SoZ - Sozialistische Zeitung |
Es war einmal ein mal ein Mann in einer großen Stadt mit einem weltbekannten Dom. Der
hatte einen kleinen Laden und verkaufte Bücher. Nicht nur, weil er ja von irgendetwas leben musste, sondern weil es ihm
Spaß machte. Er hatte natürlich nicht alle Bücher gelesen, die er so verkaufte, aber er wußte relativ
viel. Was halt so in einen menschlichen Kopf hinein passte. Er glaubte an die Freiheit des Wortes, an Demokratie, an die
Macht der öffentlichen Presse. Zwar war er da er nicht mehr ganz jung war schon des öfteren eines
anderen belehrt worden, aber trotzdem...
Zufrieden sah er sich in seiner Buchhandlung um und betrachtete die Summe gesammelten Wissens, da nahte plötzlich
das Unheil in Form eines Faxes. Eine ihm unbekannte Anwaltskanzlei aus der fernen Hauptstadt drohte ihm im Namen der
größten Privatbank Europas mit einer Unterlassungserklärung. Er sollte eine Reihe von Behauptungen nicht mehr
aufstellen oder verbreiten, sonst würde er vor den Kadi gezerrt und an den modernen Schandpfahl gebunden werden. Vom
letzteren könnte er sich freilich mit Hilfe einer großen Summe aus seinem Geldsäckel loskaufen. Zur
Veranschaulichung wurde die Summe von über 200000 Goldstücken genannt.
Betrübt schaute der Buchhändler in sein
Geldsäckel, da klimperten lediglich 5 Silberlinge. Angestrengt dachte er nach und überlegte, wann er denn diese
Äußerungen gemacht haben sollte. Es fiel ihm nichts ein und er las dieses dicke Schreiben nochmals. Alle Sätze
waren aus dem Buch Der Bankier von Werner Rügemer und da kam die Erleuchtung über ihn: Die großen
Herren in der Bank und deren Handlanger in Berlin wollten, dass er das Buch nicht mehr verkaufe. Und nicht nur er, sondern
alle seine KollegInnen. Die große Schere im Kopf sollte angeschaltet werden!
Nun, er hatte eh kein Exemplar mehr im Laden, da konnte er
das wohl versprechen, aber war das gerecht? Im finsteren Wald der Diktatur, wo die bösen Wölfe wohnen, da ging
sowas. Die nannten das Zensur. Die verbrannten auch Bücher und in früheren Zeiten auch Menschen. Doch
er wohnte im lichten Teil des Waldes, mit dem Namen Demokratie! Und da sollte es so etwas nicht geben. Also fragte er seine
Freunde, Bekannte, Journalisten. Letztere berichteten ihm, dass so etwas auch in seiner Welt gang und gäbe wäre.
Unter dem Namen "Verletzung der Persönlichkeitsrechte" ginge so etwas. Und sie hätten alle ziemlich viel
Angst davor. Auch und besonders in diesem Fall.
Der Gegner sei mächtig, ein richtiger Riese! Und die
Gerichte brauchten Zeit, um den Fall zu prüfen. Viele Winter könnten darüber ins Land gehen, und bis dahin
gelte die "Einstweilige Verfügung", die ausgesprochen wird, ohne den Angeklagten zu hören. Dazu
gehöre nur eine "eidesstattliche Erklärung" des Klägers, deren Wahrheitsgehalt anfangs nicht
überprüft werden würde, und schon entstehen dem Beklagten, wenn er Pech hat, so hohe Kosten, dass der
Schuldturm drohe.
Unser Freund, der alte Buchhändler, wog den Kopf hin und
her. Er sah zwar sehr wohl ein, dass jemand als Person vor Lügen geschützt werden muss, aber eine Bank ist doch
keine Person. Und was hat die Frage, ob es da Schalterhallen oder ein Bild des Bankgründers gibt mit der Verstrickung
der Bank mit der Zeit zu tun, als Bücher verbrannt und Menschen ermordet worden sind. Denn das durfte er weiterhin
sagen. Auch, dass diese Bank nachher die Spendenwaschanlage der großen Partei der schwarzen Menschen bedient hatte und
heute gar manches Geschäft in der großen Stadt mit dem alten Dom abschließt, die vielen Bewohnern gar nicht
gefallen. Sollten etwa solche Äußerungen verhindert werden? Indem man andere "Kleinigkeiten" vorschob, um
das ganze Buch zu verbieten? Er stellte sich diese Fragen und sprach wieder und wieder mit seinen Freunden.
Und so dauerte es einige Zeit, bis die Journalisten mutig
genug waren und diese Sachen druckten. Jetzt passierte etwas ganz komisches. Denn nun wurden diese plötzlich auch mit
"Einstweiligen Verfügungen" bombardiert. Das ging jetzt soweit, dass sogar ein leibhaftiger Gelehrter vor das
Gericht gezerrt und sein Geldsäckel entleert werden sollte. Denn nun waren plötzlich auch die Rechtsanwälte in
Berlin beleidigt.
Da fühlte sich unser Buchhändler endgültig an
das "Reich des Bösen" erinnert und er beschloss, diesen Kampf um die Freiheit des Wortes aufzunehmen. Zusammen
mit vielen anderen. Bis die Gerechtigkeit wieder hergestellt ist und er wieder zufrieden seine Bücher in seinem lichten
Wald der Demokratie anschauen kann. Und wenn er nicht gestorben ist, dann denkt er noch heute an den Anfang der Geschichte
von damals, als die Wölfe heulten und dann schließlich doch in den dunklen Wald zurückgetrieben wurden.
Erzähler: Ulrich Klinger
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