SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 11

Bedingungsloses Grundeinkommen

Wundertüte mit vielfältigem Inhalt - Das Modell Götz Werner

Im Chor der Stimmen, die über die Krise der Arbeitswelt und ihre Lösungen reden, hebt sich vom Grundton "Arbeit um jeden Preis" seit einiger Zeit ein fiepsiger Oberton ab, der dazwischen zwitschert: "bedingungsloses Grundeinkommen".
Was darunter zu verstehen ist und welche Interessen damit bedient werden, ist so vielfältig wie die Schar jener, die es verfechten — sie umfasst Unternehmer, Bildungsbürger und Selbständige, katholische Sozialarbeiter und Erwerbslose gleichermaßen. Die große Mehrzahl der Kapitaleigner wie auch die Gewerkschaften stehen ihm im Allgemeinen verständnislos gegenüber.
Die schillerndste Figur in dieser bunten Vogelschar ist Götz Werner — ein vehementer Kritik von Hartz IV, ein Unternehmer, der scheinbar so gar nicht unternehmerisch denkt, und am Ende doch sehr genau auf seine Rechnung kommt. Alle Welt lädt ihn zum Vortrag ein — Konservative wie Linke, Attac und Erwerbslose. In ihm verkörpert sich die ganze Widersprüchlichkeit dieses Ansatzes, der von sich behauptet, die neue Utopie zu sein, auf die wir alle warten.

Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich

Werner geht von einem Widerspruch aus, der offen zutage liegt und auch bürgerliche Wissenschaftler nachdenklich macht: Die Gesellschaft der Bundesrepublik (und nicht nur sie) wird immer reicher, viele Einzelne in ihr aber immer ärmer. "Not und materieller Mangel durch fehlende Produktionsmöglichkeiten gehören der Vergangenheit an. Heute übersteigen unsere Kapazitäten unseren Eigenbedarf bei weitem. Unser gesellschaftliches Bewusstsein ist hinter den Möglichkeiten weit zurückgeblieben, die sich durch die Arbeitsteilung und die sich daraus ergebende Produktivitätsentwicklung anbieten." (Dieses wie auch die Folgezitate ist dem Text "Finanzierung und Wirkung" auf Werners Homepage entnommen: www.unternimm-die-zukunft.de)
Wenn immer mehr Menschen immer weniger zum Leben haben, dann liegt das nicht daran, dass unsere Wirtschaft nicht leistungsfähig wäre — das stetig steigende Bruttosozialprodukt und die stetig steigende Produktivität (wie auch die stetig steigenden Exporte) beweisen das Gegenteil. Woran liegt es sonst? Werner antwortet: an der falschen oder mangelnden Finanzierung ihrer Versorgung — anders ausgedrückt: dass sie kein Geld haben. Ein Zirkelschluss, wie man sieht.
Die Produktivität ist so gestiegen, dass der Anteil der in der Industrie (in der Warenproduktion) Beschäftigten dramatisch abnimmt. Nur noch 1,5% der beschäftigten Arbeitnehmer arbeiteten 1999 in der Landwirtschaft, 31,3% im verarbeitenden Gewerbe, 37,6% in Dienstleistungsbereichen, die an der Warenproduktion hängen, und 29,5% in reinen Dienstleistungsbereichen.
Werner schließt daraus, dass "der Einzelne sein Einkommen in immer geringerem Maße durch seine eigene Arbeit erwirken kann". Der Gesellschaft gehe die Arbeit aus. Darin liegt ein Denkfehler. Wenn ein Auto heute in einem Mannjahr hergestellt wird statt in zehn, dann heißt das zunächst nur, dass der Arbeiter auf die Herstellung dieses Produkts nur noch ein Zehntel seiner Arbeitszeit verwenden muss, nicht dass er deswegen weniger Einkommen hätte. Einkommen ist nichts anderes als der geldliche Gegenwert der hergestellten Produkte. Wird die Gesellschaft mit Produkten ausreichend versorgt wo nicht gar überversorgt, gibt es auch die Geldmittel dafür. Der ausreichend mit Waren versorgte Mensch kann die frei gewordene Zeit darauf verwenden, Dienstleistungen aller Art zu vollbringen. Das ist ebenfalls gesellschaftlich notwendige Arbeit — und zwar eine, die in einer arbeitsteiligen und hoch produktiven Gesellschaft immer nötiger wird.
Dass dem Einzelnen heute das Einkommen aber fehlt, die Produkte zu kaufen, die er hergestellt hat, liegt an der privaten Aneignung des Mehrprodukts durch den Kapitaleigner — kurz: der kapitalistischen Ausbeutung. Diese stellt Werner nicht in Frage, er sieht sie nicht einmal. Was er sieht ist, dass immer mehr Menschen das nötige Einkommen fehlt, und er versteht dies als eine Schmälerung der Nachfrage. Er kommt daher zur Vorstellung, es bedürfe einer "alternativen Einkommensquelle", um diese Nachfrage zu schaffen — ein bedingungsloses Grundeinkommen eben. "Mit dem Ansatz ‘Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen‘, kommen wir heute nicht mehr weiter. Die Wirtschaft hat die Aufgabe, die Menschen mit Geld zu versorgen, damit sie die Güter und Dienstleistungen auch kaufen können." Das sehen die meisten seiner Unternehmerkollegen allerdings gänzlich anders.

