SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, September 2006, Seite 24

14.08.1956

Der anstößige Brecht

Zum 50.Todestag von Bertolt Brecht am 14.August — und im Rahmen unserer neuen Serie mit wiederabgedruckten SoZ- Beiträgen aus Anlass des 20-jährigen Jubiläums unserer Zeitung im kommenden Oktober — bringen wir an dieser Stelle einen Beitrag von JAKOB MONETA, der zuerst in SoZ 4/88 zum 90.Geburtstag des Dichters und Dramatikers erschienen war.

Gerhard Zwerenz erinnerte 1988 in der Frankfurter Rundschau an Brechts 90.Geburtstag: "Auf der 5.Tagung des ZK der SED im März 1951, auf der gegen Formalismus in Kunst und Literatur, für eine ‘fortschrittliche‘ deutsche Kultur ‘gekämpft‘ wurde, war Brecht die Zielscheibe von Angriffen. Politbüromitglied Fred Oelsner fand in Brechts Mutter historisch falsche und politisch schädliche Szenen. Walter Ulbricht gab in der Debatte zum Besten, es habe schon ‘vor Hitler Entartete‘ gegeben, und so floss die Kritik munter fort, an die sich keiner mehr erinnern will."
Auch in der BRD ist längst verdrängt, welchen Pöbeleien dort damals Brechts Theater ausgesetzt war und wie sehr das abschreckend wirkte. Ich erinnere mich an einen Besuch im Kölner Schauspielhaus zusammen mit Heinz Kühn, dem späteren Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, der damals mein Chefredakteur in der Rheinischen Zeitung war. Das Berliner Ensemble spielte Mutter Courage mit Helene Weigel — eine Aufführung, die uns von den Stühlen riss, von denen allerdings nur etwa 30 besetzt waren. Die antikommunistische Propaganda hatte Wirkung gezeigt. Dieses damals größte deutsche Theater, das Berliner Ensemble, spielte praktisch vor leeren Rängen.

Als Brecht drei Monate vor seinem Tod in der Berliner Charité die Folgen einer Virusgrippe auskurieren wollte, schrieb er:

"Als ich im weißen Krankenhaus der Charité
Aufwachte gegen Morgen zu
Und die Amsel hörte, wusste ich
Es besser. Schon seit geraumer Zeit
Hatte ich keine Todesfurcht mehr. Da ja nichts
Mir je fehlen kann, vorausgesetzt
Ich selber fehle. Jetzt
Gelang es mir, mich zu freuen
Alles Amselgesanges nach mir auch."

Am 14.August 1956 starb er. Danach sangen nicht nur Amseln wie zuvor. In beiden Deutschland erklangen von nun an nur noch Loblieder für ihn, der zuvor doch oft genug geschmäht worden war.
Müßig darüber zu streiten, wie groß Brecht war, ob er gar der größte von allen gewesen ist. Mehr als alle anderen gab er Denkanstöße, und häufiger als die meisten war er selber ein Stein des Anstoßes. Karl Marx konnte es sich leisten, den reaktionären Honoré de Balzac als den größten realistischen Schriftsteller zu verehren. Georg Lukács erlaubte sich, die "künstlerischen Verdienste" von Joseph Roths Radetzkymarsch trotz dessen erzkonservativer Schwächen zu loben. Nur so konnnte er "bis in die Tiefen hinein die innere Welt seiner Beamten und Offiziere ausleuchten".
Dem anstößigen Brecht wurde sein Kommunismus im Westen des geteilten Deutschland niemals ganz verziehen. Und auch im Osten verstand er es nach seiner Rückkehr aus der Emigration, sich unbeliebt zu machen. Weil die Parteifunktionäre die Sprache derer nicht mehr verstanden, mit denen sie einst "das unerträgliche Leben in der Tiefe" geteilt hatten, schrieb er:

"Jetzt
Herrschen sie und sprechen eine neue Mundart
Nur ihnen selber verständlich, das Kaderwelsch
Welches mit drohender und belehrender Stimme gesprochen wird
Und die Läden füllt — ohne Zwiebeln."

