SoZ - Sozialistische Zeitung |
Bis zum 27.August waren in Berlin zwei Ausstellungen zum selben Thema zu
sehen: die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Ost- und Mitteleuropa am Ende des Zweiten
Weltkriegs. Die eine, im Kronprinzenpalais, vom Bund der Vertriebenen (BdV); die andere,
regierungsoffizielle, vom Deutschen Historischen Museum (DHM) ausgerichtet und als Konkurrenzveranstaltung
gedacht, im Zeughaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
Der Fall der Mauer und die EU-Osterweiterung in ihrem Gefolge haben die Beschäftigung mit dem
Nationalsozialismus und seinen Folgen aus der Zwangsjacke des Kalten Krieges gelöst. Viele Aspekte und
Erinnerungen, die bis dahin tabuisiert schienen, kamen wieder an die Oberfläche, die Verbrechen des
Nationalsozialismus wurden (wenn auch nicht alle) unumwundener zugegeben, das Leiden der Völker
Mittel- und Osteuropas unter der deutschen Besatzung rückte stärker in den Vordergrund;
gleichzeitig wurden die Nachkriegsgrenzen als endgültige bestätigt und sämtliche
Restitutionsansprüche von Deutschen abgelehnt. Der Blickwinkel auf die Ereignisse hat sich etwas
europäisiert das schafft neue Bruchstellen und Widersprüche.
Im Jahr 2000 preschte die 1998 neu
gewählte BdV-Vorsitzende Erika Steinbach mit dem Projekt vor, in Berlin ein "Zentrum gegen
Vertreibungen" zu errichten. Von vornherein stand dieses unter dem Verdacht, die Deutschen
hauptsächlich in der Opferrolle darstellen zu wollen und somit durch die Hintertür doch noch
Restitutionsansprüche geltend zu machen was die Preußische Treuhand GmbH, eine
Organisation, die von den Landsmannschaften Schlesien und Ostpreußen getragen wird, auch betreibt.
Vor allem in der polnischen
Öffentlichkeit stieß das Projekt deshalb auf massiven Widerstand, sodass die Regierung
Schröder sich dem nicht entziehen konnte und beschloss, etwas eigenes entgegenzusetzen. So kamen nicht
nur die beiden Ausstellungen zustande, hinter ihnen stehen auch zwei verschiedene Projekte: Erika Steinbach
will ein (von der CDU/CSU unterstütztes) "Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen",
die Organisatoren der DHM-Ausstellung haben mit Unterstützung der Schröder-Regierung im März
2004 ein europäisches Netzwerk zum Thema "Zwangsmigration und Vertreibungen im
20.Jahrhundert" angestoßen.
Die Ausstellungen zeigen die Unterschiede
beider Ansätze, aber auch die ideologische Fragwürdigkeit beider.
Die BdV-Ausstellung zeigt die üblichen Requisiten von Vertriebenen und Lagerinsassen
Fluchtwagen, wenige Habseligkeiten, die man mitnehmen durfte, Gebrauchsgüter, die aus dem Nichts
unterwegs hergestellt wurden, aber auch Briefpapier und sogar eine Violine aus Brettchen und Suppenknochen
sie dokumentieren, dass den Menschen sein Bedürfnis nach Poesie auch unter solchen
Umständen nicht verlässt. Die Zuordnung der Gegenstände jeweils zu konkret benannten
Personen täuscht eine Unmittelbarkeit vor, die es nicht gibt: Da sie nicht weiter vorgestellt werden
und ihre persönliche Geschichte im Dunkeln bleibt, führen ihre Namen aus der Anonymität
nicht heraus.
Vielleicht ist das auch ganz gut so, wer
weiss, was da ans Tageslicht käme mindestens an einer Stelle ist von einem Mann die Rede,
welcher der lettischen Division angehörte, das war eine SS-Einheit. An anderer Stelle beschreibt eine
Frau, wie rührend ihr auch SS-Leute auf ein Fluchtschiff geholfen haben. Mindestens sind hier auch
Zeugnisse von Menschen untergebracht, die sich zu Recht den Zorn der Vertreiber zugezogen haben.