Umverteilung in der Klasse

Woher kommt das Geld? Aus der Mehrwertsteuer. Wer bezahlt sie? Alle Menschen, die konsumieren, und da sie in ihrer großen Mehrzahl abhängig Beschäftigte sind, zahlen sie also diejenigen, deren Einkommen eigentlich zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts reichen müsste. Sie zahlen doppelt, nämlich für die mit, die kein Einkommen, weil keine Arbeit haben. Alternativ ist diese Einkommensquelle nicht, es wird immer die Arbeit belastet, in diesem Fall das hergestellte Produkt. Die Freisetzung von Lohnarbeit aus der Industrie ausschließlich über die Mehrwertsteuer zu finanzieren bedeutet, die Kosten für den Produktivitätsfortschritt in erster Linie den Lohnabhängigen aufzubürden.
An dieser Stelle stimmt Werner wieder voll in den Gesang seiner Mitbrüder ein. Das Hauptanliegen seines Grundeinkommensmodells ist nämlich nicht, die Armut zu bekämpfen ("es geht nicht in erster Linie um die Finanzierung von Transferleistungen, die es bisher nicht gab"), sondern die Steuerlast anders zu verteilen. Alle Steuern sollen nämlich abgeschafft werden — bis auf die Mehrwertsteuer, die erhöht sich auf 50%. Aus der Mehrwertsteuer wird das Grundeinkommen gezahlt und alles andere, was die Gemeinschaft so braucht.
Vorteil 1: Die Produktion werde nicht mehr belastet (das ist nicht richtig, der Unternehmer wird nicht mehr belastet, während der Arbeiter (der eigentliche Produzent) nun in Form der Konsumsteuer viel mehr bezahlt als was vorher an Lohnsteuer anfiel.
Vorteil 2: Der Staat kann verschlankt werden, weil Verwaltungskosten und ein Großteil der Renten, Krankengeld, Arbeitslosengeld u.a. entfallen.
Vorteil 3: Die Löhne sinken erheblich, für die Unternehmer wie für den Staat. "Die ganze Produktion wird steuerfrei gehalten und es kann unbehindert investiert werden." (Als wären die Steuern ein Hinderungsgrund für Investitionen!)
Der Modell Werner erfüllt die beiden zentralen Bedingungen neoliberaler Dogmatik: Streichung der Unternehmensteuern und Senkung der Löhne. "Die Entlastung der öffentlichen Kassen führt zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung der einzelnen Bürger."
Vorwürfen, damit ein Inflationskarussel in Gang zu setzen, widerspricht er: Aufgrund des herrschenden Wettbewerbs müssten die Unternehmen den ihnen so zuwachsenden Kostenvorteil in Form sinkender Preise weiter geben. Er ignoriert dabei die hohe Kartellbildung, aber auch das Gesetz von Angebot und Nachfrage: Wenn die Nachfrage durch ein Grundeinkommen hoch gehalten wird, steigt der Preis, den man erzielen kann.
Werner begründet die Entscheidung für die Mehrwertsteuer damit, die Unternehmer würden eh "faktisch keine Steuern zahlen", weil sie alle Steuern auf die Preise abwälzten. Die Mehrwertsteuer zur alleinigen Steuer zu deklarieren, aber entspreche einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft, in der man nicht mehr hauptsächlich die eigenen Arbeitsergebnisse, sondern hauptsächlich die anderer konsumiert.

