SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 08

Immobilienspekulation

Die Armee der Arbeitslosen

Wie Sozialabbau zur Rekrutierungshilfe der Bundeswehr wird

Immer mehr Menschen sehen sich aufgrund fehlender Berufschancen gezwungen, sich bei der Bundeswehr zu verpflichten und damit an riskanten Auslandeinsätzen teilzunehmen. Damit ist auch in diesem Bereich unserer Gesellschaft eine Abwälzung der Risiken auf finanziell schlechter gestellte und Marginalisierte zugunsten derjenigen zu beobachten, die sich aufgrund ihrer Herkunft ohnehin schon weniger Risiken ausgesetzt sehen.

Der Zusammenhang zwischen wachsender Marginalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, Sozialabbau und zunehmenden Bundeswehreinsätzen im Ausland lässt sich nicht nur durch steigende Militärausgaben bei gleichzeitig sinkenden Sozialausgaben herstellen, wie dies im Allgemeinen geschieht. Diejenigen, denen die Sozialausgaben gekürzt werden, sind oft auch die, die bei Einsätzen im Ausland ihr Leben riskieren und die möglicherweise erst durch diese Kürzung dazu gezwungen werden.
Es gibt kaum Studien über die Motivation sich bei der Bundeswehr zu verpflichten, bzw. sich freiwillig für Auslandseinsätze zu melden. Das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr führt zwar regelmäßig Umfragen zum Thema "Berufswahl Jugendlicher und Nachwuchswerbung der Bundeswehr" durch. Die Ergebnisse der jüngsten Studie stehen jedoch ausschließlich dem Verteidigungsministerium als Auftraggeber zur Verfügung.

