SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 05

Nach den Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern

Wie weiter mit der linken Neuformierung?

Michael Aggelidis

Michael Aggelidis ist Mitglied im WASG- Landesvorstand NRW und aktiv im Netzwerk Linke Opposition.

Die 5%-Hürde wurde von den Berliner WASG-Aktiven nicht genommen. Der respektable Achtungserfolg führte aber immerhin zu einer gewichtigen Verankerung in den Bezirksverordnetenversammlungen. Damit ist bewiesen, dass die WASG Berlin den Sprung über die 5%-Hürde locker geschafft hätte, wenn Oskar Lafontaine und die Bundespartei sie im Wahlkampf unterstützt hätten. Überdeutlich ist auch geworden, dass Lafontaines innerparteiliches Kalkül, die neoliberalen Hardcors in der LPDS nicht zu verärgern, um die "Einheit der Linken" nicht zu gefährden, in sich zusammenbrach. Weder ließ sich die Wählerschaft täuschen, noch wurde die WASG dadurch innerhalb des Vereinigungsprozesses gestärkt.
Die Situation ist paradox: Objektiv ist die WASG-Linke gestärkt aus dieser politischen Auseinandersetzung hervorgegangen, subjektiv sind sicher etliche — vor allem Berliner — enttäuscht. Vor allem die Frage, wie es nunmehr politisch weitergeht, muss uns bewegen.
Folgende Linien erscheinen mir maßgeblich:
1. Die Linke in diesem Land muss eine politische Kraft werden und sich zugleich als soziales Netzwerk entwickeln. Berlin wird eine gewichtige Rolle hierbei spielen. (Von dieser Frage unabhängig muss übrigens die Frage diskutiert werden, ob man aus unterschiedlichsten Gründen die Heimat innerhalb der fusionierten Partei sieht oder außerhalb.)
2. Diese konsequent antineoliberale Kraft sollte Aktiven innerhalb und außerhalb der fusionierten Partei in ihren Reihen organisieren und muss für Dritte als eigenständig handelndes politisches Subjekt erkennbar sein. Dazu wird es eine Debatte in der nichtsektiererischen Linken insgesamt geben müssen. Meines Erachtens sollte sich diese Linke als Netzwerk organisieren.
3. Ein solches Netzwerk für eine solidarische Politik muss sich der — oftmals ungeliebten — sozialen Arbeit vor Ort widmen, in den Stadtteilen, in den sozialen Brennpunkten. Sie muss es schaffen, die Entrechteten, die Erwerbslosen nicht nur zu organisieren, sondern diese zur Selbstorganisation zu ermutigen. Selbstorganisierte Volksküchen gehören dazu, es geht dabei nicht um Mitleid, sondern um die gelebte Solidarität.
Niemand soll vergessen sein: Diese Botschaft muss diese neue antineoliberale Linke an alle senden. Immer mehr Menschen können sich in diesem reichen Land nicht mal mehr etwas zu essen leisten. Die neue Linke muss diese Menschen ansprechen. Die damit verbundenen finanziellen Probleme sind lösbar, wenn über die oben genannten politischen Ziele Einigkeit erzielt werden kann. Die politische Botschaft, die von so einem Engagement ausgehen kann, wäre erfolgreicher als das Verteilen der sicherlich unverzichtbaren Flugblätter vor einer Wahl.
Hat die Linke in diesem Land die Kraft und den Mut, die noch vorhandenen (scheinbaren) Gräben zu überwinden und sich zu verständigen, jenseits der etablierten Apparate? Die Zeit dafür ist überreif.

Inge Höger

Inge Höger ist MdB und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion und engagiert sich in der Strömung der "Antikapitalistischen Linken".

