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Seit Monaten wird darum gestritten, ob auch in Deutschland die Börsenspekulation mit steuerbefreiten
Immobiliengesellschaften, sog. REITs, zugelassen wird. Mieterverbände befürchten: REITs könnten zu milliardenschweren
Steuerausfällen, Mieterhöhungen und einer weiteren Anheizung des Ausverkaufs öffentlich verbundener Wohnungsunternehmen
führen. Finanzminister Steinbrück aber will REITs bis zum 1.Januar 2007 zulassen.
Neun Uhr morgens am 6.Dezember 2005: Eine Kolonne Polizeiautos fährt in der
Sozialsiedlung Lincoln Place in Venice, Kalifornien, vor. Begleitet von privaten Schutzmännern des Vermieters, der Firma AIMCO, schlagen sie an die
Türen und dringen in die Häuser ein. Die Beamten haben Räumungsbefehle für 52 Sozialmieter dabei.
Die Firma AIMCO ist ein großer REIT, ein Real Estatement Investment Trust, also ein
Beispiel für das, was Finanzlobbyisten und eine Mehrheit in der Regierungskoalition zum 1.1.2007 auch in Deutschland durchsetzen wollen: Große
Immobilienfonds, deren Anteile an der Börse gehandelt werden, die keine Unternehmensteuer zahlen und 90% des Gewinns an die Anleger (Banken,
Versicherungen, Pensionsfonds) ausschütten.
In den USA existieren REITs bereits seit 1960. Aber erst mit dem Platzen der
Spekulationsblasen in den 90er Jahren erlebten diese Immobilienanlagen einen kometenhaften Aufstieg. Heute gibt es in den USA etwa 200 öffentlich
gehandelte REITs mit einer Marktkapitalisierung von 475 Milliarden Dollar.
Lincoln Place wurde 1949 gebaut, locker mit Bäumen und Wiesen zwischen den architektonisch vorbildlichen Bauten. In der Gegend um Los Angeles
stiegen die Bodenpreise in den letzten fünf Jahren um 20% pro Jahr. Die Sozialmieten dagegen dürfen nur um 3% im Jahr steigen. Seit Erwerb der
Sozialwohnungen im Jahre 2003 will AIMCO deshalb die Siedlung abreißen und durch teure, höhere Eigentumsappartements ersetzen.
Mit 370000 Wohnungen ist AIMCO (die Deutsche Bank hält einen der
größten Anteile) der größte private Wohnungsbesitzer in den USA. Spezialgebiet: Aufkauf von Sozialsiedlungen, die abgerissen
werden, um lukrativeren Gebäuden Platz zu machen. "AIMCO hat gute Kontakte zum rechten Flügel der Republikaner", berichtet
Michael Kane vom amerikanischen Mieterbund NAHT. "Diese Unternehmen versuchen, möglichst schnell die Sozialbindungen los zu
werden."
Seit den 90er Jahren wurden in immer mehr Ländern außerhalb der USA eigene
REITs zugelassen. In Kanada, wo REITs 1994 zugelassen wurden, stiegen die Mieten eines Blocks mit 424 Wohnungen in Toronto vom Zeitpunkt der
Übernahme durch einen REIT 1999 bis 2001 um 22%, während die offizielle Mietsteigerungsrate in der Region nur 2,6 % betrug.
Seit Zulassung von REITs in Frankreich im Jahr 2003 haben diese ein Kapital von 26
Milliarden Euro angehäuft. REITs vertreiben die Mieter aus attraktiven Wohngebieten in Paris und Marseille. Der Steuerverlust für den Staat wurde
auf bis zu 3 Millarden Euro geschätzt.
Frankreich wird bereits als Standort genutzt, um deutsche Wohnungen in REITs zu
überführen. 40000 ehemalige Werkswohnungen von ThyssenKrupp sollen von ihrem Aufkäufer, einem Konsortium der US-Großbank
Morgan Stanley mit Sparkassen, an Foncière Développement Logements, einen lothringischen REIT, veräußert werden. Dabei
übernimmt Morgan Stanley hohe Anteile an dem französischen REIT.
Sozialer Widerstand ist dagegen selten. In Hongkong führte die
Überführung von öffentlichen Immobilien in den sog. LINK-REIT zu gerichtlichen Klagen von Mietern und kleinen Geschäftsleuten,
die höhere Kosten befürchten. In Malaysia wurde unterdessen der erste islamische REIT zugelassen. Neben städtischen Immobilien sollen
auch große Plantagen für die Bio-Diesel-Produktion übernommen werden. Islamische REITs sollen in Kürze auch in Dubai und
Pakistan gebildet werden. In Pakistan und Indien ist die für 2007 geplante REITs-Zulassung mit umfassenden Erleichterungen der
Grunderwerbsbesteuerung verbunden.
Vor allem in Großbritannien und Deutschland bestehen noch bedeutende Immobilienmärkte, die keine REITs an den Börsen haben.
