SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 16

WTO

Verhandlungen gescheitert

Das Scheitern der sog. Doha-Runde der WTO am 24.Juli ist mit das Beste, was der sich entwickelnden Welt für lange Zeit passieren konnte — meint WALDEN BELLO.
In den zwei Wochen vor dem Treffen des WTO- Generalrats in Genf wurden gewaltige Anstrengungen unternommen, die Welthandelsrunde noch zu retten. Herausragend darunter war der G8-Gipfel in St.Petersburg, wo die Führer der größten Wirtschaftsmächte der Welt dazu aufriefen, die Runde erfolgreich zu Ende zu führen und sie als "historische Chance für Wirtschaftswachstum, Entwicklungspotenzial und steigenden Lebensstandard in der Welt" darstellten. Das war reines Wunschdenken.
Vom Anbeginn der Doha-Runde im November 2001 an haben die Regierungen der industriell entwickelten Länder die Forderung der Mehrzahl der WTO- Mitgliedstaaten zurückgewiesen, die Verhandlungen müssten sich auf die Einlösung vergangener Verpflichtungen konzentrieren, eine neue Verhandlungsrunde vermieden werden. Ihr Bestreben war von Anfang an darauf gerichtet, von den sich industriell entwickelnden Ländern eine größere Marktöffnung zu verlangen, selber aber nur minimale Zugeständnisse zu machen.

Agrarhandel

An den Agrarverhandlungen wurde dies ganz deutlich. Selbst wenn die USA sich auf den von Pascal Lamy, dem Generaldirektor der WTO, vorgeschlagenen Kompromiss eingelassen hätten (was sie nicht getan haben), hätte dies immer noch bedeutet, dass die USA ihre Landwirtschaft mit 20 Milliarden Dollar subventionieren dürfen. Und selbst wenn die EU bereit gewesen wäre, ihre Exportsubventionen für landwirtschaftliche Güter auslaufen zu lassen (wozu sie nicht bereit war), wären immer noch 55 Milliarden Euro davon übrig geblieben, die in anderer Form gezahlt werden. Im Gegenzug zu solch minimalen Zugeständnissen aber sollten die sich entwickelnden Länder die Zölle auf Agrarimporte aus den entwickelten Ländern radikal herabsetzen.
Die USA haben sogar versucht, bis zuletzt jeglichen Schutz für die Bauern des Südens zu beseitigen. Ihre Handelsvertreterin Susan Schwab wollte selbst die Ausnahmen, die im Dezember 2005 in Hongkong für "besondere Produkte" und "besondere Schutzmaßnahmen" vereinbart worden waren, wieder rückgängig machen. Diese Maßnahmen sind zwar unzureichend, erlauben den Regierungen jedoch immerhin, die Erosion der lokalen Landwirtschaft zu verlangsamen, indem einige Importe von Zollsenkungen ausgenommen und die Zölle auf subventionierte Importe angehoben werden können.
Wären die WTO-Verhandlungen mit einem solchen Ergebnis ausgegangen, hätte dies bedeutet, dass die Agrarzölle der armen Länder niedergerissen worden wären und diese keine Nahrungsmittelsicherheit mehr gehabt hätten. Der Hunger hätte nochmals massiv ausgedehnt und Hunderte Millionen Menschen wären zusätzlich von Armut bedroht worden. Der Verhandlungsführer der philippinischen Regierung brachte vor dem WTO- Agrarausschuss diese Folgen so zum Ausdruck: "Unser Agrarsektor ist für die Nahrungsmittelversorgung und die Beschäftigung auf dem Land von strategischer Bedeutung. Er ist bereits destabilisiert worden, da unsere Kleinproduzenten von einem im großen Maßstab ungerechten internationalen Handel niedergemäht werden."
Die entwickelten Länder forderten aber nicht nur eine radikale Herabsetzung der Agrarzölle der sich entwickelnden Länder. Sie fordern auch maximalen Marktzugang für ihre Industrie- und andere nicht agrarische Produkte. In diesem Verhandlungssegment haben sie gefordert, dass die Länder des Südens ihre Zölle auf nichtagrarische Güter um 60—70% senken, selber aber nur eine Zollsenkung von 20—30% angeboten. Dies verstößt sogar gegen den WTO-Grundsatz der Gegenseitigkeit. Der Vertreter der Regierung Südafrikas brachte die Frustration der Mehrzahl der Länder des Südens über den Doha-Prozess auf den Punkt: "Die sich entwickelnden Länder werden nicht einwilligen, dass ihre heimische Industrie zerstört wird, weil die entwickelten Länder unannehmbare und irrationale Forderungen stellen."
Die Zerstörung ihrer Landwirtschaft und weitgehende Deindustrialisierung sind nicht der einzige Preis, den die entwickelten Länder für einen erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde gefordert haben. Unter dem Kapitel "Handel mit Dienstleistungen" (GATS) fordern sie das Recht für ausländische Konzerne, Dienstleistungen in den sich entwickelnden Ländern aufzukaufen und zu kontrollieren — zulasten einer Grundversorgung der Armen.

