SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Oktober 2006, Seite 20

Crossover

Shtetl Superstars (Trikont)

Wie kann man folgende drei Fragen in einer Plattenproduktion beantworten : Was ist eigentlich heute crossover? Wie klingt zeitgenössische jüdische Popmusik? Und was gibt es auf dem Weltmusikmarkt das unbedingt gehört werden soll? Die Antwort heißt Shtetl Superstars und ist eine der Herbstproduktionen des Trikont-Labels "Unsere Stimme" aus München. Yuriy Gruzhy (der bereits zusammen mit Wladimir Kaminer bei "Unsere Stimme" die Compilation Russendisko veröffentlichte) und der Film- und Theaterkomponist Lemez Lova haben eine Weltreise zusammengestellt, die sprachlich, thematisch und musikalisch Grenzüberschreitungen sowohl zum Weg wie zum Ziel der Reise machen.
Die Wurzeln dieser Musik sind im Klezmer zu finden, im jiddischen Liedgut, oder besser gesagt in der jüdischen Kultur: Die Diaspora, das Exil spielen dabei eine nicht unerhebliche Rolle. Der Baum der sich heute darüber erhebt, nimmt die Witterungseinflüsse von Punk, HipHop und Reggae genau so auf, wie Jazz, Ska oder Drum ‘n‘ Bass. Die Früchte, die dabei herauskommen, entwickeln einen ganz exklusiven Geschmack, der immer wieder eine bekannte Note erspüren lässt.
Die CD wird eröffnet von einem Yuriy- Gruzhy-Remix, der Amsterdam Klezmer Band. Der Raggamuffin-Stil, mit dem er den "Immigrant Song" der sieben niederländischen Musiker versieht, wird noch ergänzt durch das Akkordeon von Daniel Kahn. Die Amsterdam Klezmer Band wurde bekannt durch die Mischung aus Klezmer, Balkan Gipsy Music und Jazz. Daniel Kahn, Liedermacher aus Kanada, lebt in Berlin und nennt seine Musik Verfremdungsklezmer, und dazu eben ein DJ der dem ganzen noch einmal eine neue Richtung gibt. Dieser Einstieg in die Musik eröffnet eine Zusammenstellung, die immer wieder überrascht, die nicht für möglich gehaltenes möglich macht und die doch irgendwie logisch erscheint. So zum Beispiel Terry Hall von den Specials und Mushtaq von Fun-da-mentel die vor drei Jahren eine CD in England produzierten, die ihre unterschiedlichen musikalischen Vorgeschichten zu einer hörenswerten Synthese verband . Mit "This and That" steuern sie einen der langsameren Songs auf diesem Album bei. Ein arabisch-jüdischer Song, der wesentlich mehr als ein friedliches Miteinander demonstriert.
Ein weiterer Künstler, der schon als Person für eine Unwahrscheinlichkeit steht, ist Remedy: Als jüdischer Weißer rappt er im Wu Tan Clan. Bekannt wurde er unter anderem durch seinen Titel "White Boy", in dem er über die damit verbundenen Schwierigkeiten singt. "Never again" ist ein Rap, der den Holocaust thematisiert und den Rassisten ein "Niemals werden wir wieder wie Schafe zum Schlachter marschieren" entgegenschmettert.
Mit einem wachsenden Rassismus sind auch Pakava It in Moskau konfrontiert. Sie halten dem eine Mischung aus Polka, Funk, Latin und Ska auf einer Klezmer-Grundlage entgegen. Auf dieser Zusammenstellung kommen sie allerdings mit "Klezmer Ivanych" schon fast traditional anmutend daher. Ganz anders Ha Biluim aus Israel. "Hora beats aus dem Kibbuz und Punk-Rockabilly-Gitarren", so beschreiben sie ihre Musik und im Grunde ist es Punk Pop mit finsteren Texten.
Die Reise blickt einmal bei Surf-Musik vorbei (Astroglides) und macht mal beim Glam Rock halt (Boogie Balagan). Das die jungen jüdischen Musikerinnen und Musiker in der Diaspora die verschiedenen Stile verarbeiten ist ja naheliegend. Die letzten Bands sind genau wie Boom Pam allerdings Bands aus Israel. Letztere beantworten die Frage nach dem Warum für diese Vielfalt folgendermaßen: "Dieser Mix zeigt, wie Israel wirklich ist, denn hier treffen Leute aus aller Welt aufeinander. Die haben ihre eigene Kultur, ihre Musik — wir haben einige großartige ältere Musiker hier, die aus den verschiedensten Ländern kommen. Israelische Musik ist im Grunde immer ein Mix von all dem und nichts, was wir schon als israelische Musik definiert hätten." Was sie hier für ihre eigene Musik sagen, gilt umso mehr für die ganze Zusammenstellung.
"Funky Jewish Sound from around the World", heißt es im Untertitel der CD. Das ist vielleicht für die Spannbreite der 19 Titel etwas zu kurz gegriffen. Denn bei dieser Zusammenstellung wird eine Musik — vor allem auf der Basis von Klezmer — über die verschiedenen popmusikalischen Grenzen geschickt, dass allein die Frage bleibt: Warum erst jetzt?

Thomas Schroedter

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang