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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 12

Deutsche Wirtschaftspolitik im Irak

Ein Stück vom Kuchen

Krieg und Besatzung durch den Welthegemon USA haben den Irak zu einem der zentralen Konfliktherde unserer Zeit gemacht. Kurz vor Ausbruch des Krieges veröffentlichte die SoZ-Autorin Brigitte Kiechle im Stuttgarter Schmetterling-Verlag das Buch Irak — Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Ihr soeben erschienenes neues Buch Das Kriegsunternehmen Irak (ebenfalls bei Schmetterling) zieht nun eine erste, düstere Zwischenbilanz von Krieg, Besatzung und Plünderung eines zerfallenden Landes. Wir veröffentlichen daraus ein kleines Teilkapitel, das sich damit beschäftigt, wie sich die deutsche Wirtschaft in den "Wiederaufbau" des Irak einmischt, um vom großen Plündern profitieren zu können. Voraus ging dieser Wirtschaftspolitik, das beschreibt Kiechle in einem hier nicht berücksichtigten Kapitel, die zentrale Rolle, die die politische Führung Deutschlands an der Seite der USA bei der "Entschuldung" des neuen Irak spielte, um die Beziehungen zu Washington nach dem deutschen Nein zum Irakkrieg wieder zu verbessern — "und natürlich als Interessenvertretung der deutschen Industrie die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass deutsche Firmen bei der Vergabe von Wiederaufbauverträgen berücksichtigt werden".

Die Politik der Bundesregierung war zunächst vor allem darauf ausgerichtet, eine offene Vertragsvergabe zu erreichen und es den USA zu verunmöglichen, die Verträge ohne Ausschreibung und Kontrolle zu vergeben. Darüber hinaus galt es, gute Beziehungen zu einflussreichen irakischen Geschäftsleuten und wichtigen politischen Personen im Irak aufzubauen, um auf diesem Wege bessere Chancen bei der Vertragsvergabe zu haben, wenn die Entscheidungsbefugnis auf die irakischen Behörden übergeht. Dabei setzt man auf deutscher Seite vor allem auf die Wiederbelebung alter Geschäftskontakte.
Bevor der Irak 1990 einem totalen Handelsembargo unterworfen wurde, gehörte die BRD zu den wichtigsten Handelspartnern des Irak. 1982 erreichte der Export in den Irak mit umgerechnet 4 Milliarden Euro einen Spitzenwert, während 2002, im Jahr vor dem erneuten Krieg gegen den Irak die Exportsumme nur noch 400 Millionen Euro betrug. Vieles von dem, was deutsche Firmen in den Hochzeiten der Handelsbeziehungen in den Irak lieferten, ist heute noch vorhanden und muss nun in Stand gesetzt oder erneuert werden. Hier sehen die deutschen Unternehmen ihre Chance, doch noch am Wiederaufbaugeschäft partizipieren zu können.