Wozu Steuern?

In einem räuberischen Staat, in dem eine kleine Minderheit eigene Privilegien auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen kann, sind Steuern nichts anderes als eine weitere Form der Ausplünderung der arbeitenden Bevölkerung. In einem demokratisch verwalteten Gemeinwesen, in dem der Mehrheitswille respektiert wird, hätten Steuern und Abgaben einen dreifachen Sinn: Sie dienen 1. der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen (und sind insofern von allen zu zahlen); sie sind 2. ein Instrument, die Gemeinschaft oder die Umwelt schädigende Produkte zu verteuern und damit zu minimieren; und 3. erlauben sie eine Umverteilung von Gewinn bringenden auf weniger Gewinn bringende Sektoren, gesellschaftliche Bereiche und Einkommensschichten — und sind insofern eine Restitution der Unternehmen an die Gemeinschaft, da sie von den Infrastrukturvoraussetzungen, die die Gemeinschaft erbringt, ja profitieren.
Von diesen drei Funktionen bleibt im Wernerschen Modell nichts übrig. Die allgemeine Mehrwertsteuer kann weder umweltschädliche Produkte mit Strafzöllen belegen, noch kann sie die exorbitanten Gewinne aus hoch produktiver Fertigung gesellschaftlich solidarisch in solche Bereiche umleiten, wo die Produktivität noch nicht so weit ist bzw. wo sie aus guten Gründen niemals so hoch sein kann. Sie bleibt dann die einzige Quelle des Staates, um öffentliche Dienstleistungen zu bezahlen, und ob danach noch was für ein bedingungsloses Grundeinkommen übrig bleibt und wie viel, das steht in den Sternen.
Mit dem Anteil, der übrig bleibt, hat sich vor allem der Sektor der personalen Dienstleistungen zu begnügen, die gesellschaftlich notwendig aber arbeitsintensiv sind. Sie werden dann aus dem bGE bezahlt — eine nur notdürftig verdeckte Verallgemeinerung der unbezahlten Arbeit.
Werner beziffert das Grundeinkommen nicht — und das steht durchaus im Einklang zu seinem Ansatz: "Es geht nicht um die Finanzierung von Transferleistungen, die es bisher nicht gab". Er ist mit jedem Betrag zufrieden, 50 Euro wären auch schon gut (wofür allerdings die Mehrwertsteuer um 3% angehoben werden müsste und die Preise um nochmals 2,8% stiegen, die derzeitige Preissteigerungsrate sich also verdoppeln würde), 300 oder 500 Euro wären natürlich besser, und grundsätzlich will er auch 1500 oder 1700 Euro Grundeinkommen nicht ausschließen. Das ist dann das Reich der Freiheit, aber es ist arg weit weg.
In der Umstellungsphase aber, wo das bedingungslose Grundeinkommen mit einem niedrigen Betrag anfängt, liegen Werners Vorstellungen in gefährlicher Nähe zu Liberalen wie Thomas Straubhaar vom HWWI (800 Euro) oder dem Ministerpräsidenten von Thüringen, Dieter Althaus (600 Euro). In deren Vorstellungen reicht das Grundeinkommen nicht zum Leben noch zum Sterben, deswegen herrscht auch weiter Arbeitszwang. Die Transferleistungen aber werden gestrichen und alle Löhne sind Kombilöhne. 800 Euro trennen den Kommunismus vom ALG II. Ist Utopie so billig zu haben?

Angela Klein

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