SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 09

Die Streiks im Krankenhausbereich

Eine Nachbetrachtung

An die Jahre 2005 und 2006 werden sowohl die Beschäftigten im Krankenhausbereich wie auch die Gewerkschaftsführungen noch lange denken.
Nicht nur, dass erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik in den Krankenhäusern ein Streik stattfand, der diesen Namen auch verdiente, nicht nur, dass die Ärzte flächendeckend in den Arbeitskampf zogen, ist bemerkenswert. Mindestens ebenso denkwürdig ist die tiefe Spaltung zwischen den nichtärztlichen und ärztlichen Mitarbeitern in den Kliniken, die auf verschiedenen Ebenen Konsequenzen haben wird. Was ist geschehen?

Das Versagen der Ver.di-Führung...

Versucht man, die Politik der Ver.di-Führung der letzten Jahre in der Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst auf den Punkt zu bringen, so sind es hauptsächlich drei gravierende Fehler, die man ihr anlasten muss (wenn es denn Fehler waren — doch dazu später):
Zum ersten, dass Ver.di nicht sofort und komplett aus der mit der öffentlichen Hand getroffenen Prozessvereinbarung ausstieg und den Arbeitskampf ausrief, als ein Teil der Länder die Tarifgemeinschaft aufkündigte;
zum zweiten, dass man sich in der Forderungsstruktur völlig auf die Logik der Gegenseite einließ, die da hieß, es sei eine Zeit der knappen Kassen und von daher ginge es lediglich um die Frage, wieviel Verschlechterung zumutbar sei;
und zum dritten, dass die Ver.di- Führung das Ausmaß an Erbitterung und Kampfbereitschaft im Gesundheitsbereich völlig unterschätzte bzw. ignorierte.
Es wäre zu diesen drei Punkten noch einiges hinzuzufügen, so z.B. dass sich die mittlere Funktionärsschicht teilweise völlig unfähig zeigte, den Streik zu organisieren und das stattdessen die Personalvertreter vor Ort übernehmen mussten.

...und die Kampfführung des Marburger Bundes

Der ärmliche Tarifvertrag, den die Gewerkschaft im letzten Jahr unterzeichnete, machte es der ärztlichen Standesorganisation Marburger Bund (MB) natürlich leicht, den Ausstieg aus der Tarifgemeinschaft zu begründen. Auf diese Gelegenheit hatten Montgomery und Konsorten lange warten müssen. Auch im ärztlichen Bereich hat ein Generationswechsel stattgefunden und hier haben die einschneidenden Veränderungen der letzten 20 Jahre Deregulierung im Krankenversorgungssystem im Allgemeinen und im Klinikbereich im Besonderen die Arbeitsbedingungen ebenso gravierend verschlechtert wie im nichtärztlichen Sektor.
Erstmals fühlte sich der MB stark genug, nicht nur offen als das aufzutreten, was er ist, nämlich eine Organisation, die geprägt ist von einem Standesdünkel, der stellenweise an Rassismus grenzt, sondern auch per Arbeitskampf eine tarifliche Sonderrolle für die Ärzte einzufordern. So verlautbarte man, "unten" sei "noch Luft drin", will sagen, die Gehälter der sonstigen Mitarbeiter könnten ja zugunsten der Ärzte gekürzt werden. Montgomery degradierte die nichtärztlichen Beschäftigten zu "Kulissenschiebern" (Zitat: "Es kann ja nicht die Gewerkschaft der Kulissenschieber den Tarif für die Schauspieler aushandeln") und im Übrigen seien die Ärzte schließlich die "Leistungsträger". Als wäre das noch nicht genug, wurde auch noch schamlos gelogen, indem der MB behauptete, nur die Ärzte würden Wochenend- und Bereitschaftsdienste leisten.
Der Streik der Ärzte selbst war dann eine konsequente und gelungene Sache, unter anderem auch deswegen, weil die Presse ihn so wohlwollend behandelte, wie man es ebenso in der Geschichte der BRD bei einem Arbeitskampf kaum erlebt hat. Und billig war er für den MB obendrein, weil in der Regel Überstunden abgefeiert wurden und deshalb keine Streikgelder gezahlt werden mussten.
Dass es mit den "Notfällen", die nach Absprache mit der Klinikleitung trotz Streik versorgt wurden, häufig so aussah, dass Privatpatienten grundsätzlich ohne Ansehen der Diagnose Notfälle darstellten, wurde selbstverständlich in der Öffentlichkeit nicht breitgetreten: So etwas macht bei den Kassenpatienten unter Umständen den Eindruck von Rassismus — der es auch ist. Und so wurden Brustaufbauplastiken, Penis- und Nasenkorrekturen als Notfälle deklariert — wenn es denn Privatpatienten waren. Dazu muss man wissen, dass an den Honoraren für die Privatpatienten natürlich auch die nachgeordneten Ärzte über die Poolbeteiligung auch in Streikzeiten mitverdienen.