Alte Kontakte

Bereits Anfang April 2004 fand in Berlin die erste Deutsch-Irakische Wirtschaftskonferenz nach Beginn der Besatzung im Irak statt. Die Konferenz, die vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), der Federation of Iraqi Chambers of Commerce (FICC) und der Nordafrika-Mittelost-Initiative der Deutschen Wirtschaft (NMI) organisiert wurde, knüpfte praktisch nahtlos an die früher guten Wirtschaftsbeziehungen zum Irak an. Weder von deutscher Seite noch den "Vertretern" Iraks wurden selbstkritische oder kritische Worte zur Vergangenheit geäußert. Die Mitverantwortung der deutschen Industrie z.B. für den Giftgasangriff auf Halabja durch Lieferung der notwendigen Chemikalien wurde völlig ausgeblendet.
Der stellvertretende irakische Handelsminister des von den USA eingesetzten Übergangsrates, Musab Alkateeb, forderte die deutschen Unternehmen dazu auf, beim Wiederaufbau des Irak eine aktive Rolle zu übernehmen. Die deutsche Wirtschaft solle sich nicht von der "heutigen Situation unter dem Besatzungsregime" entmutigen lassen. Der irakische Agrarminister Abdul Amir al-Abood überbot die Anbiederung noch: "Glauben Sie mir: Als das Regime von Saddam Hussein gestürzt war, hat es uns sehr weh getan, dass es für Deutschland keinen Platz unter der neuen Administration gab."
Bei einem Deutschlandbesuch des irakischen Übergangspräsidenten Ghasi al- Jawer im November 2004 wurden die Kontakte fortgesetzt. Er traf sich nicht nur mit Vertretern von SPD, Grünen und CDU/CSU, sondern war auch Gast beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Über 300 Unternehmensvertreter nahmen an der Gesprächsrunde teil, um die Möglichkeiten zukünftiger Geschäftsverbindungen mit dem Irak auszuloten.
Anfang April 2005 fand in Amman (Jordanien) die bis dahin größte Messe für den Wiederaufbau des Irak statt. Vertreten waren 923 Aussteller aus über 40 Ländern. 48 Aussteller kamen aus der BRD. "Made in Germany" sei im Irak immer noch ein Gütezeichen, und dies gelte es, so die Wirtschaftsvertreter aus der BRD, für die Wiederbelebung alter Geschäftsbeziehungen wie die Schaffung neuer Geschäftskontakte auszunutzen.
In guter Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik wurde alles getan, um die Tür für deutsche Firmen im Irakgeschäft weiter zu öffnen. Um diesem Ziel näher zu kommen, organisierte die DIHK im Juli 2005 in München eine weitere deutsch-irakische Wirtschaftskonferenz. Die Schirmherrschaft übernahm der Bundeswirtschaftsminister. Zuvor hatte bereits Anfang Februar 2005 im Vorfeld der Münchener Sicherheitskonferenz eine "Finanzierungskonferenz Mittelost-Nordafrika" stattgefunden.
Ziel der Wirtschaftskonferenz vom 18. bis 20.Juli 2005 war es, die Ausgangsposition deutscher Unternehmen für das Irak-Geschäft weiter zu verbessern. Mehrere hundert deutsche und irakische Unternehmensvertreter und politische Repräsentanten, darunter fünf Minister der irakischen Übergangsregierung, waren angereist, um sich über Geschäftsmöglichkeiten zu informieren und gegenseitige Kontakte zu knüpfen.
Der Irak gilt auch deutschen Unternehmen als Wirtschaftsstandort mit Potenzial, zumal die Spendengelder zum Wiederaufbau nun nicht nur ausgegeben, sondern auch ausgeschrieben werden sollen. In der Einladung hieß es vielversprechend, "nach den erfolgreichen Wahlen steigt die Hoffnung auf eine politische Stabilisierung und eine positive Zukunft ... Sollte der eingeschlagene Reformkurs zum Erfolg führen, wird sich der Irak zum größten Wachstumsmarkt in der Region entwickeln."
Beklagt wurde allgemein die Tatsache, dass deutsche Unternehmer durch den Einfluss der USA nach wie vor blockiert werden. So beklagte Armin Zimmy von der Münchener Industrie- und Handelskammer, "dass die Amerikaner alles abschotten, was mit Rohstoffen und mit der Verteidigung zu tun hat". Trotzdem sah auch er gute Chancen für die deutsche Wirtschaft, im Wiederaufbauprozess im Irak wirtschaftlich wieder Fuß zu fassen.
Insbesondere in den Bereichen Medizintechnik, Finanzen, Banken und Aufbau der Infrastruktur seien die Deutschen traditionell stark. Zu berücksichtigen sei auch, dass im Irak vielfach noch eine Technik verwandt wird, die nur die Deutschen beherrschen. Ein beachtlicher Anteil an Krankenhäusern, Kraftwerken und Straßen wurde zu Saddam-Zeiten in enger Zusammenarbeit mit deutschen Firmen erbaut. Diese hoffen nun auch am Wiederaufbau beteiligt zu werden.
Zu den Trägern der Wirtschaftskonferenz gehörten erneut dem BDI, dem DIHK, die NMI und der Bundesverband des deutschen Groß- und Außenhandels. "Die Besetzung des NMI-Präsidiums mit Vertretern führender Finanzinstitute und Unternehmen wie Deutsche Bank, Commerzbank, Dresdner Bank, Siemens, Daimler-Chrysler und MAN verdeutlichen die Bedeutung der Stoßrichtung Mittelost für das deutsche Großkapital", kommentierte die Junge Welt.
Bereits 2004 hat der Umfang der deutschen Exporte in den Irak nach einer Meldung der Financial Times Deutschland mit 370 Millionen Euro fast das Vorkriegsniveau erreicht. Für die Zukunft rechnet die deutsche Industrie mit einer sprunghaft ansteigenden Nachfrage nach deutschen Wirtschaftslieferungen in den Irak. Die in den 80er Jahren erzielten Spitzenwerte des Handelsvolumens mit dem Irak möchte man bald möglichst wieder erreichen.

