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Die Begeisterung über die Bildung einer gemeinsamen neuen Linkspartei hat merklich
abgenommen. Der Grund ist einfach: Die Mitglieder sind nur noch als Statisten gefragt.
Es ist gut zwei Jahre her, da schrieben wir an dieser Stelle über den allerersten Kongress der "Wahlalternative
2006" und der Initiative "Arbeit und soziale Gerechtigkeit" in Berlin:
"Es kamen viele ältere Herren, sichtlich weniger
Frauen, wenig junge Leute und fast gar keine Migranten. Sie trugen fast alle, an Kleidung und Gesichtszügen unschwer
erkennbar, eine oder mehrere politische Funktionen im Säckel, schleppten Unmengen an meist schlechten und wohl immer
schlecht bilanzierten Erfahrungen aus SPD, PDS, Grünen, aus Gewerkschaften oder aus radikal linken Kleingruppen mit sich
herum und gaben dem Kongress somit einen aus allen Stuhlreihen und sonstigen Poren hervordringenden Geruch: Hier versammelt
sich die geballte Taktik der deutschen Linken."
Sechsundzwanzig Monate später ist dieser Analyse des
subjektiven Faktors im sog. Parteibildungsprozess höchstens noch ein warnendes Ausrufezeichen anzufügen. Es
herrscht mehr denn je viel zu viel Taktik und zu wenig Leidenschaft. Es besteht sogar die reale Gefahr, dass trotz der
ungebrochen hohen Erwartungshaltung der interessierten Öffentlichkeit und der potenziellen Wähler der noch
virtuellen neuen Linkspartei, die sich in konstant 10% Zustimmung bei den Umfragen ausdrückt, das Parteiprojekt
buchstäblich zu Tode gehandwerkelt wird.
Unbestreitbar hat das Parteiprojekt von WASG und LPDS viel an Attraktivität verloren. Bei den letzten vier
Landtagswahlen wurde die Linkspartei/WASG massiv in den Strudel der Wahlenthaltung und des Parteienmisstrauens hineingezogen.
Die Mitgliederentwicklung stagniert, die Beitragseinnahmen gehen zurück. Die WASG stellte am Vorabend der
Länderratssitzung fest, dass fast ein Viertel der geplanten Jahreseinnahmen ausbleiben wird, weil (noch) eingeschriebene
Mitglieder offenkundig die Beitragszahlung eingestellt haben. In Einzelfällen mag das Nachlässigkeit sein, in der
Summe ist es ein kalter Austritt aus der Partei, der nur durch neue politische Wärme und Begeisterung gestoppt werden
kann.
Doch der Parteibildungsprozess reduziert sich immer mehr auf
ein handwerkliches Herumgeschraube von kleinen, kaum oder gar nicht politisch mandatierten Expertengrüppchen, bei dem
die Mitgliedschaft nur noch zusehen und raten kann, ob das Teil jemals in Betrieb gehen wird. Schon der Name
"Steuerungsgruppe", der sich für diese Zirkel eingebürgert hat, verrät die gefährliche
Ambivalenz. Hier eignen sich einige selbst ernannte Strategen in Zusammenarbeit mit der Fraktion das gesamte Projekt an, um
es zu steuern.
Die Vorgaben für die Steuerungsgruppen kommen nicht mehr
von den Parteigremien allen voran der Bundesvorstand der WASG hat sich fast komplett abgemeldet , sondern von
der Fraktionsspitze im Bundestag und von den Parteigeschäftsführungen. Die Verhandlungen sind oftmals ein Gezerre
um Kleinklein und werden im Stil von Tarifverhandlungen geführt, bei denen alle irgendwie gerupft werden und sich mit
Bruchstücken ihrer Erwartungen zufrieden geben müssen.
Der faule Kompromiss als Grundlage einer neuen Partei? Das
wird nicht gut gehen. Es sind Verhandlungen um Bestandsschutz, bei denen die junge und arme WASG kaum mithalten kann, weil
bei ihr nicht so viel zu schützen ist. Eine politische Debatte, was da und aus welchen Gründen geschützt
werden soll, wird gar nicht mehr geführt. Die Partei als politisches Endergebnis einer programmatischen Diskussion ist
völlig aus dem Blickfeld geraten. Programm und Satzung erscheinen dabei nur als kleine, möglichst geräuschlos
zu bewältigende technische Probleme.
