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Die rechtsextreme und neofaschistische NPD zieht in Mecklenburg-Vorpommern
(MV) mit 7,3% der Wählerstimmen (alle Angaben: vorläufiges amtliches Endergebnis) und 6
Abgeordneten für 5 Jahre in den Schweriner Landtag ein. Mit 28,8% hat die CDU ihr bisher schlechtestes
Wahlergebnis eingefahren. Die SPD ist mit ihren 30,2% in etwa auf dem Stand von 1994 und hat fast 10
Prozentpunkte im Vergleich zur letzten Wahl 2002 verloren.
Die Linkspartei.PDS (LPDS) hat mit 16,8%
ihr Wahlergebnis von 2002 (16,4%) wiederholt, nachdem sie damals nach ihrer ersten Regierungsperiode
bereits 8%-Punkte und 7 Landtagssitze verloren hatte. Die eigenständig angetretene WASG war
nicht wahrnehmbar. Erstmals seit 1994 ist die FDP wieder im Landtag vertreten, mit 7 Abgeordneten. Die
Grünen sind mit 3,4% erneut gescheitert.
SPD und LPDS, die seit 1998 koalieren,
werden mit 36 Sitzen noch eben eine Mehrheit von einer Stimme im Parlament haben. CDU und FDP haben zu
wenig, um eine Koalition (wie 1990/94) zu bilden. Bei den Ergebnissen von CDU und vor allem SPD schlugen
sich auch Frust über Agieren und Politik der großen Bundeskoalition nieder. Mit 59,2% (2002:
70,6%) haben weitaus weniger Wahlberechtigte einen Sinn in ihrer Stimmabgabe sehen können, als bei
allen bisherigen Landtags- und Bundestagswahlen in MV.
Diese Tatsachen und vor allem der Einzug
der NPD in ein weiteres Landesparlament sind Ausdruck dafür, dass durch bürgerliche Demokratie
Interessen von Mehrheiten der Bevölkerung immer weniger in Politik umgesetzt werden können und
dass dem Einfluss autoritärer Ideologien und Herrschaftsvarianten, bis hin zu neofaschistischen
Parteien, immer weniger entgegengewirkt wird.
Bekanntlich hat MV seit dem Anschluss der DDR kontinuierlich die höchste Arbeitslosigkeit im Bund
(in manchen Regionen über 30%). In der Armutsstatistik, bei der Abwanderung junger Menschen, dem
Ausbeutungsgrad der Erwerbstätigen, dem prozentualen Anteil der Menschen, die von Sozialhilfe und 1-
Euro-"Arbeitsgelegenheiten" leben müssen, steht MV ganz oben.
Auf diesem Boden der Perspektiv- und
Hoffnungslosigkeit haben Rechtsextreme und Neofaschisten über Jahre hinweg, unter aktiver Mitwirkung
aus den alten Bundesländern, und infolge inkonsequenter Landespolitik gegen Rechtsextremismus und
Fremdenfeindlichkeit, nicht nur Protestwähler gewonnen, sondern stabile geistige Positionen und reale
Strukturen im Land aufgebaut: Mit einer Doppelstrategie von Bürgernähe, "sozialem
Mitgefühl und Engagement" bis zu Kinderfesten usw. einerseits und Gewaltdrohung gegen
antifaschistische Akteure und widerständige Bürger andererseits.
Antikommunismus in Land und Bund und die
zunehmend ausländerfeindliche und militarisierte Bundespolitik haben das Ihre dazu beigetragen, den
giftigen gesamtdeutschen Sumpf als Nährboden für Neofaschismus in MV besonders fruchtbar zu
machen. Die NPD hat zudem die Sehnsucht vieler Menschen nach den sozialen Errungenschaften der DDR
demagogisch für ihre Zwecke missbraucht.
