SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 07

WASG-LPDS

Die Strömungen formieren sich

Der Prozess zur Bildung einer neuen linken Partei aus Linkspartei.PDS und WASG geht voran. Nachdem die beiden Parteivorstände sich verständigt haben, dem Rechtsgutachten von Professor Martin Morlock zu folgen, soll das Ziel in Form des Beitritts der WASG zur Linkspartei.PDS (LPDS) im Sommer nächsten Jahres erreicht werden. Damit kann der Prozess nun objektiv als Neuformierungsprozess um die LPDS beschrieben werden.
Nach der Veröffentlichung der "Eckpunkte zum Programm" und dem "Aufruf zur Gründung einer neuen linken Partei" durch Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und einige Mitglieder der geschäftsführenden Vorstände beider Parteien wird die Diskussion auf allen Ebenen der beiden Parteien WASG und LPDS geführt. In der öffentlichen Debatte formieren sich nun um unterschiedliche Positionen Netzwerke und Strömungen. Sie zielen auf Einflussnahme nicht nur im Gründungsmoment, sondern perspektivisch in der neuen Partei.

Netzwerk Reformlinke

Mit dem Papier "Abschied und Wiederkehr" (auf sozialisten.de/sozialisten/ parteibildung) melden sich die Reformlinken in der LPDS zu Wort. Sie setzen einen Kontrapunkt zum "Aufruf zur Gründung einer neuen linken Partei". Unterzeichnet haben die Vorsitzenden aller ostdeutschen Landesverbände und aller Landtagsfraktionen der LPDS. Hinzu kommen Mitglieder des Parteivorstands, allen voran die stellvertretende Parteivorsitzende Katina Schubert, der Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch sowie Mitglieder der Bundestagsfraktion. Die Funktionseliten der LPDS melden so ihren Führungsanspruch an. Ihre Botschaft lautet kurzgefasst: Es soll alles so bleiben wie es ist!
Trotz eines Bekenntnisses zum "demokratischen Sozialismus" stellen die Positionen in "Abschied und Wiederkehr" eine Negation marxistischer Auffassungen dar. Die Gesellschaft wird als offene Gesellschaft beschrieben, in der strukturelle Unterdrückungsverhältnisse zu überwinden seien.
Klassenkämpferische Ansätze sucht man folgerichtig vergeblich. Solidarität wird klassisch humanistisch mit dem "zivilisationsgeschichtlichen Gebot der Mitmenschlichkeit" gleichgesetzt. Gegenüber der Wirtschaft sind nicht etwa die Interessen der Lohnabhängigen, sondern "moralische Grundwerte der Gesellschaft" geltend zu machen.
Der Raum für Politik spannt sich für die Reformlinke im strategischen Dreieck aus Protest, Gestaltungsanspruch und sozialistisch- demokratischer Perspektive auf. Nur verliert das Papier kein Wort über Protest oder sozialistisch- demokratische Perspektive. Ausgeführt wird allein der Gestaltungsanspruch der in zwei Bundesländern mitregierenden Reformlinken.
Neoliberale Kernthesen bilden dabei das Fundament des politischen Programms. Man erklärt sich dabei das Versagen der Reformpolitik auch aus dem fehlenden innovativen Unterbau in der Gesellschaft, aus der alleinigen Verantwortungszuweisung an den Staat. Dementsprechend gelten als Lösungsansätze: Haushaltskonsolidierung, die "Erneuerung der Sozialsysteme durch Stärkung der Zivilgesellschaft und des Individuums" und die Begrenzung öffentlichen Eigentums auf unverzichtbare Staatsaufgaben.