Was auf Bundes- und Spitzenebene noch als wichtige
Ingenieurskunst beim Bau eines neuen politischen Kraftwerks verkauft und oft auch tatsächlich erfahren werden kann, ist
auf Landes- und Kreisverbandsebene fast regelmäßig ein elendes und frustrierendes Herumgemache mit Leuten, die man
oft nicht mag, die intrigieren und verschweigen, denen alte Seilschaften wichtiger als neue Parteistrukturen sind.
Würde ein auch nur halbwegs geschulter politischer
Psychologe an den gemeinsamen Sitzungen von Linkspartei und WASG, egal ob in Bayern, Berlin, Schleswig-Holstein oder Sachsen-
Anhalt teilnehmen, würde er sofort diagnostizieren, dass aus diesem Geflecht von Taktik, Misstrauen und Hintergedanken
niemals eine neue politische Partei mit Ausstrahlungskraft entstehen kann. Zu den Problemen der kleinen WASG mit der
großen LPDS kommen zudem noch die Strömungs- und Seilschaftskonflikte innerhalb der beiden Parteien, die durch den
"Vereinigungsschwung" geradezu zu neuem Leben erweckt wurden.
Eine Partei, die aus einem solchen miefigen Milieu entsteht
mag alles sein, vielleicht sogar auch links, aber sie ist mit Sicherheit nicht neu und nicht neuen Typs.
So wird sich die entscheidende Schlacht, ob aus WASG und LPDS wirklich eine neue Linkspartei entsteht, kaum an
programmatischen Fragen, wenig an Satzungsproblemen und hauptsächlich an der Frage des konkreten Zusammengehens und der
Identitätswahrung abspielen. Die Programmdebatte ist die einzige, die zeitlich noch gestreckt werden kann auf die ersten
Jahre nach der offiziellen Parteigründung. Wirklich zu Ende ist eine Programmdebatte in einer lebendigen Partei sowieso
nie. Deshalb ist es zwar bedenklich, wenn Fraktion und Steuerungsgruppe die Programmdiskussion auf einen äußerst
knappen Kurztext orientieren wollen oder wenn auf einem sehr auf ein geladenes Publikum zugeschnittenen
"Programmkonvent" schon fast alles öffentlich verkündet wird, bevor die Partei sich damit befasst, aber
insgesamt wird die Programmdebatte ohne großes Aufsehen verlaufen.
In der Satzungsfrage sind einige dicke Klippen zu umschiffen.
Da wird auf unterer Ebene zwar fleißig an Modellen der Unvereinbarkeit von Parteiamt und öffentlichem Mandat
gearbeitet, aber von oben wird in alter Patriarchenart verkündet: Der Vorsitzende von allem bin ich, Oskar Lafontaine.
Es wird auch noch viel an den Anfangsparitäten bei Parteitag und Leitungsorganen zu basteln sein, aber auch das ist
regelbar und unter dem Druck, dass etwas herauskommen muss, notfalls mit Übergangs- und Zwischenlösungen zu
organisieren.
Der wirkliche Knackpunkt ist die tatsächliche Regelung
der Vereinigung. Von der Vorstellung, dass WASG und LPDS durch den Zustrom tausender neuer Mitglieder und die Teilnahme
anderer politischer Organisationen zusammengeführt und politisch im besten Sinne reguliert werden, haben sich fast alle
schon lange verabschiedet. Dazu ist das öffentliche Auftreten des Parteiprojekts viel zu ängstlich und fast auf
Verhinderung neuen Zuspruchs ausgerichtet, als dass so etwas noch passieren könnte. Deshalb lautet die Frage heute: Wie
sollen WASG und Linkspartei konkret verschmelzen?
Die LPDS hat dazu ein Gutachten beim Parteienrechtler Martin
Morlok bestellt und teuer bezahlt. Es passt sich komplett an die mittlerweile die gesamte Parteibildung beherrschende
technokratische Denkweise an. Morlok untersucht, wie die vorgegebenen Parteikörper möglichst kostenneutral und
widerspruchsfrei durch die Klippen der bestehenden Gesetze zusammengeworfen werden können. Wer wundert sich da, dass er
vorschlägt, die beiden Parteien sollten sich zunächst in eingetragene Vereine umwandeln und dann einen
ordentlichen, durch das Umwandlungsgesetz geregelten, Zusammenschluss durch Aufnahme organisieren?
Das heißt klipp und klar: Die kleine, relativ
vermögenslose WASG tritt der großen LPDS bei. Unter dieser Voraussetzung können sämtliche
Vermögenswerte und Rechtspositionen verlustfrei übertragen werden.
