SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 06

Mecklenburg-Vorpommern

Rechts und links, links und rechts

Die rechtsextreme und neofaschistische NPD zieht in Mecklenburg-Vorpommern (MV) mit 7,3% der Wählerstimmen (alle Angaben: vorläufiges amtliches Endergebnis) und 6 Abgeordneten für 5 Jahre in den Schweriner Landtag ein. Mit 28,8% hat die CDU ihr bisher schlechtestes Wahlergebnis eingefahren. Die SPD ist mit ihren 30,2% in etwa auf dem Stand von 1994 und hat fast 10 Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl 2002 verloren.
Die Linkspartei.PDS (LPDS) hat mit 16,8% ihr Wahlergebnis von 2002 (16,4%) wiederholt, nachdem sie damals — nach ihrer ersten Regierungsperiode — bereits 8%-Punkte und 7 Landtagssitze verloren hatte. Die eigenständig angetretene WASG war nicht wahrnehmbar. Erstmals seit 1994 ist die FDP wieder im Landtag vertreten, mit 7 Abgeordneten. Die Grünen sind mit 3,4% erneut gescheitert.
SPD und LPDS, die seit 1998 koalieren, werden mit 36 Sitzen noch eben eine Mehrheit von einer Stimme im Parlament haben. CDU und FDP haben zu wenig, um eine Koalition (wie 1990/94) zu bilden. Bei den Ergebnissen von CDU und vor allem SPD schlugen sich auch Frust über Agieren und Politik der großen Bundeskoalition nieder. Mit 59,2% (2002: 70,6%) haben weitaus weniger Wahlberechtigte einen Sinn in ihrer Stimmabgabe sehen können, als bei allen bisherigen Landtags- und Bundestagswahlen in MV.
Diese Tatsachen und vor allem der Einzug der NPD in ein weiteres Landesparlament sind Ausdruck dafür, dass durch bürgerliche Demokratie Interessen von Mehrheiten der Bevölkerung immer weniger in Politik umgesetzt werden können und dass dem Einfluss autoritärer Ideologien und Herrschaftsvarianten, bis hin zu neofaschistischen Parteien, immer weniger entgegengewirkt wird.

NPD auf Erfolgskurs

Bekanntlich hat MV seit dem Anschluss der DDR kontinuierlich die höchste Arbeitslosigkeit im Bund (in manchen Regionen über 30%). In der Armutsstatistik, bei der Abwanderung junger Menschen, dem Ausbeutungsgrad der Erwerbstätigen, dem prozentualen Anteil der Menschen, die von Sozialhilfe und 1- Euro-"Arbeitsgelegenheiten" leben müssen, steht MV ganz oben.
Auf diesem Boden der Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit haben Rechtsextreme und Neofaschisten über Jahre hinweg, unter aktiver Mitwirkung aus den alten Bundesländern, und infolge inkonsequenter Landespolitik gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit, nicht nur Protestwähler gewonnen, sondern stabile geistige Positionen und reale Strukturen im Land aufgebaut: Mit einer Doppelstrategie von Bürgernähe, "sozialem Mitgefühl und Engagement" bis zu Kinderfesten usw. einerseits und Gewaltdrohung gegen antifaschistische Akteure und widerständige Bürger andererseits.
Antikommunismus in Land und Bund und die zunehmend ausländerfeindliche und militarisierte Bundespolitik haben das Ihre dazu beigetragen, den giftigen gesamtdeutschen Sumpf als Nährboden für Neofaschismus in MV besonders fruchtbar zu machen. Die NPD hat zudem die Sehnsucht vieler Menschen nach den sozialen Errungenschaften der DDR demagogisch für ihre Zwecke missbraucht.
Erste Analysen ergeben, dass die NPD 12000 Nichtwähler und zudem Wähler aus allen anderen Parteien gewonnen hat. Ihre größte Wählerschicht sind Arbeitslose und Arbeiter, Männer zumeist, wie ihr Parteipotenzial. Von den 18- bis 24-Jährigen haben 15% diese Partei gewählt. Rechtsextremismus ist inzwischen eine soziale Bewegung geworden.
Soziologische Untersuchungen gehen davon aus, dass rund 30% der Bevölkerung in MV bis hinein in Mitglieder- und Wählerpotenziale der Linken, fremdenfeindlichem und rechtsextremem Gedankengut verhaftet sind. Da ist Mitverantwortung der LPDS, die 8 Jahre mitregiert hat, nicht abzuwiegeln, wie es der Spitzenkandidat der Partei W.Methling am Wahlabend und im Neuen Deutschland vom 18.September tat.

Der Misserfolg der LPDS

Selbstverständlich hat sich die Enttäuschung bei den am meisten Benachteiligten Luft gemacht, dass es "die Linken in der Regierung" entgegen ihrer Versprechen "auch nicht besser können". Und die LPDS ist seit langem nicht mehr als Opposition zu dieser kapitalistischen Gesellschaft wirksam geworden, sodass die NPD als einzige Opposition wahrzunehmen war. Medienvertreter sprachen vom "Kuschelwahlkampf" der LPDS für "unsere schöne Heimat".
Oskar Lafontaine hat bei vielen Wahlkampfveranstaltungen in MV noch immer ein paar Grundpositionen z.B. gegen den Libanoneinsatz des deutschen Militärs, gegen Privatisierung, für Vermögensumverteilung von Reich auf Arm emotional wirksam eingebracht, sonst hätten sicher noch weniger Linke für die LPDS gestimmt. Allerdings hat er aus seinen generellen Minimalanforderungen an linke Politik und Regierungsbeteiligungen keine konkreten Schlussfolgerungen für Berlin und MV gezogen, sondern das Mitregieren letztlich immer bejaht.
Der Wahlkampf der LPDS verwirklichte die Strategie von Führungsriegen aus dem Bundesvorstand und den Ostverbänden, insbesondere Sachsen- Anhalts, für eine neue Linke. Wie verfestigt und machtarrogant dieser Kurs, auch angesichts der schweren Wahlniederlage der LPDS in Berlin, durchgesetzt werden soll, wird am umgehend bekundeten Interesse des Spitzenkandidaten in MV sichtbar, die Koalition mit der SPD fortsetzen zu wollen. Wer regiere, müsse eben auch mal mit Verlusten rechnen, ließ am Wahlabend auch Gregor Gysi wissen.
Weil die CDU- und PDS- Führungskräfte in MV unbedingt mitregieren wollen, kann SPD-Ministerpräsident Ringstorff nun, wie bereits früher, die LPDS — auch unter noch schlechter werdenden Rahmenbedingungen für linke Politik — gefügig machen. Bei einer Koalitionsmehrheit von einer Stimme dürften "Regierungszwänge" auch gegen Widerstand in der Partei zu weiterer Disziplinierung in Fraktion und Landesverband der LPDS führen. Es sei denn, Ringstorff gäbe doch lieber auch Wünschen aus seiner Partei und der CDU (auch im Bund) nach und würde eine nordöstliche große Koalition zimmern.
Bleibt eine nicht neue, aber deutlich erhärtete Schlussfolgerung: Kapitalismus, Neoliberalismus und Neofaschismus kriechen einer aus dem anderen und sind ohne Antikapitalismus, entsprechende politische Arbeit in der Gesellschaft, ohne Gegenöffentlichkeit und außerparlamentarische Sammlung und Gegenmachtstrukturen nicht zu bekämpfen. Parteien, die Neoliberalismus Schritt für Schritt akzeptieren und administrieren (wollen) und am Parlamentarismus kleben, sind da kontraproduktiv.

Edeltraut Felfe, Greifswald

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