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Welche Schauspielerin kann so still klagen, aber auch so schrill keifen, so
vergnügt grienen und so schneidend scharf höhnen wie Käthe Reichel, die jetzt 80-
jährige, die sich im Nu auch in die Rolle eines kleinen Mädchens versetzt. Was sie weiß und
kann verdankt sie zu einem entscheidenden Teil ihrem Lehrer Bert Brecht. In einem Film zu dessen
50.Todestag wurde sie gefragt, ob Brecht die Frauen in seiner Nähe ausgenutzt habe. Sie lachte
schallend und stellte klar: "Wir! Wir haben ihn ausgenutzt."
Ihr Klagen und Keifen, ihr Grienen und
Höhnen, ihr kindlich beharrliches Fragen, all das findet sich auch in einem schönen Buch, das sie
jetzt vorgelegt hat: Windbriefe an den Herrn b.b., an Brecht also, den sie in einem von Dante geschilderten
Zwischenreich vermutet, dem Limbus.
Den Titel erklärt sie so: "Da in
der jetzigen Demokratie alles, wirklich alles in die pure Luft geschrieben ist, die sich deshalb auch
Freiheit nennt, fand ich im Wind einen parteilosen Boten, der sich nicht fragen lässt, woher er kommt
und wohin er verschwindet." Da zeigt sich schon ihre Imaginations- und Sprachkraft. Und ihr Hauptthema
kündigt sich an: Freiheit und Demokratie.
Die 45 Briefe enthalten manche Erinnerungen
an Brecht: wie er seine Wertschätzung für die handwerkliche Kunst eines Tischlers
äußert; wie er sich in einem Restaurant erst über die zu kleine Portion beschwert, die er
als unbekannter Gast bekommen hat, und dann über die zu üppige, die ihm serviert wurde, nachdem
er als Prominenter erkannt worden war; oder wie er gegen den freien Eintritt in die Museen argumentiert: 20
Pfennig müsse man nehmen, damit das Volk nicht glaube, die Kunst sei nichts wert. Der Meister, seine
Umgebung, seine Körpersprache alles mit professioneller Genauigkeit beobachtet, mit
schöner Sorgfalt geschildert.
Aber dies ist kein Buch über Brecht,
es ist Produkt tagtäglicher Auseinandersetzung mit der Gegenwart, von Brecht inspiriert. Wenn sie
"Freiheit" und "Demokratie" hört, tönt es aus Brechts "Anachronistischem
Zug" erst fragend, dann zunehmend höhnisch zurück: "Freiheit und democracy". Sie
seziert die heutige Mediensprache, bis man selber am Ende solche Wörter nicht mehr hören kann,
ohne zu vermuten, dass mal wieder genau das Gegenteil gemeint ist.
Die größte Herausforderung sind
für sie die immer neuen US-amerikanischen "Freiheitskriege", an denen das vereinte
Deutschland so gern beteiligt sein will. Ihr starker Zorn wird, so hoffe ich, viele Leser ergreifen. Und
ihr Lachen. Das schallende Lachen dieser hellwachen Frau.
Eckart Spoo
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