Das Gutachten räumt dabei mit einem heute gern
verwendeten "Argument" auf: Die Stiftung(en) der Partei (allen voran die Rosa Luxemburg Stiftung) und ihre
Einnahmen aus öffentlichen Kassen sind bei jeder Art von Fusion völlig unabhängig und nicht gefährdet.
Das Morlok-Gutachten äußert sich auch zur
Vereinigung durch Auflösung der alten Parteien und Neugründung einer neuen. Dieses Modell sichert ebenso wie die
Verschmelzung durch Beitritt die Vermögenswerte, die Rechtstitel, die Stimmenkonten bei der staatlichen Teilfinanzierung
und auch die Anrechnung der Vorläuferparteien bei den Pflichten zur Wahlanzeige und Unterschriftensammlung wie auch die
Mitgliedschaftsübernahme. Morlok sieht bei diesem Modell nur ein Problem: dass einige Fragen juristisches Neuland sind
und deshalb längere Rechtsstreitigkeiten auf die neue Partei zukommen könnten, von denen nicht vorherzusagen ist,
wie sie ausgehen.
Wir halten aber die Neugründung auch im juristischen
Sinne für einen unerlässlichen Schritt. Selbst wenn es ein neues Programm und ein neues Statut und neu
gewählte paritätische Leitungsorgane gibt, so bleibt der Eintritt der sechsmal kleineren WASG in die
größere LPDS und die Übernahme ihres großen Apparats ein Akt, der erstens von sehr vielen nicht
akzeptiert wird, zweitens in der Öffentlichkeit als perfektes PDS-plus-Modell angesehen wird, und drittens von den
Parteimitgliedern täglich nicht als Bruch, sondern als Verlängerung der alten PDS-Routine erlebt wird. Gar nicht zu
reden von der hohen Hürde, die all denen vor die Nase gesetzt wird, die weder in der WASG noch in der Linkspartei sind
und sich schon von der bisherigen Macht der alten Strukturen von einem Mitmachen haben abschrecken lassen.
Der so hartnäckige Mief der bestehenden Organisationen,
besonders der aus der reichlich bürokratisierten LPDS, der heute schon den Vereinigungsprozess zu ersticken droht, kann
nur überwunden werden , wenn am Anfang der neuen politischen Partei ein "gleichmacherischer Akt" steht, den
alle vollziehen müssen: der Beitritt in eine neue Organisation. Bleibt der für den Großteil der Mitglieder
aus, dann ist nicht zu verhindern, dass dessen natürlicher Vorsprung sich in einer unaufhaltsamen Dominanz des
"kurzen Dienstweges" durchsetzen wird. Dazu bedarf es nicht einmal eines Vorsatzes oder gar böser Absicht. Die
WASG bleibt dann in der Rolle des Gastes, der noch lange fragen muss, ob er mal das Klo benutzen darf.
Man hält uns jetzt vor, die Pflicht für alle, der
neu gegründeten Partei selbsttätig beizutreten, würde dazu führen, dass viele dies nicht mitmachten und
große Mitgliederverluste zu erwarten sind. Dem antworten wir ganz gelassen: Die Mitgliederverluste wird es im Fall eines
Beitritts zur LPDS in viel größerem Umfang geben. Die heutige Welle des "kalten Austritts" aus der WASG
wird sich noch gewaltig steigern. Die Überzeugung der Mitglieder mitzumachen und persönlich einzutreten, ist die
erste politische Kampagne, die die neuen Partei bestehen muss. Die Vorstellung, eine große Anzahl von passiven
Mitgliedern und Karteileichen von einer Partei in die andere zu hieven, ist nichts als eine Einladung zu undemokratischen
Strukturen und zu einer Partei von Unmündigen.
Ein letzter Hinweis zum Schluss: Die finanziellen,
vermögens-, partei- und wahlrechtlichen Fragen sind laut Morlok in allen Fällen in ähnlicher Weise zu regeln,
bei einer Neugründung sind zusätzlich ein paar Rechtsstreitigkeiten möglich. Absolut gleich ist aber in allen
Fällen die Notwendigkeit, eine Zweidrittelmehrheit der Mitglieder für die Fusion zu gewinnen. Wer dies mit einem
Eintritt in die Linkspartei erreichen will, sollte sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie er die heutige
Mitgliedschaft der WASG vorher auswechselt.
Thies Gleiss
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