Sozialistische Linke

Das Papier "Sozialistische Linke: realistisch und radikal" (auf www.linkes-revier.de/soz- linke) hat die Mehrheit des Bundesvorstands und des Landesvorstands NRW der WASG veröffentlicht. Unter den Erstunterzeichnern finden sich viele hauptamtliche Gewerkschafter, darunter auch einige, die der LPDS angehören. Diese Strömung erhebt den Anspruch, das linke Zentrum der Partei zu besetzen und kündigt an, sich gegen jeden zu richten, der "Sand in das Getriebe des Parteibildungsprozesses streut".
Die Sozialistische Linke hat vor, gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden, um die Vorherrschaft des Kapitals zu überwinden. Sie möchte die Menschen gewinnen, sich gemeinsam für ein besseres Leben einzusetzen. Zur Durchsetzung ihrer Politik will sie sich auf außerparlamentarischen Druck stützen. Akteur in diesem Strategiekonzept ist allerdings immer die Partei. Selbstgenügsam weist sie den Weg in das bessere Leben.
Als Grundlagen ihres politischen Programms benennt die Sozialistische Linke marxistische Gesellschaftsanalyse und "linkskeynesianistische Positionen alternativer Wirtschaftspolitik". Darunter versteht sie die Verbindung der Erkenntnisse von Marx und Keynes, anstatt diese gegeneinander zu stellen. Das alternative Wirtschaftsprogramm birgt denn auch keine Überraschungen: Die inländische Nachfrage soll gestärkt werden, auf dass die Wirtschaft wachse. Aufgelegt werden soll ein öffentliches Zukunfts- und Investitionsprogramm. Die öffentliche Beschäftigung soll ausgeweitet werden. Die dazu nötigen Einnahmen sollen dem Staat durch eine gerechte Steuerpolitik und höhere Einnahmen bei stärkerem Wachstum zufließen.
Sozialpolitisch werden gewerkschaftliche Forderungen aufgegriffen. An erster Stelle steht ein existenzsichernder Mindestlohn, gefolgt von einer Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und einer bedarfsgerechten sozialen Grundsicherung. Der in den sozialen Bewegungen erhobenen Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen wird eine kategorische Absage erteilt.

Antikapitalistische Linke

Anders als alle anderen Strömungen wird die Antikapitalistische Linke von Linken aus beiden Parteien getragen. Hinzu kommen einige Personen, die bis jetzt parteilos sind. Allerdings überwiegen unter den Erstunterzeichnenden des Manifests "Für eine antikapitalistische Linke" (www.antikapitalistische-linke.de) Abgeordnete aus Europaparlament, Bundestag und Landtagen. In der Antikapitalistischen Linken agieren vornehmlich linke Intellektuelle. Die Strömung formiert sich als Opposition gegen bedingungslose Regierungsbeteiligungen und für sozialistische Politik in der zukünftigen Partei. Ihre Aufgabe sieht sie darin, eine grundsätzliche Alternative zum neoliberalen Kapitalismus wieder in die Debatte einzubringen und eine mobilisierungsfähige Partei mit aufzubauen.
Die Antikapitalistische Linke argumentiert aus der marxistischen Tradition heraus und setzt auf eine in der Gegenwart verankerte, aber über das kapitalistische System hinaus weisende gesellschaftliche Perspektive. Allerdings gelingt es dem Manifest "Für eine antikapitalistische Linke" wenig, diese Perspektive zu entfalten. Dies liegt daran, dass das Manifest die Innensicht der zukünftigen Partei nur im Bereich der Gesellschaftsanalyse verlässt. Das Politikkonzept wird dem Parteikonzept untergeordnet.
Empfohlen wird, dass sich die zukünftige Partei über eine Reihe antineoliberaler Forderungen definiert. Genannt werden die Besteuerung großer Erbschaften, die Einführung einer Millionärssteuer und Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Es soll Schluss gemacht werden mit der Zweiklassen- Medizin, Jobvernichtung soll bestraft werden und Finanzhaie sollen kontrolliert werden.
Dieser Forderungskatalog kann bestenfalls als Fragment eines Übergangsprogramms bezeichnet werden. Darüber hinaus werden Minimalbedingungen für Regierungsbeteiligungen der zukünftigen Partei benannt. Neben dem Verzicht auf weitere Privatisierungen soll kein Abbau öffentlicher Beschäftigung, sollen keine Kürzungen bei den Schwächsten und keine Förderung sozialer Bildungsprivilegien erfolgen. Zudem soll es in Regierungen eine Verpflichtung zur Entmilitarisierung geben.
Den konsequent anti-neoliberalen Programmpunkten ist allerdings eigen, dass sie, obwohl nur durch die Gleichzeitigkeit von parlamentarischer Präsenz und massivem sozialen Protest erreichbar, doch wenig emanzipatorisches Potential entfalten. Dies wird besonders deutlich an Hand der Forderung "Jobvernichtung bestrafen". Statt auf die Kontrolle der Betriebe durch die Belegschaften zu setzen, wird nur auf die aus der PDS bekannte Einführung einer Wertschöpfungsabgabe orientiert. Damit fehlen den Forderungen genau diejenigen Elemente, die die Dynamik eines gesellschaftlichen Emanzipationsprozesses befördern könnten, der erst hinreichende Bedingung für eine Umwälzung ist.

Netzwerk Linke Opposition

Das Netzwerk Linke Opposition knüpft an die Antikapitalistische Linke der WASG an. Diese hatte sich nach dem Bundesparteitag der WASG mit anderen oppositionellen Kräften gegen die Politik des Bundesvorstands verbunden. An der Konferenz des Netzwerks Linke Opposition in Kassel nahmen im Mai diesen Jahres fast 300 Mitglieder aus WASG, Linkspartei und sozialen Bewegungen teil.
Im Netzwerk Linke Opposition arbeiten antiautoritär eingestellte nicht organisierte Linke mit Mitgliedern von SAV und ISL zusammen. Organisatorische Kerne sind die Mehrheit der Berliner WASG, die Redaktion der Linken (Online-)Zeitung (www.linkezeitung. de) und die Bildungsgemeinschaft SALZ e.V. Anders als die anderen vorgestellten Strömungen wird das Netzwerk Linke Opposition überwiegend von Mitgliedern der WASG-Basis getragen. Funktionsträger und Mandatsträger sind selten, Mitglieder von Funktionseliten so gut wie gar nicht vertreten. Die gravierendsten Unterschiede zur Antikapitalistischen Linken liegen daher auch nicht im Bereich der politischen Forderungen, sondern betreffen die unterschiedliche politische Kultur und die Erwartungen an demokratische Standards.
Aus Reihen des Netzwerkes gibt es eine Reihe von programmatischen Beiträgen mit radikalreformerischen und antikapitalistischen Forderungen, die umfassender sind als diejenigen der Antikapitalistischen Linken, aber keinen zentralen Aufruf. Bewusst soll die Positionsbildung nicht durch Unterzeichnen eines fertigen Aufrufs, sondern durch gemeinsames Erarbeiten von politischen Erklärungen erfolgen.
Das Selbstverständnis des Netzwerkes und die Basis seines politischen Programms findet sich in der Abschlusserklärung der Kasseler Konferenz (auf www.linkezeitung.de). Das Netzwerk will eine kämpferische Partei schaffen, die konsequent die Interessen der kapitallosen Bevölkerungsmehrheit vertritt und von ihren Mitgliedern regiert wird. Sie soll nicht nur für Reformen kämpfen, sondern auch Alternativen zum kapitalistischen System diskutieren und realisieren. In Regierungen soll sie nur eintreten, wenn sie über Mehrheiten für einen grundsätzlichen Politikwechsel verfügt.
Politik versteht die Linke Opposition in erster Linie als unmittelbare Aktivität in Betrieben, Schulen und Stadtvierteln, während parlamentarische Arbeit nur Teil und Ausdruck dieser Kämpfe sein kann. Weil sich das Netzwerk Linke Opposition dem Aufbau einer parteiübergreifenden Struktur aller an der linken anti-neoliberalen Neuformierung interessierten Menschen verpflichtet fühlt, sollen und können auch Menschen mitarbeiten, die nicht Mitglieder in WASG oder LPDS sind.
Aus den Reihen diesen Netzwerks gibt es massive Kritik an der zentralen Steuerung und den bisherigen Ergebnissen des Parteibildungsprozesses. Ein Regionaltreffen in NRW hat im September die Einhaltung von fünf "roten Linien" für ein Ja zur Fusion mit der LPDS aufgestellt. Neben einer wirklichen Neugründung der zukünftigen linken Partei wird sowohl die Trennung von Amt und Mandat als auch der Verzicht auf weitere Privatisierungen, der Verzicht auf Teilnahme an Regierungen, die Sozial- und Lohnraub betreiben, sowie keine Zustimmungen zu Einsätzen der Bundeswehr im Ausland sowie im Rahmen der inneren Sicherheit gefordert.
Sollten diese Minimalbedingungen an die neue linke Partei nicht erfüllt werden, soll eine Kampagne gegen die Fusion eröffnet werden. Notfalls werde, wird angekündigt, gegen jede politische Partei, die öffentliches Eigentum privatisiert, Sozialabbau betreibt und tarifliche Standards bzw. Löhne absenkt, eine alternative politische Kraft aufgebaut.

Edith Bartelmus-Scholich

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