Kosten und Nutzen

Die Länder des Südens und die Zivilgesellschaft weltweit sind inzwischen nicht mehr die einzigen, die davor warnen, dass die Liberalisierung nach Art der WTO den Interessen der sich entwickelnden Welt schadet. Selbst Institutionen, die bislang als scharfe Befürworter der Liberalisierung aufgetreten sind, geben zu, dass die Vorteile, die die Doha-Runde den Armen bringen sollte, stark aufgebläht worden sind. Eine Studie der Weltbank vom Herbst 2005 errechnet für den Fall, dass das "Doha-Szenario" eintritt, Mehreinkünfte für die sich entwickelnden Länder von 16 Milliarden Dollar in zehn Jahren. Das sind 0,16% ihres Bruttosozialprodukts, oder weniger als ein Penny pro Kopf und Tag. Die eine Milliarde Ärmsten der Welt hätten davon eine Einkommenssteigerung von 2 Dollar pro Jahr.
Dabei sind in dieser Studie viele Kosten, mit denen die sich entwickelnden Länder in diesem Szenario belastet würden, nicht einmal berücksichtigt — z.B. die negativen Folgen eines Monopols auf Patente, das den Konzernen unter dem TRIPS-Abkommen zufallen und die Armen zwingen würde, stark erhöhte Preise für lebensrettende Medikamente zu zahlen.
Einige Studien schätzen, dass diese Kosten die sich entwickelnden Länder erheblich mehr belasten und die Handelsliberalisierung ihnen Kosten sparen würden. Die UNCTAD (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) kommt bspw. zu dem Schluss, dass im Doha-Szenario den sich entwickelnden Ländern Zolleinkünfte zwischen 32 und 63 Milliarden Dollar jährlich entgehen würden. Das ist zwei- bis viermal so viel wie die Weltbank an Mehreinkünften errechnet. Und diese Einnahmen fehlen den Regierungen für Ausgaben für Gesundheit, Wasserversorgung, Bildung usw.
Afrika wäre das größte Opfer einer erfolgreichen Doha-Runde gewesen. Beides, die Liberalisierung des Agrarhandels wie auch des Handels mit Industriegütern, bringt diesem Kontinent Nachteile. Selbst für den Fall, dass afrikanische Farmer, die in ihrer Mehrzahl Subsistenzbauern sind, ungehinderten Zugang zu Exportmärkten haben, wären sie nicht konkurrenzfähig. Zusätzlich aber würden sie ihre einheimischen Märkte verlieren.
Freihandel ist so eindeutig ein Hindernis für Entwicklung, dass eine Studie des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) den armen asiatischen Ländern rät, das zu tun, was Japan und Südkorea erfolgreich vorgemacht haben: ihre Schlüsselindustrien mit Zöllen zu schützen, bevor sie sie der ausländischen Konkurrenz aussetzen. Die Regierungen dieser Länder sollten ermutigt werden, in Gesundheit, Bildung, Wasserversorgung und andere Basisdienstleistungen zu investieren, damit Entwicklung möglich und Armut zurückgedrängt wird — und nicht gedrängt werden, sie an ausländische Konzerne zu verkaufen, um des privaten Profits willen.
Handel kann ein Mittel zur Entwicklung sein. Doch das Regelwerk der WTO ordnet Entwicklung dem Freihandel im Interesse der Konzerne unter und drängt sich entwickelnde Länder weiter an den Rand. Es ist Zeit, mit der Illusion aufzuräumen, die Doha-Runde könnte den Armen was bringen. Ihr Scheitern bringt ihnen was. Die Aufmerksamkeit muss jetzt darauf gelenkt werden, welche Alternativen in Form von Regelwerk und Institutionen geschaffen werden können, die an die Stelle der WTO treten und den Armen wirklich nützen.

(Übersetzung: Angela Klein)



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