" insoweit irreführend, als "Lohn" die arbeitsvertraglich geschuldete Gegenleistung des Arbeitgebers für die Arbeitskraft ist. Eher handelt es sich um ein Kombieinkommen aus Niedrigstlohn für die Arbeit und staatlichem Zuschuss für die "Existenzsicherung".
In der eingangs zitierten Verfassungsbestimmung drückt sich dagegen das in der Gründungszeit des westdeutschen Sozialstaats allgemein anerkannte Verständnis aus, dass die Kapitalseite die angemessene Existenz (und Reproduktion) der Lohnabhängigen zu gewährleisten hat. Was "angemessen" bedeutet, wird durch Tarifverträge bestimmt und ist in jedem Fall mehr als der fürsorgerechtlich definierte "notwendige" Lebensbedarf (ALG II oder Sozialhilfe). Angemessene Entlohnung sollte Armut trotz Vollzeitarbeit ausschließen.
Nach diesem Verständnis hätte der Staat die Arbeitgeber per Mindestlohngesetz zur Zahlung mindestens existenzsichernder Löhne zu verpflichten, wenn die Kraft der Gewerkschaften nicht ausreicht, um dies auf tarifpolitischem Wege zu garantieren. Für die neoliberale Idee, dass Arbeitskräfte Waren wie alle anderen seien und sich die Lohnhöhe allein danach zu richten habe, was der Markt "akzeptiert", war hier kein Raum. Der Kombilohn bricht nun radikal mit dem Existenzsicherungsanspruch gegen den Arbeitgeber und deutet die Frage der Existenzsicherung von Arbeitnehmern zu einem "sozialpolitischen" Problem um, für dass die Allgemeinheit (der Staat) zuständig sei.

Trotzdem begehrt

De facto sind Kombieinkommen schon seit längerer Zeit bekannt. Schon zu Zeiten des alten Sozialhilferechts hatten Haushalte von Niedriglöhnern Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe. Die politisch geförderte Ausweitung von prekärer Beschäftigung und der mit Hartz IV geschaffene Zwang, die Hilfebedürftigkeit etwa durch Annahme eines Minijobs zu verringern, hat mittlerweile rund eine Million Erwerbstätiger hervorgebracht, die aufstockendes ALG II beziehen müssen. Ganz überwiegend handelt es sich hier indes um Minijobber und prekäre Teilzeitbeschäftigte. Die Einkommensaufstockung bei Vollzeitbeschäftigten ist noch die Ausnahme.
Traditionelle arbeitsmarktpolitische Förderinstrumente für Arbeitgeber (z.B. Lohnkostenzuschüsse) unterscheiden sich von Kombieinkommen trotz ähnlich arbeitgeberfreundlicher Wirkung systematisch dadurch, dass sie den Arbeitgeber nicht aus der Verpflichtung zur Zahlung regulärer Entgelte entlassen. Der mit dem Ausgleich von Leistungsminderungen gerechtfertigte Lohnkostenzuschuss soll umgekehrt den Arbeitgeber darin unterstützen, dieser Verpflichtung auch nachzukommen.
Angesichts der kaum lösbaren fiskalischen und arbeitsmarktpolitischen Probleme, die mit der Einführung von Kombieinkommen in großem Stil verbunden sind, verfolgen die Neoliberalen das Kapitalinteresse an Befreiung vom Existenzsicherungsanspruch und an "markträumend" niedrigen Löhnen zunehmend unter den Überschriften "bedingungsloses Grundeinkommen" oder "solidarisches Bürgergeld".
Die entsprechenden Vorschläge von HWWI-Chef Thomas Straubhaar, vom thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) oder dem skurrilen Drogeriemarktkönig Götz Werner zielen darauf, dass der Staat eine grundsätzliche Existenzsicherungsverpflichtung für alle Bürgerinnen und Bürger übernimmt. Auch bei Arbeitnehmern ginge sie damit von den Arbeitgebern auf den Staat über. In der Folge kann das Lohnniveau insgesamt abgesenkt werden. Was hier als "sozialpolitische" Reformidee daher kommt und auch von manchen Linken beklatscht wird, bedeutet tatsächlich "Kombilohn für alle".
Was immer die Große Koalition im Herbst zum Thema Kombilohn tatsächlich vorstellen wird, wird ein weiterer Förderbaustein für den Niedriglohnsektor sein. Die Folgen für die unmittelbar Betroffenen zeigen sich spätestens nach Ablauf der befristeten Subventionierung, wenn sie ohne Zuschuss auf dem Niedriglohn sitzen bleiben. Münteferings vorrangiges Interesse gilt Maßnahmen, die sich flankierend zur beschlossenen Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre als "Förderung der Beschäftigung Älterer" verkaufen lassen. Allerdings kann er sich auch die unter 25-Jährigen als Zielgruppe vorstellen. Schon aus fiskalischen Gründen dürfte die Zahl der potenziellen Kombilöhner recht begrenzt und von den rund 300000 "1-Euro"-Pflichtarbeitenden weit entfernt bleiben. Auch deshalb wird die Debatte um öffentlich subventionierte Niedrigstlöhne weitergehen.

Daniel Kreutz

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