Erste Siege

Schon im August 2004 freute sich die deutsche Wirtschaft über den ersten offiziellen Auftrag der irakischen Übergangsregierung. Es handelte sich um einen Auftrag für zwei Elektrizitätswerke, die das Hamburger Unternehmen Elbe Maschinenbau erstellen soll. Das Auftragsvolumen lag bei 400 Millionen US-Dollar und war damit fast doppelt so hoch wie der gesamte Export in den Irak im Jahr 2003.
Elbe Maschinenbau gehört zu den Unternehmen mit Geschichte im Irak. Dort ist man bereits seit den 70er Jahren im Geschäft. "Wir sind beeindruckt, wie schnell und unbürokratisch die neue Regierung auch Millionenaufträge vergibt", kommentierte Jochen Clausnitzer, der Leiter der Nahostabteilung des DIHK, den Vorgang. Clausnitzer forderte von der Bundesregierung, Hermesbürgschaften für die Irakgeschäfte einzuführen. Mit diesen staatlichen Garantien sollen für die deutschen Unternehmen mögliche Geschäftsrisiken im Irak abgesichert werden. Schon die jetzigen Verträge, die Strom- und Telefonnetze umfassen, decken wichtige Wirtschaftsbereiche ab. Die Kontrolle dieser Bereiche ermöglicht die Kontrolle anderer davon abhängiger Branchen.
Die Auftragsvergabe an die Firma Elbe Maschinenbau ist als eindeutiger Sieg gegen die Besatzungsmacht USA zu werten, die durchzusetzen versuchte, dass alle Verträge im Rahmen des "Wiederaufbaus" an Firmen aus kriegsunterstützenden Staaten vergeben werden. An diesem Punkt konnte sich die USA jedoch letztlich selbst bei der von ihr abhängigen Übergangsregierung auf Dauer nicht voll durchsetzen.
Bereits im Dezember hatte Siemens den Auftrag für den Aufbau eines Mobilfunknetzes im Nordirak erhalten. Dies galt jedoch offiziell nicht als Auftragsvergabe an Deutschland. Es handelte sich um einen Subauftrag über ein Unternehmen aus Kuwait. Darüber hinaus ist Siemens über die Kooperation mit dem US-Konzern Bechtel als Zuliefererbetrieb an weiteren Projekten im Irak beteiligt.
Für die deutschen Unternehmen ist jeder sich eröffnende noch so kleine eigenständige Entscheidungsspielraum der irakischen Regierung von Bedeutung, da sie sich davon eine verstärkte Auftragsberücksichtigung erhoffen. Die "Rückkehr des Irak zur Souveränität" Ende Juni 2004 wertete der Bundesverband der Deutschen Industrie denn auch als "gute Chance für die deutschen Unternehmen im Irak".
BDI-Hauptgeschäftsführer von Wartenberg sprach von einem "entscheidenden Schritt für die deutsche Wirtschaft". Der Irak sei ein potenziell reiches Land, das — sofern die Sicherheitslage es zulasse — auch für deutsche Privatinvestoren attraktiv sei.

Militärische Absicherung

Der frühere Bundeskanzler Schröder setzte sich, wann immer es ging, persönlich für einen Ausbau der deutsch-irakischen Geschäftsbeziehungen ein. So nutzte er die Reise Anfang März 2005 in die Golf-Staaten u.a., um über die künftige Irakpolitik zu sprechen. Dabei verwies Gerhard Schröder auf die Verantwortung der arabischen Länder "für die Stabilisierung im Irak".
Brisant vor diesem Hintergrund sind die vereinbarten Rüstungsgeschäfte mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, die als Teil "der angestrebten Sicherheitspartnerschaft" bezeichnet wurden. Zunächst ging es um den Vertrag für die Firma Rheinmetall über die Lieferung von 32 Fuchs-Spürpanzern mit Auftragsvolumen von 160 Millionen Euro. Weitere Aufträge im Rüstungsbereich sollen folgen. Mit Kuwait wurden mögliche Gemeinschaftsprojekte mit deutschen Unternehmen beim Wiederaufbau des Irak erörtert.
Wenn es um die "Wahrung deutscher Interessen" geht, wird letztlich auch nicht mehr nach den Hintergründen gefragt, die den neuen Profitmöglichkeiten im Irak zugrundeliegen. Krieg und Besatzung werden nicht mehr hinterfragt und schon gar nicht geächtet und bekämpft, man macht sich vielmehr die geschaffenen Gegebenheiten zunutze.
Die Auffassung, neoliberale Wirtschaftspraktiken und Profitinteressen der Wirtschaft gegebenenfalls auch militärisch durchzusetzen und abzusichern, d.h. auch militärischen Investitionsschutz zu betreiben, gehört längst auch zum Standardprogramm deutscher Sicherheitspolitik. Dies wurde nicht zuletzt bei der 41.Münchner Sicherheitskonferenz vom 11. bis 13.Februar 2005 erneut deutlich. Einen Tag vor der Konferenz fand, sozusagen als Beiprogramm, die "1.Finanzierungskonferenz Nordafrika/Mittelost" im Rahmen der NMI statt. Dieses Treffen stand unter dem bezeichnenden Titel "Mehr Sicherheit durch Investitionen". Dieser Titel wurde laut einer BDI-Erklärung gewählt, "weil spezifische Sicherheitsrisiken und politische Unsicherheiten Handel und Investitionen in Nordafrika und Mittelost behindern". Aus diesem Grund wurde die Tagung auch bewusst mit der Sicherheitskonferenz verbunden.
Auf beiden Veranstaltungen ging es vor allem darum, die Forderung nach der Absicherung westlicher Investitionen und die Herstellung eines investitionsfreundlichen Umfeldes zu einer militärischen Aufgabe zu machen. Unter dem Gesichtspunkt "Gestaltung der Globalisierung" wurde gefordert, der Sicherheitsbegriff müsse heute wesentlich umfassender verstanden werden. Die Wirtschaft brauche, wenn erforderlich, auch militärisch abgesicherte Rahmenbedingungen. Auf diesem gedanklichen Hintergrund kann das angestrebte verstärkte wirtschaftliche Engagement deutscher Unternehmen im Irak sehr schnell auch in ein direktes militärisches Engagement übergehen.

Brigitte Kiechle

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