Dabei hatte er doch das "Lob der Partei" gesungen! "Der Einzelne hat zwei Augen / Die Partei hat tausend Augen / ... Der Einzelne kann vernichtet werden / Aber die Partei kann nicht vernichtet werden." In seinem ersten kommunistischen Lehrstück — Die Maßnahme (1930) — schildert er, wie ein junger Genosse von der eigenen Partei erschossen wird, weil er gegen ihre Taktik rebelliert. "Dann erschossen wir ihn", berichten die Agitatoren, und der "Kontrollchor" antwortet: "Wir sind einverstanden mit euch."
Im gleichen Jahr 1930 hatte Wladimir Majakowski im Schwitzbad die Bürokratie bereits gehörig aufs Korn genommen. Den Sekretär des "Chefvorstands der Hauptverwaltung für Koordinierung und Kompromissprojektierung" — er nannte ihn "Optimistelzweig" — schildert er mit "geleckter Glatzspiegelwölbung", auf der man nur "seine Vorgesetzten abgebildet" sah. Die Augen des Chefvorstands selber "sind vollgelaufen von Zufriedenheit und Seelenruhe. Was erblickt man auf solchen Augen? Den Sozialismus? Nein, nur das Tintenfass und die Löschwiege"! Als die Vision des Kommunismus in Gestalt einer "phosphoreszierenden Frau" aus dem Jahr 2030 auftaucht und dem Chefvorstand den Spiegel vorhält, heult dieser auf: "Was wollt ihr mit alledem sagen? Etwa dass ich und meinesgleichen unnütz sind im Kommunismus?"
Kein Wunder, dass die parteiamtlichen Kritiker das Stück zerfetzten. Es musste vom Spielplan verschwinden, und die Hetze, die nun einsetzte, trieb Majakowski in den Selbstmord.
Gewiss, Moskau 1930 und Berlin 1930 waren zwei verschiedene Welten. Brecht hatte gerade erst begonnen, sich in der Welt des Marxismus und des "dialektischen Theaters", wie er das epische Theater später nannte, zurechtzufinden. Aber er lernte schnell. Wer hat das Gangstertum der Bourgeoisie so plastisch gemacht wie er in seinem Dreigroschenroman: "Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?"
Die Tugenden von Ordnung, Sauberkeit, Friedensliebe, so sehr gepriesen und missbraucht, dieses schillernde Gedankengerüst der bürgerlichen Gesellschaft, wie gut konnte er es zum Einsturz bringen. So etwa in den Flüchtlingsgesprächen:
"Der ordentlichste Mensch, den ich im Leben kennengelernt habe, war einer namens Schiefinger im Lager Dachau, ein SS-Mann. Man hat von ihm erzählt, dass er seiner Geliebten nicht gestattet hat, an einem andern Tag als am Samstag und bei einer andern Tageszeit als am Abend mit dem Hintern zu schwenken, auch nicht aus versehen. Sie hat die Limonadenflasche im Wirtshaus nicht mit feuchtem Boden aufn Tisch stellen dürfen. Wenn er uns mit der Lederpeitsch geprügelt hat, ist er so gewissenhaft vorgegangen, dass die Striemen, die er verursacht hat, ein Muster gegeben haben, das jeder Untersuchung mitm Millimetermaß hätt standhalten können. Der Ordnungssinn ist so in ihm dringesteckt, dass er lieber nicht geprügelt hätt als unordentlich."
Und über den Krieg ließ er Ziffel in den Flüchtlingsgesprächen sagen:
"Der Hitler weiß wenigstens, dass es keinen Kapitalismus ohne Krieg geben kann. Was die Liberalen nicht wissen." Sein Gesprächspartner Kalle darauf: "Sie denken immer noch, sie können einen Metzger haben, aber ihm das Schlachten gesetzlich verbieten." Dann wieder Ziffel mit bestechender Dialektik: "Das ist ein wundervolles Feld für einen humorliebenden Menschen. Ist Ihnen klar, dass die beste Lösung für die bange Frage ‘Wie kann man freien Wettbewerb haben und doch keine Anarchie?‘ die Kartelle sind? Und natürlich führen gerade die Versuche der Kartelle, eine internationale Ordnung herzustellen, zu den internationalen Kriegen. Die Kriege sind nichts als Versuche, den Frieden zu erhalten."

Brechts "Lob des Lernens" bezog sich nicht nur auf den Mann im Asyl, im Gefängnis, den Obdachlosen und Frierenden, die Frau in der Küche oder die Sechzigjährige, die als Hungrige zum Buch als Waffe greifen sollten, weil sie die Führung übernehmen müssen. Er selbst lernte, sein Leben lang. Zwischen der Maßnahme und dem "Lob der Partei" und der "Resolution der Kommunarden" liegen nicht nur einige Jahre, sondern auch Lernprozesse:

"In Erwägung, dass wir der Regierung
Haben wir beschlossen, unter eigner Führung
Uns nunmehr ein gutes Leben aufzubaun.
In Erwägung: ihr hört auf Kanonen —
Andre Sprache könnt ihr nicht verstehn —
Müssen wir dann eben, ja, das wird sich lohnen
Die Kanonen auf euch drehn!"

Das machte das spätere Drama Die Tage der Commune (1948) für die DDR zu einem heiklen Thema. Unter "eigner Führung ein gutes Leben aufzubaun" — wo blieb da die Partei? Darum wurde das Stück zunächst zurückgestellt. Brecht geriet mit wichtigen Kulturpolitikern in Streit, weil sie den von der Bourgeoisie dem Proletariat aufgezwungenen schlechten Geschmack als Maßstab nahmen, wie Brecht bemängelte. Weil sie Kritik und Risiken scheuten und Künstlern Vorschriften machten, was Opportunismus und Unterwürfigkeit fördern musste. "Von geduckten Leuten bekommt man nicht leicht souveräne Werke", warnte Brecht. Aber Gehör fand er nicht!

"Nach dem Aufstand des 17.Juni
Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands
In der Stalinallee Flugblätter verteilen
Auf denen zu lesen war, dass das Volk
>Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
Nicht doch einfacher, die Regierung
Löste das Volk auf und
Wählte ein anderes?"

Immer wieder kam Brecht auf das Volk zurück, dessen Weisheit für den Aufbau des Sozialismus nicht gefragt war:

"Ich habe gewusst, dass Städte gebaut wurden
Ich bin nicht hingefahren.
Das gehört in die Statistik, dachte ich
Nicht in die Geschichte.
Was sind schon Städte, gebaut
Ohne die Weisheit des Volkes?"

Die preußischen Gewohnheiten störten ihn auch in der DDR:

"Die Teller werden hart hingestellt
Dass die Suppe überschwappt.
Mit schriller Stimme
Ertönt das Kommando: Zum Essen!
Der preußische Adler
Den Jungen hackt er
Das Futter in die Mäulchen."

Das führte ihn nochmals zur Frage:

"Wie soll die große Ordnung aufgebaut werden
Ohne die Weisheit der Massen? Unberatene
Können den Weg für die vielen
Nicht finden.
Ihr großen Lehrer
Wollet hören beim Reden!"

Und im Westen? Für Totalitarismustheoretiker wie Hannah Arendt war Brecht ein Sünder, weil er für die DDR Partei ergriffen hatte; damit habe er auch sein Werk beschädigt. Dass er die "großen Lehrer" mahnte, beim Reden zuzuhören, auf die Weisheit der Massen setzte und ihre verändernde Kraft, wollten sie nicht wahrhaben. Sie waren nicht nur gegen Brecht, sondern gegen jede Form von Sozialismus. Der Umschwung in der BRD kam mit dem weltweiten Erfolg von Brecht, von dem allein von 1956 bis 1966 in 53 Ländern 1436 Inszenierungen gebracht worden waren. Solange die beruhigende wirtschaftliche Prosperität in der BRD anhielt, konnte überdies auch Brecht die Massen nicht beunruhigen.

Jakob Moneta

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