SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 09

Großbritannien

Kein Respect für Tony Blair

Ende Juli sprach Tony Blair zum ersten Mal seit langem wieder vor einem begeisterten Publikum. Der britische Premierminister war eigens nach Pebble Beach, einen Luxusbadeort im US-Bundesstaat Kalifornien, geeilt, um den dort versammelten Managern der News Corporation seine Aufwartung zu machen. Und seine Rede kam gut an. Es gebe keine Trennungslinie zwischen links und rechts mehr, sagte der britische Premierminister den Topleuten des australisch-amerikanischen Großverlegers Rupert Murdoch: "Die großen Auseinandersetzungen werden nicht mehr zwischen Sozialisten und Kapitalisten geführt, sondern zwischen den Globalisierern und den Vertretern von Protektionismus und Isolationismus." Zu diesen gehören nach Meinung des Vorsitzenden der britischen Labour Party auch die nichtstaatlichen Organisationen, "die eine unheilvolle Tyrannei auf die öffentlichen Debatte ausüben können".

Rupert Murdoch sei Dank

Es war nicht das erste Mal, dass Blair vor der News-Corp-Spitze referierte. Schon 1995 war er, als frisch gewählter Labour-Führer, nach Australien geflogen, wo er "das Ende der großen Ideologien" und seinen Dritten Weg propagierte. Sein Auftritt damals, davon ist der Premierminister noch heute überzeugt, habe Labour den Wahlsieg von 1997 beschert. Nicht der Frust über die dunklen Jahre der konservativen Ära unter Margaret Thatcher und John Major, nicht die Wut über die anhaltenden Privatisierungen und die massive Umverteilung von unten nach oben hätten ihn in die Downing Street 10 befördert, sondern die Unterstützung von Rupert Murdoch. Tatsächlich hatten sich die Times und die Sunday Times, vor allem aber die Boulevardzeitungen Sun und News of The World (im Vergleich zu ihnen ist Bild eine linksliberale Pfadfinderpostille) für Labour stark gemacht.
Die Folgen dieser Kooperation haben deutliche Spuren hinterlassen — und die Labour Party nachhaltig geschwächt. Die britische Regierung, sagte vor kurzem Lance Price, der lange Zeit in Downing Street 10 arbeitete, "hat keine einzige große politische Entscheidung getroffen, ohne die Reaktion von Rupert Murdoch zu bedenken." Murdoch kontrolliert auch den mittlerweile recht einflußreichen Satellitensender Sky- TV.
Dass Blair nicht nur die Privatisierungspolitik der Konservativen fortsetzte, sondern sogar noch intensivierte; dass er eine Außenpolitik verfolgt, die im Weißen Haus formuliert wird; dass er (bis auf das kleine Zugeständnis eines äußerst bescheidenen Mindestlohns) alle Forderungen der Gewerkschaften ignorierte und weiterhin an der Antigewerkschaftsgesetzgebung aus Thatchers Tagen festhält; dass die Gefängnisse in seiner Amtszeit noch voller geworden sind und dass er die Partei entdemokratisiert und führt "wie ein Manager ein Unternehmen" (so Tony Benn, der große alte Mann der Labour- Linken, zur SoZ) — all dies hat nun die Partei auszubaden.