Einerseits zeigt das Wahlergebnis der Linkspartei in Berlin, dass die Wählerinnen und Wähler kaum Unterschiede zwischen der Politik von SPD und Linkspartei erkennen konnten. Sie haben entweder gleich das Original gewählt oder sich enttäuscht abgewandt und nicht gewählt. Der WASG hingegen ist es gelungen, aus dem Reservoir der Frustrierten Stimmen zu gewinnen. 3% sind — unter den gegebenen Umständen — ein beachtliches Ergebnis.
Andererseits zeigt das relativ gute Abschneiden der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern, dass eine andere Politik, die auch in einer Regierungsbeteiligung eigene linke Akzente setzt, durchaus honoriert wird.
Trotzdem war in beiden Bundesländern die Wahlbeteiligung niedrig. Die Unzufriedenheit der Menschen mit den Ergebnissen der parlamentarischen Politik wächst. Wo die Linke diese Enttäuschung nicht aufgreift, füllen Neonazis das Vakuum mit leeren Versprechungen und Hetzparolen. Ihre Erfolge in MV und in Berliner Stadtbezirken verdankt sie auch der Tatsache, dass es der Linken nicht gelungen ist, insbesondere die Verliererinnen und Verlierer des Sozialabbaus von ihren Alternativen zu überzeugen.
Nach diesem Wahlergebnis kann es in Berlin ein "Weiter so" bei der Linkspartei nicht geben. Die SPD kann sich die Koalitionspartnerin aussuchen, eine Wahlverliererin wird kaum Bedingungen für eine andere Politik stellen können. Sollte die Linkspartei in Berlin wirklich einfach so weiter machen, wäre dies eine Belastung für den Parteibildungsprozess. Viele Kritiker würden sich bestärkt sehen in der Annahme, dass Veränderungen in der Politik der Linkspartei, nicht wirklich gewollt sind.
Wenn jetzt keine offensive und solidarische Diskussion über Regierungsbeteiligungen, über Programm und Statut der neuen Linkspartei in allen Gliederungen geführt wird, könnte der Prozess in der WASG in Resignation umschlagen.
Es geht um eine klare Positionierung gegen Kriegseinsätze, gegen Privatisierungen, für den Erhalt und Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge, gegen Sozialabbau und Lohndumping, für eine Umverteilung von Zeit und Geld. Ebenso wichtig sind starke Rechte für die Mitglieder in der neuen linken Partei, Rechte für Arbeits- und Interessengruppen, die Trennung von Amt und Mandat — um zu verhindern, dass Fraktionen und Apparate die Politik der neuen Linken bestimmen.
In diese Programmdiskussion sollten zudem Meinungen und Ansichten vieler anderer Gruppierungen mit einfließen. Wer den Parteibildungsprozess ernst nimmt, kommt um eine intensive Vernetzung mit den sozialen Bewegungen und außerparlamentarischen Gruppierungen nicht vorbei. Aus diesen heraus kommen auf vielfältige Weise diejenigen Anregungen und Ideen, die ein "Weiter so" in Sachzwangmentalität und Kosten-Nutzen-Vorstellungen zukünftig unmöglich werden lassen.
Alle drei Dinge — eine klare Handschrift der Linken auch in Regierungsbeteiligungen, gestützt auf eine linke programmatische Grundlage, gestärkt durch eine tiefe Verwurzelung in den sozialen Bewegungen — werden in Zukunft die Richtung für die parlamentarische Arbeit der Linken vorgeben.

Jürgen Klute

Jürgen Klute war 2005 Spitzenkandidat der WASG NRW und ist heute Mitglied im WASG-Bundesvorstand und aktiv in der Strömung der "Sozialistischen Linken".

WASG und Linkspartei.PDS (LPDS) haben die Wahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern mit Spannung erwartet. Trotz des Fusionskurses beider Parteien sind die WASG-Landesverbände in beiden Ländern in Konkurrenz zur LPDS angetreten. Innerhalb der WASG haben die konkurrierenden Wahlantritte zu heftigen Auseinandersetzungen um deren Sinnhaftigkeit geführt. Nun liegen die (Wahl-)Ergebnisse auf dem Tisch.
In beiden Ländern haben die Wählerinnen und Wähler über die politischen Leistungen einer rot-roten Regierung zu entscheiden gehabt. Keine der beiden rot-roten Regierungen hat die Bürgerinnen und Bürger so überzeugen können, dass sie eine überzeugende Bestätigung erhalten hätten. Ob die Koalitionen fortgesetzt werden, ist fraglich. Allerdings ist jeweils nur einer der Koalitionspartner mit Stimmenentzug bedacht worden: In Berlin hat die LPDS empfindliche Verluste einstecken müssen, in Mecklenburg-Vorpommern die SPD. Der jeweils andere Regierungspartner konnte jeweils geringfügige Stimmenzuwächse verbuchen. Beide rot-rote Regierungen sind also von den Bürgerinnen und Bürgern nur als das tolerablere Übel gewertet worden.
Die — wenn auch mäßigen — Verluste der CDU in beiden Ländern lassen sich nur so interpretieren, dass die Wählerinnen und Wähler die rückwärts gewandten Politikkonzepte der CDU nicht als Alternative zur bisherigen rot-roten Landesregierung akzeptieren.
Der WASG ist es in beiden Ländern nicht gelungen, die 5%-Hürde zu überspringen. Weder die abgesprungenen Linkspartei- WählerInnen in Berlin noch die abgesprungenen SPD-Wähler in Mecklenburg-Vorpommern konnte sie für sich gewinnen. Wie die gegenüber den letzten Wahlen rückläufige Wahlbeteiligung zeigt, konnte sie auch keine Nichtwähler mobilisieren.
Wie die Ergebnisse bei einem gemeinsamen Wahlantritt von WASG und Linkspartei ausgesehen hätten, darüber lässt sich nur spekulieren. Eindeutig ist hingegen, dass der konkurrierende Alleinantritt die WASG in Berlin (3%) und in Mecklenburg- Vorpommern (0,5%) zu einem Misserfolg geführt hat. Weder eine zerstrittene Linke noch eine linke Fundamentalopposition wird von den Wählerinnen und Wählern als politische Alternative ernst- bzw. angenommen.
Dabei zeigen die Wahlergebnisse, dass politische Alternativen gefragt sind — tendenziell linke, wie die Absagen an die CDU und der Stimmenzuwachs der Grünen in Berlin anzeigen. Gelingt es der Linken nicht, ihre Zerstrittenheit hinter sich zu lassen und eine politische Streitkultur sowie überzeugende linke Alternativen zu entwickeln, die den Bürgerinnen und Bürgern ihre Anteile am gesellschaftlichen Reichtum und an Produktivitätsfortschritten sichern, also zu einem Mehr an Verteilungs- und sozialer Gerechtigkeit führen, dann überlässt sie in unverantwortlicher Weise den Rechten die politische Bühne, wie der Stimmenzuwachs der NPD in Mecklenburg-Vorpommern zeigt.

