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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 05

Europa ist der Schlüssel zur Lösung der Krise

Mohssen Massarat über die Gefahr eines Krieges gegen den Iran

Im Streit um die Uranreicherung des Iran hat jetzt der UN-Sicherheitsrat das Wort. Eine neue Stufe der Eskalation ist zu befürchten. Mohssen Massarrat ist Professor für Politik und Wirtschaft am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück mit den Forschungsschwerpunkten Mittlerer und Naher Osten, Energie, Friedens- und Konfliktforschung, Nord-Süd-Konflikt. Für die SoZ sprach Angela Klein mit Mohssen Massarat.

US-amerikanische Quellen um das Netzwerk von Michel Chossudowsky herum haben am 11.Oktober eine ausführliche Dokumentation ins Netz gestellt, die belegen soll, dass die USA im Verbund mit der NATO und Europa einen unmittelbar bevorstehenden Krieg gegen den Iran vorbereiten. Der Truppenaufmarsch im Persischen Golf und im östlichen Mittelmeer — der Flugzeugträger USS Enterprise im Verbund mit ganzen Einheiten von Zerstörern, U-Booten und Versorgungsschiffen, aber auch die Fregatten und Kriegsschiffe, die Deutschland und Spanien derzeit vor die syrische Küste schicken in Verbindung mit italienischen Aufklärungseinheiten — soll belegen, dass hier ein Großaufgebot in der Region zusammengezogen wird, das nur noch auf das Kommando zum Schießen wartet. Wie schätzt du die Kriegsgefahr ein?

Wenn die Gefahr so unmittelbar wäre, hätten wir m.E. mehr darüber erfahren. Chossudowsky dramatisiert manchmal. Natürlich sind die Bestrebungen da und man muss genau beobachten, was vor sich geht, insofern ist sein Grundanliegen richtig. Aber es macht keinen Sinn, jeden Monat zu proklamieren: Jetzt steht der Krieg bevor; irgendwann passiert es und wir haben es verschlafen...
Ich weiß, dass permanent neue Pläne in Umlauf gesetzt werden. In den letzten Tagen ist der Plan eines US-Militärs, Ralph Peters, in der US-Militärzeitschrift Armed Forces Journal bekannt geworden, der den Nahen Osten völlig neu aufteilen will mit ganz neuen Grenzen entlang von Blut und Ethnien — eine völlige Umgestaltung der Region. Allein dieser Plan bringt erhebliche Unruhe. Das ist möglicherweise auch beabsichtigt, um die Ethnien zu mobilisieren, bspw. Kurdistan und Belutschistan gegen die anderen Staaten. Der Plan findet Verbreitung — das gehört in das Kapitel psychologische Kriegsführung.

Wie schätzt du generell die Möglichkeit eines Krieges gegen den Iran ein?

Das hängt von zwei Dingen ab: Erstens davon, ob die Europäer unter dem Deckmantel der nordatlantischen Geschlossenheit an der Leine der Neokonservativen in den USA bleiben. Wenn sie das tun, dann wird bald die Verhängung von Sanktionen durch den UN-Sicherheitsrat in Gang gesetzt, weil die Verhandlungen zwischen Teheran und Brüssel abgebrochen sind. Der UN-Sicherheitsrat hat jetzt die Möglichkeit, eine neue Eskalationsstufe herbeizuführen mit der Verhängung ökonomischer Sanktionen, die irgendwann in einen Krieg münden können. Das ist die erste Möglichkeit. Wenn die Europäer ihre Politik fortsetzen wie bisher, dann ist es wahrscheinlich, dass es innerhalb der verbliebenen Amtszeit von Bush zu einem Krieg kommt.
Die zweite Möglichkeit ist, dass nachgewiesen wird, dass der "Ernstfall", nämlich die Bedrohung der Existenz Israels, durch wen auch immer herbeigeführt wird. Das wäre ein Fall, wo die USA einen Krieg gegen den Iran auch unabhängig vom UN-Sicherheitsrat vom Zaun brechen könnten. Ich habe den Libanonkrieg als einen solchen Versuch gesehen. Hätten die Raketen der Hizbollah tatsächlich Tel Aviv, damit das Kernland Israel, angegriffen, wäre dieser Fall eingetreten.

Gibt es eine UNO-Regelung dafür?

Nein. Aber die Bedrohung Israels wird international so hoch bewertet, dass die USA sich dann moralisch legitimiert fühlen würden, zusammen mit Israel zu reagieren. Dann steht Europa mit leeren Händen da und wird einen Krieg gegen den Iran dulden.

Siehst du eine Möglichkeit, dass die europäische Gefolgschaft gegenüber den USA an diesem Punkt aufgebrochen werden kann?

Nur wenn Deutschland und Europa — trotz ihrer sonstigen Geschlossenheit mit den USA eine Sache ausschließen: nämlich Krieg gegen den Iran. Wenn das vorher geschieht, wenn die Europäer von vornherein klarmachen, dass sie auf keinen Fall einen Krieg gegen den Iran unterstützen werden, dann sieht die Sache für die US-Regierung ganz schlecht aus. Dann bekommt sie innenpolitisch große Schwierigkeiten, diese Eskalationslinie wie bisher voranzutreiben. Dann besteht auch eine Chance, dass sich die USA auch auf andere Alternativen einlassen und ernsthafte Angebote machen, die sie bis jetzt nicht gemacht haben. Sie haben dem Iran ernsthafte Sicherheitsgarantien verweigert, weil sie die EU-Verhandlungen bewusst scheitern lassen wollten.

Der französische Innenminister Nicolas Sarkozy, der gern Kandidat der Regierungspartei UMP für die französische Präsidentschaft im kommenden Jahr wäre, hat bei seinem jüngsten Treffen mit George Bush mit Blick auf den Iran geäußert, Frankreich habe sich "vor dem Irakkrieg zu arrogant verhalten".

Das ist sehr gefährlich. Da gibt es erstmals einen Schulterschluss zwischen den Ultras auf beiden Seiten des Atlantiks. Auch Sarkozy fährt aus innenpolitischen Gründen einen scharf antiarabischen Kurs. Mit Sicherheit versucht er sich damit im bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf zu profilieren, reaktionäre antiarabische Ressentiments zu schüren und die ansonsten gespaltene Rechte um sich zu scharen.
In Deutschland dümpelt die Regierung in der Außenpolitik profillos vor sich hin; dafür trommeln proisraelische Kräfte umso lauter für den Krieg.

Hat die Ankündigung Nordkoreas, eine Atomrakete gezündet zu haben, Auswirkungen auf den Kriegskurs gegen den Iran?

Wahrscheinlich ja. Die Kriegstreiber in Washington hätten ein neues Argument, den Iran schon jetzt daran zu hindern, wie Nordkorea Fakten zu schaffen.

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