Blairs politischer Niedergang

So hat Tony Blair bei den Kommunalwahlen im Mai etwas geschafft, das nicht einmal Margaret Thatcher gelungen war: Labour verlor die Mehrheit in der seit Jahrzehnten roten Metropole London. Auch in den anderen Kommunen Englands verlor die Regierungspartei an Boden. Sie kam — alle Ergebnisse zusammengerechnet — hinter den Tories und den Liberaldemokraten gerade mal auf Platz drei. Und wie reagierte der Premier? Er hievte bei einer radikalen Kabinettsumbildung vor allem treue Gefolgsleute in die wichtigsten Posten und verkündete, dass er weitermachen werde wie gehabt.
Die nächste Quittung kam Ende Juni: In zwei Nachwahlen für das Unterhaus erlitt Labour erneut herbe Schlappen. Nun ist es nicht unüblich, dass Regierungsparteien zwischen den nationalen Wahlen Dämpfer hinnehmen müssen. Dennoch überraschte das Ausmaß der Niederlagen: Im ehemaligen walisischen Kohlerevier von Ebbw Vale verlor ein Labour-Kandidat gegen einen Unabhängigen, der die alten Labour-Werte Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und Frieden vertritt (der Wahlkreis hatte bis vor kurzem noch als einer der sichersten für die Partei gegolten). Und im Wahlbezirk Bromley and Chislehurst schaffte es Labour nach den Tories, den Liberaldemokraten und der rechtsnationalistischen United Kingdom Independence Party nur auf den vierten Rang.
Dass Blairs Partei nicht einmal mehr Hochburgen halten kann, zeigt ihren desolaten Zustand. Nur noch ein kleiner Teil ihrer traditionellen Wählerschaft geht überhaupt zur Wahl — und es gibt kaum noch jemand, der sie mobilisieren könnte. So ist seit Blairs Amtsantritt als Parteivorsitzender die Zahl der eingeschriebenen Parteimitglieder von über 400000 auf rund 170000 gesunken (Karteileichen inklusive).
Nun rächt sich das Politikverständnis einer Labour-Führung, die zehn Jahre lang glaubte, mit der Unterstützung von rechten Medien, einem Bataillon von Spin Doctors und flotten Sprüchen Wahlen gewinnen zu können — und das in einem Land, in dem das Klinkenputzen, der Kontakt zur Basis, immer noch eine große Rolle spielt. Aber wer will schon aufgebrachten Bürgern die tief sitzende Korruption eines Kabinetts erläutern, das großzügigen Spendern aus Unternehmen und der Finanzwelt Adelstitel zuschanzt? Wer will schon für einen Irakkrieg werben, gegen den im Land Millionen demonstrierten und der von einer Mehrheit abgelehnt wird? Und so dämmert allmählich auch vielen Labour- Unterhausabgeordneten, dass sie — wenn diese Politik fortgesetzt wird — bei der nächsten Wahl gar nicht erst antreten müssen.
Dass sie nun auf den Schatzkanzler Gordon Brown setzen, zeigt jedoch, wie inhaltsarm die Politik der Partei geworden ist. Denn Brown hat stets das mitgetragen, was den Kern des von Murdoch, anderen konservativen Verlegern, der Londoner City und dem Unternehmerverband CBI so hochgelobten Labour-Projekts ausmacht. Diese Mächtigen haben stets das Ziel, jede linke Option auszuschalten, und setzen daher lieber auf eine unternehmerfreundliche neoliberale Labourregierung als auf eine konservativen Tory-Regierung, gegen die sich schneller Protest erhebt. Zudem hat es sich für sie ausgezahlt, dass Labour in den letzten Jahren die Ausgaben für den öffentlichen Dienst massiv erhöhte. Das mag paradox klingen, schließlich befürwortet das Kapital den "schlanken Staat". Doch es kommt drauf an, wofür das Geld ausgegeben wird. Unter Brown und Blair flossen die zig Milliarden Pfund, die in den letzten Jahren bspw. für das Gesundheitswesen, die Bildungseinrichtungen und den öffentlichen Verkehr ausgegeben wurden, direkt in private Taschen.
Die Private Finanzierungsinitiative, auch Public Private Partnership (PPP) genannt, hat Finanzierungsgesellschaften, Pensionsfonds und Bauunternehmen weitaus höhere — und dauerhaftere — Profite verschafft, als dies eine (von den Konservativen propagierte) direkte Privatisierung je vermocht hätte. Eine Privatisierung besagt ja, dass Firmen, Schulen, Krankenhäuser, Gefängnisse oder Verkehrssysteme von Privaten auf eigenes Risiko betrieben werden. Das PPP-Konzept besteht hingehen darin, dass der Staat den Bau und den Unterhalt solcher Einrichtungen Privatunternehmen überlässt, die dafür über 20 oder 30 Jahre hinweg öffentliche Gelder kassieren: Eine lukrative und risikolose Investition, die — so die britische Association of Chartered Certified Accountants — manchen Shareholdern Renditen von über 100% ermöglichte. Dazu kommen die phänomenalen Profite der Consultants, der privaten Beraterfirmen, die längst nicht mehr nur beraten, sondern — dank Blair & Brown — bspw. im Gesundheitssektor auch managen und Spitäler des eigentlich staatlichen National Health Service verwalten. Auch dies kostet den Staat Milliarden.