Eines der Probleme, wenn von "den
Vertriebenen" die Rede ist, besteht ja darin, dass ihr eigenes Zutun zu ihrem Schicksal außen vor
bleibt. Zwar gehört der Verweis auf Rassenideologie, Vernichtungsprogramm und Kriegsschuld der
Deutschen inzwischen zum Standard, daran kommt auch die BdV-Ausstellung nicht vorbei. Aber eines ist es,
den obligaten historischen Verweis zu zitieren, ein anderes, den Lebensweg Einzelner zwischen Sieg-Heil-
Rufen, Freiwilligenmeldung und Vertreibung nachzuzeichnen. "Die" Vertriebenen gibt es nicht
es gibt solche und solche. Lebendig wird so eine Ausstellung erst, wenn diese Vielfalt erscheint.
Davon sind wir noch weit entfernt.
Die Ausstellung ist klein und mündet,
bevor sie die Geschichte der Vertreibungen im 20.Jahrhundert in Form von Texten darstellt in zwei
Trachten: das Recht auf Heimat. Für die Nachgeborenen mag es Folklore sein, für die Damaligen ein
Stück Trauer über Verlorenes es bleibt ein Blick zurück. Und das macht dieses Recht
ungewollt so fragwürdig. Sind es nicht viele Völker, die sich gegenseitig das Heimatrecht
streitig machen würden? Und würde einmal ganz abgesehen von der Diskussion über die
Kriegsursachen das Beharren darauf von einer Seite nicht erneut zu schweren Zerwürfnissen und
neuen Feldseligkeiten führen? Die Ausstellung verwahrt sich gegen den Vorwurf, sie würde
revanchistische Ressentiments nähren und neuen Nationalismus entfachen. Doch das "Recht auf
Heimat" widerspricht dem, denn es impliziert das Recht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Die Vertriebenen von damals aber leben heute nicht mehr in Lagern, sie haben sich eine neue Existenz
aufgebaut eine andere Grundlage kann es für zukunftsgerichtete Politik nicht geben.
Fragwürdig ist auch der Rahmen, in den die Vertreibung der Deutschen gestellt wird. Beide
Ausstellungen beginnen nämlich nicht mit dieser, sondern mit dem Völkermord an den Armeniern und
der Vertreibung der Griechen aus der Türkei. Bei ersterem ist die "gute Seite" eindeutig
umso fragwürdig ist die Parallele. Denn anders als bei den Deutschen war die Vertreibung der
Armenier nicht die Folge ihrer eigenen Großmachtpolitik. Die Einebnung des Unterschieds verzerrt die
Perspektive.
Im zweiten Beispiel wird die Geschichte auf
den Kopf gestellt. Nichts informiert darüber, dass Griechenland 1920 den Krieg gegen die Türkei
anzettelte, weil es den Versailler Vertrag so auslegte, dass er die Bildung eines
"großgriechischen Nationalstaats" unter Einverleibung großer Teile der Türkei
erlaubte; der Versailler Vertrag wollte die Türkei damals zwischen Griechenland, Armenien, Kurdistan,
Italien sowie französischen und britischen Protektoraten aufteilen; für einen eigenständigen
türkischen Staat sollte wenig mehr als eine kleine Region um Ankara bleiben. Es gibt auch nirgends
einen Hinweis darauf, dass damals ebenso Türken aus Griechenland vertrieben wurden, wenn auch nicht so
viele wie umgekehrt.
Die Verantwortung des Kolonialismus der
Großmächte für Flucht und Vertreibung ist gewaltig, doch beide Ausstellungen verschweigen
sie schamhaft. Am ehesten springt die Doppelzüngigkeit noch bei der BdV-Ausstellung ins Auge
denn diese endet u.a. mit dem Ausblick auf den Jugoslawienkrieg. Der Auslöser dieses Kriegs aber war
die Zerlegung Jugoslawiens in verschiedene Nationalstaaten und dies geschah unter dem Schlachtruf
des "Selbstbestimmungsrechts der Völker" und maßgeblich auf deutsche Initiative.
