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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 14

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Rudi Carell, der Ayatollah und ein falsches "Wir-Gefühl"

Damenschlüpfer und BHs, die von einer jubelnden Menge dem Ayatollah zugeworfen werden, haben eine handfeste Krise in den Beziehungen zwischen dem Iran und der BRD ausgelöst. Zugleich wurde Rudi Carell damit unangefochtener TV-Publikumsliebling Nr.1. "Wenn ich die Politiker verarsche, spreche ich den Leuten aus der Seele", sagt Rudi, und er hat Recht damit. Seine Satire stellt zwar keinen politischen Anspruch, will nur Unterhaltung sein. Der Slapstick ist oft durchschnittlich bis schlecht. Doch wenn Rudi die Tagesschau parodiert, dann können die Wähler, "die nur alle vier Jahre mit ihrem Stimmzettel König sind", ihrem Frust über die Macht in Bonn abreagieren.
Und der Ayatollah, auch da gibt es keinen Zweifel, ist ein reaktionärer, islamischer Tyrann und Diktator. Er sollte tatsächlich lieber einen Lehrgang in Sachen Humor absolvieren, als Diplomaten auszuweisen, Vergeltung anzudrohen, mit Folter und Terror Gegner zu verfolgen, ganze Generationen des iranischen Volkes im "heiligen Golfkrieg" abzuschlachten und Frauen in ein finsteres patriarchalisches Mittelalter einzusperren.
Dennoch fällt es mir schwer, mich kritiklos in die allgemeine Volksstimmung — der deutsche Fortschritt gegen das iranische Mittelalter — einzureihen. Und spätestens dann, wenn die "alternative" Taz dieses "Wir"-Gefühl entdeckt — "Auf Kosten des Ayatollah zu lachen, soll nun die Deutschen etwas kosten" —, fühle ich mich zu Widerspruch herausgefordert. Was wäre gewesen, wenn Rudi in seiner Tagesshow den nackten Papst gezeigt hätte, der bei oft wechselndem Geschlechtsverkehr seine Partnerinnen durch Präservative vor AIDS schützt?
Carell hätte nicht nur weniger Lacher auf seiner Seite gehabt, Kardinal Höffner hätte die Inquisition herbeigewünscht, Bayern die Ausstrahlung des Tagesschow verboten und Staatsanwälte müssten prüfen, ob Carell für drei Jahre in die Kiste wandert. So lautet die Höchststrafe für den Verstoß gegen den "Gotteslästerungsparagrafen" 166 StGB.
Übertreibung? Keineswegs, wie sich leicht zeigen lässt: 1200 Mark Geldstrafe hat die Veröffentlichung einer Karikatur den Machern des alternativen Stadtmagazins gekostet. Die Karikatur widerspricht "in roher Weise dem Bild Gottes als des Allmächtigen", urteilte der Freiburger Amtsrichter. Gegen die von der Bunten Liste Freiburg 1986 durchgeführte Antiklerikale Woche mobilisierte die größte christliche Wochenzeitung Europas Neue Bildpost mit dem Aufruf: "Müssen 27 Millionen katholische Bürgerinnen und Bürger dieses Staates sich dieses gefallen lassen?" Einen Tag später zerstörten unbekannte Täter die Fensterscheiben der Käthe-Kollwitz-Gesellschaft, in deren Räumen antiklerikale Karikaturen ausgestellt waren.
Die Titanic wurde wegen ihres Titelblatts zum Papstbesuch 1980 verfolgt, Schülerzeitungen, die das Titelblatt nachdruckten, ebenfalls. Die Drei Tornados mussten drei Jahre lang prozessieren, um vorm Vorwurf, ihr "Krippenspiel" sei Gotteslästerung, freigesprochen zu werden. In Fulda wurde eine Frau vor den Kadi gezerrt, weil sie mit einem Schild demonstriert hatte, auf dem zu lesen war: "Wenn Pfaffen schwanger werden könnten, würde Abtreibung zum Sakrament."
So sieht es aus in diesem unserem Land, wenn es um die herrschende Religion geht. Im Bewusstsein der Mehrheit ist verschütt gegangen, dass noch nicht einmal elementare Forderungen der bürgerlichen Aufklärung, wie Trennung von Staat und Kirche oder Religionsfreiheit verwirklicht sind. Der Islam ist bei uns eine unterdrückte "Hinterhofreligion", die nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, über deren Zulassung als eingetragener Verein die Ausländerpolizei letztlich entscheidet. Folgerichtig trifft der §166 StGB auch nicht auf den Islam zu, sodass ein Ayatollah nach Strich und Faden fertig gemacht werden kann, während Gleiches für den Papst nicht gilt.
Ich bin Atheist. Ich trete als Demokrat für die Verwirklichung der Religionsfreiheit ein (also heute: Gleichstellung des Islam mit dem Christentum). Gleichzeitig fordere ich die Freiheit der Religionskritik, einschließlich der Satire (also: Abschaffung des §166 StGB):
Religion ist Opium fürs Volk. Die katholischen Inquisatoren sind in der Unterdrückung und dem Terror gegen die Freiheit und die Emanzipation des Menschen — ob im Mittelalter oder heute — nicht besser als die islamischen Mullahs und Tyrannen.
Tipp für Rudi Carell und alle, die wie ich herzhaft über seinen Ayatollah-Gag gelacht haben: Am 1.Mai kommt der Papst ins Land... Ich möchte Tränen über Papstsatiren lachen. Ich möchte den aufrechten Gang und eine konfliktfreudige Auseinandersetzung mit der hier herrschenden Religion und Kirche erleben.

Jürgen Tobegen

Erschienen in SoZ 3/1987 vom 26.Februar 1987



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