Ekkehard Lieberam

Ekkehard Lieberam ist Sprecher des Marxistischen Forums Sachsen in und bei der Linkspartei.

Der freie Fall der Linkspartei in Berlin war in der Tendenz vorauszusehen, wenn auch nicht in einem derartigen Ausmaß. Der Wahlantritt der WASG war sinnvoll als Versuch, der absehbaren Niederlage der Regierungslinken durch einen Erfolg der antikapitalistischen Linken zu begegnen. Das Ergebnis, 2,9% der Wählerstimmen und der Einzug in sieben Bezirksversammlungen, lag unterhalb der Hoffnungen, war aber immerhin ein Achtungserfolg.
Der bisherige Parteibildungsprozess hat an Schwung verloren. Er steckt in einer Sinnkrise, deren entscheidende Ursache der in Berlin besonders schreiende Widerspruch zwischen Worten und Taten ist, zwischen der Selbstdarstellung als Linke einerseits und der Bereitschaft, neoliberale Politik mit umzusetzen, andererseits. Man kann nicht den Kampf gegen den Neoliberalismus zum Markenzeichen der "neuen Linken" erklären, den Verfechtern einer Teilhabe an der neoliberalen Politik gegen deren Kritiker aber dann den Rücken stärken. Dieses politische Konzept hat sich als untauglich erwiesen. Aber auch das WASG-Ergebnis reicht kaum für ein Aufatmen.
Prominente Vertreter der antikapitalistischen Linken haben sich programmatisch, aber kaum politisch zu Wort gemeldet. Offensichtlich stehen sie mit dem Rücken an der Wand. Besonders in der Linkspartei hat sich eine Sozialschicht von Abgeordneten, Parlaments- und Parteimitarbeitern mit eigenen Interessen gebildet, die sich von denen ihrer Wähler erheblich unterscheiden. Diese hat auch im Vereinigungsprozess das Sagen. Sie ist darauf bedacht, ihre eigenen Existenzbedingungen pekuniär und personell zu verbessern. Voraussetzung dafür ist eine gesellschaftliche Ruhelage. Dass sie diese im entfesselten Kapitalismus auf der Seite der Regierenden nicht finden wird, wurde in Berlin demonstriert. Dass derzeit Regierungsbeteiligung unweigerlich darauf hinausläuft, die Partei schlechter zu machen (nicht unbedingt die Regierung), nehmen ihre Vertreter in Kauf. Diejenigen, "die sich den Denkschemata kapitalistischer Politik unterwerfen", entbehren nun einmal der "politischen Intelligenz", erkannte schon Wolfgang Abendroth.
Wir sollten uns von Illusionen frei machen und das Machbare angehen. Der Einfluss der Neoliberalen in der sich bildenden Linkspartei kann kaum noch beseitigt, aber doch wohl zurückgedrängt werden. Möglich und notwendig ist der Kampf um einen starken antikapitalistischen linken Flügel, den die LPDS nie hatte. Auch die Linke außerhalb der beiden Parteien sollte dabei einbezogen werden. Die Linke Opposition in der WASG, die Antikapitalistische Linke, die KPF, das Marxistische Forum und der Geraer Dialog müssen sich gemeinsam zu Wort melden. Dringend geboten ist so u.a. ein gemeinsamer Kongress zur Programmatik und Politik im Zuge des Vereinigungskongresses mit einem klaren antikapitalistischen Profil.

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