Anderes fehlt gänzlich, wie die Tausende Republikaner, die nach der Niederschlagung der spanischen
Republik auf der Flucht vor der Franco-Diktatur ins Exil mussten. Die französische und britische
Regierung waren daran nicht weniger schuld als die deutsche und italienische und es war der Auftakt
zum Zweiten Weltkrieg. Wie kann so ein Ereignis fehlen in Ausstellungen, die sich an eine
"europäische" Geschichte der Vertreibungen heranwagen?
Es liegt auf der Hand, dass eine
europäische Geschichte der Vertreibungen nicht anders zu schreiben ist denn als europäische
Geschichte des Imperialismus und der Kriege seit der Gründung des Deutschen Reiches und der Berliner
Konferenz von 1878. Das aber vermeiden beide Ausstellungen peinlich und picken sich "ihre Opfer"
aus dem Zusammenhang. Der europäische Bezug überwindet deswegen auch an keiner Stelle die
deutsch(national)e Sichtweise, im Gegenteil: beide Ausstellungen bleiben in ihr befangen und addieren die
anderen Vertreibungen nur wie Fremdköper, ohne inneren Bezug zueinander.
Die Ausstellungen zu besuchen, ist frustrierend: Sie erzählen nichts, was durchschnittlich
Gebildete nicht schon wüssten, sie erklären nichts und sie haben kaum eine Botschaft. Das Recht
auf Heimat in der BdV-Ausstellung ist nur noch ein Trachtenkleid; in der DHM-Ausstellung fehlt die Message
gänzlich, sie entlässt den Besucher verwirrter als er hineingegangen ist.
Anders als beim BdV kommen Zeitzeugen hier
ausführlich zu Wort und der zeitgeschichtliche Hintergrund wird parallel dazu aufgearbeitet. Aber die
verschiedenen Phasen und Aspekte sind nicht miteinander verbunden; der NS-Propagandafilm steht
beziehungslos neben späteren Dokumenten. Am deutlichsten wird dies an der Darstellung des BdV selbst.
Dessen revanchistische Propaganda steht ungerührt neben Willi Brandts Ostpolitik, als sei beides
zusammen möglich gewesen, und am Schluss spürt man zwar eine gewisse Erleichterung darüber,
dass die Geschichte auf der Seite Brandts stand und nicht auf der Seite von Hupka (oder Strauß), aber
irgendwie ist es vom Himmel gefallen, ohne so recht eigenes Zutun, und der BdV wird dennoch geehrt, dass er
das Recht auf Heimat hochgehalten hat, obwohl es ein Rohrkrepierer der Geschichte war, und die DDR wird
eingestampft, weil sie mit dem Görlitzer Vertrag die Oder-Neiße-Grenze schon 1950 anerkannt hat.
Die DHM-Ausstellung versucht, an allen
Existenzlügen der (West-)BRD festzuhalten und sie gleichzeitig hinter sich zu lassen, weil die
Geschichte nun mal anders ausgegangen ist. Den Vorwurf des heimlichen Revanchismus kann man ihr nicht
machen, wohl aber den Vorwurf, ein hoffnungslos fragmentiertes Geschichtsbild zu übermitteln, das nur
deshalb wahrscheinlich wenig Schaden anrichtet, weil es niemand versteht.
Der Begleitband zur Ausstellung ist
deutlich besser und durchaus lesenswert, aber er verfängt sich in denselben Widersprüchen.
Auch in diesem Fall könnte eine
wirklich europäische Perspektive helfen, die Dinge gerade zu rücken. Wie wäre es damit: Man
findet aus ein- und demselben Dorf in Polen einen antifaschistischen Volksdeutschen, einen aus dem Reich
umgesiedelten Nazi-Anhänger, einen Rotarmisten, einen umgesiedelten Ostpolen und einen Vertreter der
neuen polnischen Verwaltung lässt sie erzählen und bringt ihre Geschichten in einen
Zusammenhang? Da prallen Welten aufeinander. Wenn wir das dargestellt kriegen, können einige Wunden,
die das 20.Jahrhundert geschlagen hat, wieder heilen.
Angela Klein
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04