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Über
Jahrhunderte hinweg wurden Roma und Sinti ausgegrenzt und verfolgt. Der grausame Höhepunkt dieser
bedrückenden Tradition war die Zigeunerverfolgung in der NS-Zeit, wo dem Rassenwahn die Deportation,
das Massensterben im "Zigeunerfamilienlager" Auschwitz-Birkenau und die Ermordung in den
Gaskammern folgten. Aber auch nach 1945 endete keineswegs die Diskriminierung dieser Volksgruppe.
Die Autoren untersuchen am Beispiel
Köln die Verfolgungsmaßnahmen der beteiligten Institutionen, die bis zum Völkermord gehende
Ausgrenzung, die ihr zugrundeliegende Ideologie und das Ineinandergreifen von lokalen, regionalen und
reichsweiten Maßnahmen. Damit liegt eine umfassende quellenanalytische Aufarbeitung mit Blick auf die
Kontinuität der Verfolgungspraxis vor. Bei den Kölner Akten handelt es sich um eine
vergleichsweise günstige Quellenlage, die sich weit über das Kölner Stadtgebiet hinaus
erstreckt. Sie sind umso wichtiger, da die meisten "Zigeunerpersonenakten" nach 1945 gezielt
vernichtet wurden.
Der Kölner Archivbestand enthält
neben den Anordnungen zu Vorbeugungshaftstrafen und Überwachung auch "Zigeunerpersonenakten"
und eine "Zigeunerkartei" der Kriminalpolizeidienststelle Köln. Dieser Bestand diente
man glaubt es kaum bis mindestens 1981 dem in Köln tätigen "Fachkommissariat für
Zigeuner" als Datenbasis. Sie wurden auch im Rahmen des Datenaustauschs mit den sog.
Landfahrerzentralen benutzt. Erst nach der Intervention der Verfasser des Buches wurde der umfangreiche
Archivbestand 1989 von Köln an das nordrhein-westfälische Hauptarchiv abgegeben.
Ein weiterer Skandal: auch die
"Landfahrerstelle des bayrischen Landeskriminalamts" verwendete noch bis in die 70er Jahre
Materialien der "rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle" des
Reichsgesundheitsamts.
Das erste Kapitel ist der Geschichte vor
1933 gewidmet. Schon im 16.Jahrhundert glaubte das Erzbistum Köln sich vor "Zigeunern und
Umherziehenden" schützen zu müssen, indem es eine Schutztruppe unterhielt, die kontrollierte
und abwies. Trotzdem war das Bild nicht einheitlich, und es gab bis 1700 auch Gegenden, in denen
"fahrendes Volk" als Händler oder Heilkundige durchaus willkommen war, ebenso wie in
Kriegszeiten als Soldaten.
Ab dem 17.Jahrhundert änderte sich mit
dem Anwachsen einer Unterschicht in den Städten und auf dem Land die Verfolgungspraxis.
Schließlich führten die Ideen der Aufklärung zu dem Versuch, die Zigeuner gewaltsam zu
assimilieren.
Mit der Reichsgründung
vereinheitlichte sich die Verordnungslage zum Nachteil der Betroffenen, das "bandenweise
Umherstreifen" sollte streng unterbunden werden. Gegen Ende des 19.Jahrhunderts wurde mit einer
"Zigeunerkartothek" begonnen und immer neue Verordnungen erschwerten die Lebenslage dieser
Menschen so sehr, dass es zur völligen Verarmung der meisten Familien kam.
Im zweite Kapitel geht es um die NS-
Rassenpolitik. Gut herausgearbeitet ist die Tatsache, dass viele der Bestimmungen gegen "nicht
sesshafte Zigeuner und nach Zigeunerart umherziehende Personen" schon im Kaiserreich existierten, wo
im aufkommenden kolonialen Rassismus Zigeuner als Angehörige "außereuropäischer
Rassen" gekennzeichnet und als rückständig und zur Anpassung unfähig definiert wurden.
In der Weimarer Republik geht es verschärfend immer weniger um die Lebensweise, sondern immer mehr um
die ethnische Zuordnung, mit der repressive Maßnahmen eingeleitet wurden.
Eine mit der Machtübernahme der Nazis
schnell einsetzende Radikalisierung von Behörden und Polizei erfasste und kriminalisierte diesen
Personenkreis und führte Razzien durch, die zu Verhaftungen und ersten Einweisungen in die
Konzentrationslager führten.
Das "Reichszigeunergesetz" von
1936 ging noch weiter, indem es nun die "Unbezähmbarkeit des Wandertriebs" zum Anlass nahm,
die Eingliederung der Zigeuner aus rassenpolitischen Gesichtspunkten abzulehnen. So wurde von Bayern
ausgehend der Begriff "echter Zigeuner" zur Unterscheidung von "unechten Zigeunern"
eingeführt, um sie "rassemäßig" unterscheiden zu können. Jetzt war von
"dem deutschen Volkstum fremdem Zigeunervolk" die Rede, Zwangssterilisation und Eheverbote
folgten.
Doch waren Verfolgung und Repression
keineswegs einheitlich. Während etwa Freiburg 1935 die Vertreibung sämtlicher Zigeuner beschloss,
den bestehenden städtischen Wohnwagenstellplatz schloss und die Familien aus der Stadt abschob,
entstand in Köln das reichsweit erste "Zigeunerlager" im Stadtteil Bickendorf.
Mit dem wachsenden Zwang zum Aufenthalt in
solchen Lagern wurde auch die Ausübung ambulanter Berufe nahezu unmöglich, die Abhängigkeit
von Wohlfahrtsunterstützung war die Folge, die allerdings gegenüber anderen Empfängern stark
gekürzt war.
Das Buch dokumentiert die mit grausamer
Gründlichkeit vorgenommene totale Erfassung, deren Zuständigkeit traditionell zum
Tätigkeitsbereich der Kriminalpolizei gehörte dieser Entscheidung lag die Unterstellung
eines kriminellen Lebenswandels dieser Menschen zugrunde. Sehr ausführlich mit vielen
Fallbeispielen, Berichten von Betroffenen und dem Abdruck zahlreicher Dokumente wird beschrieben,
wie sich die Schlinge um Zigeuner und Zigeunermischlinge immer enger zieht, bis zur "Endlösung
der Zigeunerfrage". Von den Deportierten kehrten nur wenige zurück, vorsichtige Schätzungen
haben ergeben, dass 80% ermordet wurden.
Abschließend wird im Buch die
Nachkriegszeit behandelt. Die antiziganistische Stimmung hielt sich ungebrochen auch nach Kriegsende. Die
wenigen Rückkehrer sahen sich abermals Zwangsmaßnahmen ausgesetzt, einer erneuten Ghettoisierung
oder einer grundgesetzwidrigen Ausbürgerung. Meldeten sie Ansprüche auf Entschädigung an, so
wurden sie peinlichen und erniedrigenden Befragungen ausgesetzt, und ihnen wurde häufiger als anderen
die Anerkennung der Verfolgung und Entschädigungszahlungen versagt. Häufig trafen dabei die
früheren Akteure der NS-Zigeunerpolitik diese Entscheidungen.
Die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses
dunklen Kapitels deutscher Vergangenheit ist das Verdienst dieses Buches. Es kann dazu beitragen, dass die
Leser gegenüber ausgrenzenden und rassistischen Vorurteilen sensibler und hellhöriger werden,
damit die heute unter uns lebenden Roma und Sinti die Anerkennung und Unterstützung erhalten, die sie
so dringend benötigen.
Larissa Peiffer-Rüssmann
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