Respect: Eine linke Alternative für alle

Trotz der Mitgliederflucht gibt es noch Linke in der Labour-Partei. Tony Benn zum Beispiel, der in den 70er Jahren Technologie-, Handels- und Industrieminster war, Blairs Politik seit Jahren kritisiert und heute Präsident der britischen Antikriegsbewegung ist, glaubt immer noch an eine Zukunft der Arbeiterpartei. "Sie wurde von der Arbeiterbewegung gegründet und die Arbeiterbewegung wird sie, das zeigt die große Unruhe an der Basis, bald auch wieder kontrollieren", hofft der 81- Jährige. George Galloway jedoch, der der Partei ab 1977 angehörte und ab 1987 Labour-Abgeordneter im Unterhaus war, wird an dem möglichen Revival kaum teilnehmen: Er wurde im Oktober 2003 nach einer scharf formulierten Kritik an Blairs Irakpolitik (er nannte Blair einen Lügner und rief die in den Irak entsandten Soldaten auf, die "illegalen Befehle nicht zu befolgen") aus der Partei ausgeschlossen.
Seither ist er das Aushängeschild einer linken Allianz, die Anfang 2004 gegründet worden war: Die "Unity Coalition" Respect. Diese Koalition (der Name ist auch gleichzeitig das Akronym der Begriffe Respect, Equality, Socialism, Peace, Environmentalism, Community und Trade Unionism) hat seit ihrem Bestehen immer wieder für Furore gesorgt. So nahm Respect-Kandidat Galloway — für viele überraschend — einer respektablen, aber Blair-treuen Abgeordneten bei der Unterhauswahl 2005 den Ostlondoner Wahlkreis Bethnal Green and Bow ab. So gewannen bei der Kommunalwahl 2006 Respect-Kandidatinnen und -Kandidaten gleich zwölf Sitze im einst Labour-dominierten Rat der Ostlondoner Gemeinde Tower Hamlets (dort bilden sie nun die größte Oppositionspartei). Aber auch im nordenglischen Preston, in Birmingham und Leicester ist Respect eine ernst zu nehmende politische Kraft. Selten zuvor hat eine sozialistische Gruppierung links von Labour so viel Zuspruch erfahren — und das trotz aller Probleme, die das britische Mehrheitswahlsystem kleinen Parteien bereitet.
"Unsere Mitglieder kommen im Wesentlichen aus drei Bereichen", sagt John Rees, der nationale Sekretär von Respect, im Gespräch mit der SoZ: "Da gibt es zum einen die Socialist Workers Party mit all ihren Aktivisten. Viele kommen aber auch aus der Labour Party und den Gewerkschaften — in dieser Hinsicht gleichen wir der neuen deutschen Linkspartei. Und dann haben sich uns auch Leute angeschlossen, die bisher nicht organisiert waren — bspw. Mitglieder der muslimischen Community." Respect, sagt er, sei ein Versuch, "linke Inhalte mit einem breiten Organisationsansatz" zu kombinieren. Bisher habe es in Großbritannien entweder kleine linke, trotzkistische Parteien gegeben ("die leider allzu oft sektiererisch agierten") oder Massenorganisationen, die "entweder ineffektiv waren oder rechts oder beides". Respect aber wolle beides sein — "eine Allianz, die alle anspricht, aber auch links ist".
So manche Linke hat sie bereits angesprochen. Der renommierte Filmregisseur Ken Loach (sein letzter Film wurde in Cannes ausgezeichnet) ist ebenso Mitglied wie auch Mark Serwotka, Generalsekretär der Gewerkschaft PCS, die öffentlich Bedienstete vertritt. Tariq Ali, Buchautor und langjähriger Aktivist der linken Szene, gehört ebenfalls zum Umfeld. Und selbst Tony Benn hat viel Respekt für Respect.
Aber wer ackert unten, wer agiert an der Basis, wer repräsentiert Respect in der Community? Waiseul Islam ist einer der neugewählten Respect-Gemeinderäte von Tower Hamlets. Der smarte Brite bengalischer Herkunft ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was man sich unter einem linken Volksvertreter vorstellt: Er trägt einen Anzug, fährt einen BMW und war bis vor zwei Jahren politischer Berater im Londoner Außenministerium. Nach Beginn des Irakkriegs habe er jedoch seinen hochdotierten Posten aufgegeben, sagt er: "Ich konnte den Job einfach nicht mehr mit meinen Auffassungen vereinbaren." Blairs Krieg habe vieles verändert — auch seine Wahrnehmung der sozialen Verhältnisse. "Die Wohnungsnot ist ein großes Problem in Tower Hamlets, insbesondere für die ethnischen Minderheiten. Aber was tun die Blairisten im Stadtrat? Sie privatisieren auch noch die letzten Sozialwohnungen." Es gebe so viel Reichtum im Land, sagt Waiseul, und doch keinen Penny für die Armen.
In Newham, der weiter östlich gelegenen Gemeinde von Großlondon (die britische Metropole besteht aus insgesamt 32 eigenständigen Einheiten), hat Respect bei der letzten Kommunalwahl sogar 26% aller Stimmen gewonnen. Auch hier gehören alle lokalen Respect-Abgeordneten einer ethnischen Minderheit an (wie in Tower Hamlets kamen ihre Eltern meist aus Bangladesh), und auch hier passen sie nicht in linke Klischees. Councillor Asif Karim zum Beispiel besitzt gleich zwei Sari-Läden. Aber das hindert ihn nicht, für die Belange seiner Wähler da zu sein und für sie einzustehen, wenn sie mit dem Sozialamt, den Immigrationsbehörden oder der Polizei Probleme haben — und zwischendurch eine Demo zu organisieren wie vor kurzem, als Polizisten bei einer Razzia im Viertel einen Mann angeschossen hatten. "Wir Muslime stehen hier unter Generalverdacht und werden von der Regierung als Bürger zweiter Klasse behandelt", sagt Karim.
Die fortlaufende Einschränkung der Bürgerrechte, die wachsende Armut (unter Labour hat die Kluft zwischen Arm und Reich zugenommen wie nie zuvor in der britischen Geschichte) und der Irakkrieg — all dies schafft Handlungssspielraum für eine linke Alternative. Respect bietet sie, zumindest in den Migrantenvierteln von Ostlondon.
Die Probleme, in der die Labour Party steckt, sind auch Rupert Murdoch nicht entgangen. Wenn Blair nicht gekommen wäre, hätte Murdoch eben den konservativen Oppositionsführer David Cameron eingeladen, rechtfertigte die Pressestelle des Premiers dessen Reise nach Kalifornien. Soviel zum Spiel der Mächtigen mit ihren Figuren.

Pit Wuhrer

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