Des Pudels Kern

Was tatsächlich hinter dem Verhalten der Ver.di-Führung steckte, wurde in den angesichts der relativ erfolgreichen Kampfstrategie des MB zunehmend hysterischer klingenden internen Infomails und Verlautbarungen deutlich: Zum einen nahm man Rücksicht auf die SPD-Genossen in der Regierung. Zum anderen ließ sich Ver.di damit voll auf die Logik der anderen Seite ein: Man müsse sich der Verantwortung für das Ganze stellen und es sei nun einmal eine finanzielle Krise im Krankenversorgungssystem da, die man in Rechnung stellen müsse.
Man gerierte sich staatstragend statt klassenkämpferisch, und dem MB wurde im Grunde vorgeworfen, dass er genau das tat, was eine gute Gewerkschaft nun einmal tut: Forderungen aufzustellen, die sich an den realen Bedürfnissen der Mitglieder orientieren, und dafür konsequent zu kämpfen. Dass der MB wiederum es der Ver.di- Führung mit seinen oben zitierten Aussagen leicht machte, gegen ihn zu polemisieren, ändert daran erst einmal nichts.
Bsirske und Genossen machten eine klägliche Figur — auch wenn, sieht man sich die genauen Zahlen an, die Ärzte gar nicht so viel besser abgeschnitten haben als die nichtärztlichen Beschäftigten. Insbesondere erwies sich das Getöse um die "Verbesserung der Arbeitsbedingungen" als Lärm um nichts: de facto ging es ausschließlich um mehr Geld — die Regelarbeitszeit wurde im Endeffekt angehoben, an den (tatsächlich beschäftigten- und patientenfeindlichen) Arbeitsbedingungen wird sich kaum etwas ändern.

Und die Folgen?

In den an den Streiks beteiligten Krankenhäusern hat sich das Klima zwischen dem ärztlichen und dem nichtärztlichen Personal deutlich verschlechtert. Das hat nicht nur etwas mit den oben zitierten abwertenden Äußerungen seitens des MB zu tun. Vor allem gab es beim Streik des Pflegepersonals keinerlei Solidarität seitens der Ärzte. Das macht sich an ganz konkreten Beispielen fest: In einer kindernephrologischen Abteilung in Nordrhein-Westfalen bspw. hieß es beim Streik des Pflegepersonals, man dürfe doch die armen Kinder nicht abweisen, und es wurden munter weiter Patienten aufgenommen — als die Ärzte streikten, waren die Betten plötzlich wie leergefegt.
Auch beim Management des Streiks wurden deutliche (Standes-)Unterschiede gemacht: Die Ärzte bekamen stellenweise ein Streiklokal in der Klinik spendiert — beim Streik der "anderen" kam es dagegen gelegentlich zu heftigen Konfrontationen.
Andererseits kam MB-Chef Montgomery taktisch geschickt mit der Ankündigung heraus, er überlege, eine "Gesundheitsgewerkschaft" zu gründen. Damit dreht er den Spieß um. Denn das Hauptargument, mit dem man früher Ärzte für Ver.di werben konnte, war, dass Ver.di die Tarifverhandlungen führte und der MB sich — zuerst bei der DAG und nach deren Fusion mit der ÖTV bei Ver.di — lediglich anhängte. Damit ist es erst einmal vorbei.
Aber diese "Gesundheitsgewerkschaft" wird nicht kommen. Montgomery ruderte inzwischen bereits zurück, denn mit dem Pflege- und Reinigungspersonal will sich der MB denn doch nicht gemein machen. Letzteres allerdings sich auch nicht mit dem MB.
Vielleicht hat aber Montgomerys Drohung auch ihr Gutes. Die Ver.di-Führung wird es sich in Zukunft zweimal überlegen müssen, ob sie noch einmal einen derartig SPD- und regierungstreuen Kurs in den Tarifkämpfen fährt. Die Probe aufs Exempel steht vor der Tür. Derzeit laufen die Verhandlungen in den privatisierten Häusern und in der Charité in Berlin bspw. kocht es bereits gewaltig. In Leipzig wird bereits wieder gestreikt, die Uniklinik Essen hat den Streik noch nicht beendet, sondern lediglich ausgesetzt. Und die kirchlichen Häuser denken bisher nicht daran, den ausgehandelten Vertrag der öffentlichen Häuser zu übernehmen.

Ernst A. Kluge

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