Sozialabbau, Marginalisierung und Militärdienst

Es ist aber über die Auswertung älterer Untersuchungen und Befragungen von Auszubildenden und Studenten bei der Bundeswehr möglich, ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen. Die zur Verfügung stehenden Ergebnisse zeigen, dass ein großer Teil der Jugendlichen, die sich bei der Bundeswehr verpflichten, dies vor allem aus ökonomischen Gründen und weniger aus Überzeugung tun.
Im Jahr 2003 konnten sich etwa 30% der männlichen Jugendlichen eine Verpflichtung bei der Bundeswehr vorstellen, wobei davon 30% angeben, sie würden sich verpflichten, da sie keine Möglichkeit sehen, einen anderen Ausbildungsplatz zu bekommen. Über 70% der Jugendlichen, die Interesse am Soldatenberuf haben, geben an, sie würden vor allem aufgrund der Arbeitsplatzsicherheit zur Bundeswehr gehen, fast 60% nennen die guten Einkommensmöglichkeiten als Grund. Im Gegenzug geben fast 90% der Jugendlichen, die sich nicht bei der Bundeswehr verpflichten wollen, hierfür als Grund an, sie könnten mit einem besseren Arbeitsplatz rechnen.
Nina Leonhard fasst in ihrem Lehrbuch Militärsoziologie — eine Einführung die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: "Wer berufliche Alternativen hat, geht nicht zur Bundeswehr ... Wer über ausreichende berufliche Chancen verfügt, zieht die Möglichkeit, Soldat der Bundeswehr zu werden, gar nicht in Betracht."
Ein ähnliches Bild ergibt sich bei denjenigen, die sich verpflichten und bei der Bundeswehr eine Ausbildung machen bzw. an einer Bundeswehr-Universität studieren.
Eine Befragung von Studenten der Bundeswehr-Universitäten Hamburg und München aus dem Jahr 2002 kommt zum Ergebnis, dass fast 70% der Studenten den Beruf des Soldaten nicht gewählt hätten, wenn ihnen dadurch nicht ein Studium ermöglicht worden wäre. Von denjenigen, die sich verpflichten, um eine Ausbildung bei der Bundeswehr zu machen, waren 27% laut einer Umfrage von Unteroffizieren aus dem Jahr 2002 zuvor arbeitslos. Zudem, so die Untersuchung, könne man einen Zusammenhang feststellen, zwischen erlebter Arbeitslosigkeit und Verpflichtungszeit: "Wer vor den Bundeswehr arbeitslos war, neigte überrepräsentativ stark zu einer längeren Verpflichtungszeit."
Auch wenn die unterschiedlichen Studien und Umfrageergebnisse kaum miteinander zu vergleichen sind, da jedesmal andere Methoden angewendet wurden, so sind sich diejenigen, die die Studien durchgeführt haben, darüber einig, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes, das Gehalt und die Weiterbildungsmöglichkeiten an Bedeutung gewonnen haben.
Noch im Mai 2000 berichtete die Berliner Zeitung von sinkenden Bewerberzahlen, wies jedoch gleichzeitig darauf hin, dass dies wohl aufgrund der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt kein dauerhaftes Problem der Bundeswehr sein würde. Als Begründung für den Rückgang an Bewerbungen werden die zunehmenden Bundeswehreinsätze im Ausland genannt. Doch nachdem sich die Gesellschaft daran gewöhnt hat, dass deutsche Soldaten in aller Welt unterwegs sind, nehmen die Bewerberzahlen wieder zu. Der Stern meldete im Juni 2005 unter dem Titel "Bundeswehr verzeichnet Zulauf wegen Arbeitslosigkeit", dass die Zahl der Bewerber kontinuierlich ansteigt. Eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt könnte jedoch zu Problemen bei der Nachwuchsgewinnung führen, wie dasselbe Magazin im April 2006 meldete.
Für das Jahr 2006 muss die Bundeswehr jedoch nicht damit rechnen, weniger Freiwillige rekrutieren zu können. Wie die Berliner Zeitung im Januar diesen Jahres meldete, werde die Bundeswehr zu einer "Armee der Arbeitslosen". Mehr als jeder Dritte einberufene Wehrpflichtige sei zuvor arbeitslos gemeldet gewesen. Der Run auf die Bundeswehr sei vor allem auf die Lage am Arbeitsmarkt zurückzuführen, so ein Sprecher der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg.
Die Tatsache, dass sich junge Leute aus ökonomischen Gründen, bzw. aufgrund fehlender Chancen verpflichten, lässt bereits vermuten, dass es sich größtenteils um Jugendliche aus finanziell schwachen Familien und mit schlechteren Schulabschlüssen handelt. Allgemeine Daten über die soziale Herkunft von Zeitsoldaten stehen nicht zur Verfügung, wohl aber über diejenigen, die an einer Bundeswehr-Universität studieren. Die oben bereits erwähnte Studie der Bundeswehr-Universität Hamburg kommt zu dem Ergebnis, dass "der Offizierberuf insbesondere für die Studenten aus den mittleren und niedrigen sozialen Herkunftsgruppen Chancen des Aufstiegs" biete. Die Befragung von Unteroffizieren im Jahr 2002 ergab, dass fast 90% einen Hauptschul- (etwa 40%) bzw. Realschulabschluss (etwa 50%) hatten, nur etwas mehr als 10% die Fachhochschulreife oder Abitur.
Es zeigt sich zudem, dass sich vor allem Jugendliche aus Ostdeutschland verpflichten und dies in erster Linie in Regionen, in denen eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht: "Während in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit das Interesse am Soldatenberuf steigt, ist in Gegenden mit guter Arbeitsmarktlage mit Rekrutierungsproblemen zu rechnen."
Der Wehrdienstberater der Bundeswehr in Neuwied, Lothar Melms, wies bei einer Werbeveranstaltung der Bundeswehr auf die Schattenseiten des Soldatenberufs hin: "Wer Soldat werden will, der muss mobil sein. Und das nicht nur innerhalb Deutschlands — zunehmend wird der Dienst auch im Ausland geleistet."
Jeder, der sich bei der Bundeswehr verpflichtet, erklärt sich automatisch dazu bereit, an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilzunehmen. Laut dem Bericht des Wehrbeauftragten von 2005 haben bereits mehr als 195000 Soldaten an Auslandseinsätzen teilgenommen. Die Bundeswehr verfügt derzeit über 254000 Soldaten, wobei 67000 Wehrpflichtige sind, die bisher nicht für Auslandseinsätze verpflichtet werden können.
Die Wahrscheinlichkeit, im Ausland stationiert zu werden, ist demnach extrem hoch und steigt weiter. Bis Februar 2006 waren 63 Bundeswehrsoldaten bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen, zahlreiche wurden verletzt und die Bundeswehr klagt über immer mehr durch Auslandseinsätze traumatisierte Soldaten. Dass sich angesichts dieser Entwicklung die Begeisterung für den Soldatenberuf in Grenzen hält, ist allzu verständlich.
Die empirisch belegten Erkenntnisse bekommen angesichts zunehmender Bundeswehreinsätze im Ausland und der damit verbundenen Gefahren für die Bundeswehrsoldaten, vor allem im Lichte von Hartz IV und rasantem Sozialabbau eine zusätzliche Brisanz. Anzeigen der Bundeswehr heben die Vorteile, wie Arbeitsplatzsicherheit, hohes Einkommen usw. hervor. Inzwischen wirbt auch die Agentur für Arbeit mit denselben Argumenten für die Bundeswehr.

