SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 20

Windbriefe an den Herrn b.b.

Käthe Reichel: Windbriefe an den Herrn b.b., Leipzig: Faber & Faber, 2006, 222 Seiten, 18,90 Euro

Welche Schauspielerin kann so still klagen, aber auch so schrill keifen, so vergnügt grienen und so schneidend scharf höhnen wie Käthe Reichel, die jetzt 80- jährige, die sich im Nu auch in die Rolle eines kleinen Mädchens versetzt. Was sie weiß und kann verdankt sie zu einem entscheidenden Teil ihrem Lehrer Bert Brecht. In einem Film zu dessen 50.Todestag wurde sie gefragt, ob Brecht die Frauen in seiner Nähe ausgenutzt habe. Sie lachte schallend und stellte klar: "Wir! Wir haben ihn ausgenutzt."
Ihr Klagen und Keifen, ihr Grienen und Höhnen, ihr kindlich beharrliches Fragen, all das findet sich auch in einem schönen Buch, das sie jetzt vorgelegt hat: Windbriefe an den Herrn b.b., an Brecht also, den sie in einem von Dante geschilderten Zwischenreich vermutet, dem Limbus.
Den Titel erklärt sie so: "Da in der jetzigen Demokratie alles, wirklich alles in die pure Luft geschrieben ist, die sich deshalb auch Freiheit nennt, fand ich im Wind einen parteilosen Boten, der sich nicht fragen lässt, woher er kommt und wohin er verschwindet." Da zeigt sich schon ihre Imaginations- und Sprachkraft. Und ihr Hauptthema kündigt sich an: Freiheit und Demokratie.
Die 45 Briefe enthalten manche Erinnerungen an Brecht: wie er seine Wertschätzung für die handwerkliche Kunst eines Tischlers äußert; wie er sich in einem Restaurant erst über die zu kleine Portion beschwert, die er als unbekannter Gast bekommen hat, und dann über die zu üppige, die ihm serviert wurde, nachdem er als Prominenter erkannt worden war; oder wie er gegen den freien Eintritt in die Museen argumentiert: 20 Pfennig müsse man nehmen, damit das Volk nicht glaube, die Kunst sei nichts wert. Der Meister, seine Umgebung, seine Körpersprache — alles mit professioneller Genauigkeit beobachtet, mit schöner Sorgfalt geschildert.
Aber dies ist kein Buch über Brecht, es ist Produkt tagtäglicher Auseinandersetzung mit der Gegenwart, von Brecht inspiriert. Wenn sie "Freiheit" und "Demokratie" hört, tönt es aus Brechts "Anachronistischem Zug" erst fragend, dann zunehmend höhnisch zurück: "Freiheit und democracy". Sie seziert die heutige Mediensprache, bis man selber am Ende solche Wörter nicht mehr hören kann, ohne zu vermuten, dass mal wieder genau das Gegenteil gemeint ist.
Die größte Herausforderung sind für sie die immer neuen US-amerikanischen "Freiheitskriege", an denen das vereinte Deutschland so gern beteiligt sein will. Ihr starker Zorn wird, so hoffe ich, viele Leser ergreifen. Und ihr Lachen. Das schallende Lachen dieser hellwachen Frau.

Eckart Spoo

Aus: Ossietzky, Nr.17, 26.8.2006



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