Geschickt trieben die Finanzlobbyisten die Regierungen in London und Berlin in ein Wettrennen um die schnellste REIT-Zulassung. Im Unterschied zu
Deutschland ging das in Großbritannien bislang weitgehend geräuschlos von der Hand. Der Gefahr milliardenschwerer Steuerverluste soll durch die
Besteuerung der ausgeschütteten Dividenden begegnet werden. Um Konflikte mit zahlreichen Doppelbesteuerungsabkommen zu umgehen, wird der
maximale Anteil an einem REIT auf 10% festgesetzt. Diesem Modell will auch der deutsche Finanzminister folgen.
In deutschen Unternehmen, Behörden und Kommunen sollen 3 Billionen Euro
"Betongold" schlummern: Die Branche rechnet damit, dass bis 2010 Immobilien im Wert von 53 bis 130 Milliarden Euro durch REITs
übernommen werden können. Die Mieten und Immobilienpreise auf dem großen deutschen Markt sind im Weltvergleich preiswert, die
bisherigen öffentlichen Eigentümer sind pleite, die Industrieunternehmen suchen Eigenkapital: Eine Situation wie geschaffen für die schnelle
Verwandlung der sozialen Infrastruktur in einen wilden Börsenwesten.
Im letzten Frühjahr verfassten jedoch die SPD-Parlamentarier Ortwin Runde, Florian
Pronold und Nina Hauer ein kritisches Papier: "Heuschrecken vor der Wohnungstür". Detailliert beschrieben die Parlamentarier in ihrem
Papier, wie schwierig es ist, die durch REITs entstehenden Steuerschlupflöcher für internationale Anleger zu stopfen. Mit der Schaffung von REITs
würde auf den Wohnungsmärkten "die Durchsetzungskraft von Renditeinteressen gefördert", befürchten die Dissidenten.
Seitdem reißt die Diskussion um die finanziellen und wohnungspolitischen Folgen nicht ab.
Die Regierung richtete schnell eine Arbeitsgruppe ein, um die Parlamentslinken zu
überzeugen. Ohne Erfolg. Die Zahl der Kritiker innerhalb der SPD-Fraktion weitete sich eher aus. Mit Argumentationspapieren und Vorschlägen zur
Absicherung gegen Gefahren versuchte Steinbrück, der Kritik den Wind aus den Segeln zu nehmen. Aber auch das konnte die grundsätzlichen
Bedenken nicht beiseite räumen. Seit November soll nun SPD-Fraktionsschef Struck die Sozialdemokraten auf Linie bringen. Steinbrück ist mit
einem Gesetzentwurf vorgeprescht. Und bis zum 25.Oktober soll Merkel grünes Licht für den Gesetzentwurf geben.
Betroffenenverbände wie das Mieterforum Ruhr befürchten dagegen: Sollte die Bundesregierung ihren Fahrplan einhalten, wird an der
Privatisierungsfront kein Halten mehr sein. Klamme Kämmerer werden der Versuchung, die kommunalen Immobilien steuerbegünstigt an die
Börse zu bringen, kaum widerstehen können. Schon hat der Berliner Finanzsenator Sarrazin gefordert, den gesamten kommunalen
Wohnungsbestand in der Hauptstadt zu veräußern.
Besonders scharf auf deutsche REITs sind internationale Fondsgesellschaften, die seit 2004
über eine halbe Million Wohnungen in Deutschland übernommen haben. Deutsche REITs könnten ihnen als Plattform für die
Eroberung der Märkte in ganz Europa dienen und als Option für den schnellen Umstieg aus der Fondsfinanzierung.
REITs werden allerdings die privatisierten Wohnungen mit sehr hohen Renditeerwartungen
belasten. Wie die Erfahrungen im Ausland zeigen, werden diese Renditen erzielt durch: Personalabbau, heftige Mieterhöhungen, Umwandlung und Abriss
preisgünstiger Wohnungen, Vernachlässigung der Instandhaltung, Kündigung und Räumung ärmerer Mieter.
Die massiven Steuerausfälle können nur kurzfristig um den Preis eines
gigantischen Verzehrs öffentlichen Vermögens kompensiert werden. Außerdem ist damit zu rechnen, dass es, wie in den USA, zu einer
gigantischen Konzentration von Marktmacht auf den Wohnungsmärkten kommt. Wenn Immobilienriesen eine halbe Million Wohnungen und mehr
kontrollieren, wird es nur eine Frage der Zeit sein, bis es zu Deregulierungen beim bislang noch vergleichsweise starken Mieterschutz kommt.
Es ist höchste Zeit, dass der Kampf gegen die Ausplünderung des
öffentlichen Wohnungseigentums die bisherigen lokalen Verteidigungsbündnisse (zahlreiche Bürgerbegehren, derzeit in Freiburg)
überschreitet. Die Volksinitiative gegen den Verkauf der LEG in NRW versucht gerade zu zeigen, dass der Erhalt öffentlichen Wohnungseigentums
auch auf Landesebenen mehrheitsfähig ist. Längst wäre es aber erforderlich, zu bundesweiten Mobilisierungen zu kommen. Die Wucht des
global abgestimmten neoliberalen Angriffs auf die Reste der fordistischen Regulation im Wohnbereich erfordert darüber hinaus dringend eine
internationale Gegenbewegung von unten.
Knut Unger
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