Das Arbeitsamt als Rekrutierungsbüro

Das Arbeitsamt vermittelt Arbeitsplätze — auch für die Bundeswehr. Immer wieder gibt es Veranstaltungen zur Anwerbung von — vor allem jugendlichen — Arbeitslosen, bzw. Schulabgängern, die gemeinsam vom Arbeitsamt und der Bundeswehr organisiert werden.
Auf den Protest Bremer Arbeitsloser gegen die Anwerbung von Erwerbslosen für Auslandseinsätze im November 2001, reagierte der Vize-Chef des Arbeitsamtes mit Unverständnis. Die Bundeswehr sei eine ganz normale Firma, mit der man zusammenarbeite. Die Arbeitsagentur in Dessau startete im Juli 2006 gemeinsam mit der Bundeswehr ein Projekt, in dem arbeitslose Jugendliche als Zeitsoldaten gewonnen werden sollen. Sowohl die Arbeitsagentur als auch die Bundeswehr freuen sich über die "hervorragende Zusammenarbeit". Die hohen Anwerbezahlen von Zeitsoldaten über die Arbeitsagenturen sei "ein gutes Zeichen für die Motivation von jungen Arbeitslosen in der Region, auch nichtalltägliche Chancen bei der Suche nach einer neuen Arbeit zu ergreifen und auch ein prima Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und Arbeitsagentur", so der Leiter der Arbeitsagentur in Leipzig. Dass es sich bei diesen "nicht alltäglichen Chancen" um Kriegseinsätze handeln könnte, bei denen Soldaten ihr Leben riskieren, um deutsche wirtschafts- oder machtpolitische Interessen durchzusetzen, wird nicht erwähnt.
Neben der direkten Anwerbung bieten die Agenturen Raum für Rekrutierungsveranstaltungen. Unter dem Titel "Vorbilder mit sicherem Arbeitsplatz" informiert die Agentur in Neuwied über die erfolgreiche Veranstaltung der Bundeswehr im Berufsinformationszentrum. Für eine Informationsveranstaltung in Leipzig wirbt die dortige Agentur: "Die Einstellung als Soldat auf Zeit in der Laufbahn der Mannschaften bietet Jugendlichen einerseits für vier Jahre ein gesichertes Einkommen ... und entlastet andererseits den Arbeitsmarkt."
Im Zusammenhang mit den zunehmenden Auslandeinsätzen der Bundeswehr und dem "Versprechen", einen Großteil der Dienstzeit im Ausland zu verbringen, ist der Hinweis auf die Entlastung des Arbeitsmarkts mehr als zynisch. Das Verheizen von Arbeitslosen im Kongo, in Afghanistan und den zahlreichen anderen Ländern, in denen sich die Bundeswehr in Zukunft "engagieren" wird, entlastet natürlich den Arbeitsmarkt — Nachschub wird immer benötigt.

Jonna Schürkes

Jonna Schürkes ist Mitarbeiterin der Informationsstelle Militarisierung (www.imi-online.de)


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