Erste Analysen ergeben, dass die NPD 12000
Nichtwähler und zudem Wähler aus allen anderen Parteien gewonnen hat. Ihre größte
Wählerschicht sind Arbeitslose und Arbeiter, Männer zumeist, wie ihr Parteipotenzial. Von den 18-
bis 24-Jährigen haben 15% diese Partei gewählt. Rechtsextremismus ist inzwischen eine soziale
Bewegung geworden.
Soziologische Untersuchungen gehen davon
aus, dass rund 30% der Bevölkerung in MV bis hinein in Mitglieder- und Wählerpotenziale der
Linken, fremdenfeindlichem und rechtsextremem Gedankengut verhaftet sind. Da ist Mitverantwortung der LPDS,
die 8 Jahre mitregiert hat, nicht abzuwiegeln, wie es der Spitzenkandidat der Partei W.Methling am
Wahlabend und im Neuen Deutschland vom 18.September tat.
Selbstverständlich hat sich die Enttäuschung bei den am meisten Benachteiligten Luft gemacht,
dass es "die Linken in der Regierung" entgegen ihrer Versprechen "auch nicht besser
können". Und die LPDS ist seit langem nicht mehr als Opposition zu dieser kapitalistischen
Gesellschaft wirksam geworden, sodass die NPD als einzige Opposition wahrzunehmen war. Medienvertreter
sprachen vom "Kuschelwahlkampf" der LPDS für "unsere schöne Heimat".
Oskar Lafontaine hat bei vielen
Wahlkampfveranstaltungen in MV noch immer ein paar Grundpositionen z.B. gegen den Libanoneinsatz des
deutschen Militärs, gegen Privatisierung, für Vermögensumverteilung von Reich auf Arm
emotional wirksam eingebracht, sonst hätten sicher noch weniger Linke für die LPDS gestimmt.
Allerdings hat er aus seinen generellen Minimalanforderungen an linke Politik und Regierungsbeteiligungen
keine konkreten Schlussfolgerungen für Berlin und MV gezogen, sondern das Mitregieren letztlich immer
bejaht.
Der Wahlkampf der LPDS verwirklichte die
Strategie von Führungsriegen aus dem Bundesvorstand und den Ostverbänden, insbesondere Sachsen-
Anhalts, für eine neue Linke. Wie verfestigt und machtarrogant dieser Kurs, auch angesichts der
schweren Wahlniederlage der LPDS in Berlin, durchgesetzt werden soll, wird am umgehend bekundeten Interesse
des Spitzenkandidaten in MV sichtbar, die Koalition mit der SPD fortsetzen zu wollen. Wer regiere,
müsse eben auch mal mit Verlusten rechnen, ließ am Wahlabend auch Gregor Gysi wissen.
Weil die CDU- und PDS-
Führungskräfte in MV unbedingt mitregieren wollen, kann SPD-Ministerpräsident Ringstorff
nun, wie bereits früher, die LPDS auch unter noch schlechter werdenden Rahmenbedingungen
für linke Politik gefügig machen. Bei einer Koalitionsmehrheit von einer Stimme
dürften "Regierungszwänge" auch gegen Widerstand in der Partei zu weiterer
Disziplinierung in Fraktion und Landesverband der LPDS führen. Es sei denn, Ringstorff gäbe doch
lieber auch Wünschen aus seiner Partei und der CDU (auch im Bund) nach und würde eine
nordöstliche große Koalition zimmern.
Bleibt eine nicht neue, aber deutlich
erhärtete Schlussfolgerung: Kapitalismus, Neoliberalismus und Neofaschismus kriechen einer aus dem
anderen und sind ohne Antikapitalismus, entsprechende politische Arbeit in der Gesellschaft, ohne
Gegenöffentlichkeit und außerparlamentarische Sammlung und Gegenmachtstrukturen nicht zu
bekämpfen. Parteien, die Neoliberalismus Schritt für Schritt akzeptieren und administrieren
(wollen) und am Parlamentarismus kleben, sind da kontraproduktiv.
Edeltraut Felfe, Greifswald
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