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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 15

"Bringt mir den Kopf von Salman Rushdie"

Tariq Ali über Khomeinis Millionen-Dollar-Mordbefehl

"Manuskripte brennen nicht." So schrieb einst Bulgakow, der große sowjetische Romancier der 20er und 30er Jahre, in einem kaum verhüllten Rüffel für die stalinistischen Zensoren. Doch dies trifft nicht auf den Menschen und Schriftsteller zu, der immer noch aus Fleisch, Blut und Knochen besteht. Botschaften überleben oft, aber die Botschafter sind sterblich. Was ist unter diesen Umständen zu dem grotesk surrealen Szenario zu sagen, das wir im Augenblick erleben? Eine Vervielfachung von Tragödien findet statt.Zunächst ist da einmal die Zwangslage des Schriftstellers Salman Rushdie, der Tag und Nacht von britischen Sicherheitskräften bewacht wird — eine iranische Geisel auf britischem Boden. Wir wissen, dass die Wirklichkeit oft stärker als die Fiktion ist. Die Szenen, die wir beobachten, könnten leicht Teile aus Rushdies Romanen sein. Aber lassen wir uns nicht täuschen: Sie sind nur zu real, und das Leben des Schriftstellers ist ernsthaft bedroht. Selbst wenn er diese Krise überlebt, so werden ihn die Todesschatten für den Rest seines Lebens verfolgen.
Es existiert jedoch eine nochmals größere Tragödie. Denn diese ganze Affäre geht über Salman Rushdie und die Satanischen Verse hinaus. Und dies ist die Tragödie des Islam und seiner Stellung in der gegenwärtigen Welt.
Als Khomeini das erste Mal sein Todesurteil aussprach, war meine erste Reaktion Unglaube. War es wirklich möglich, dass dieser religiöse Führer des schiitischen Islam öffentlich die Hinrichtung eines Schriftstellers, der seine Schriften in englischer Sprache verfasst, befahl? War dies nur Halluzination oder war es Wirklichkeit, dass der maßgebliche Inspirator der Islamischen Republik sich in der Sprache eines Mafioso äußerte? Und tags darauf beschloss ein anderer Kleriker, die satanischen Gangster der USA nachzuäffen: Ein Kopfgeld wurde auf Rushdie ausgesetzt: Millionen Dollar für jeden Moslem, der diesen tötete. Und all dies im Namen Allahs, des Gütigen?
Warum überhaupt war Geld an erster Stelle erforderlich? Khomeini bot noch jedem moslemischen Mörder eine Einwegfahrkarte in den Himmel. Wir sollten innehalten und nachdenken. Zweifellos obliegt die Entscheidung, wer in den Himmel kommt, und wer — im entsprechenden Fall — in die Hölle fährt, dem Schöpfer. Wie kann es jemand wagen, diese Kompetenz in Frage zu stellen? Reklamiert der Imam Khomeini jetzt, ein Prophet mit einer direkten Leitung zum Großen Schöpfer zu sein?
Ist es im Übrigen nicht eine Tatsache, dass der Islam klerikale Hierarchien verabscheut und ausdrücklich die Schaffung jeglichen Monopols durch Priester verbietet? Alle Muslime gelten als gleich im Angesicht Gottes. Warum dann diese fanatischen, im Nürnberger Reichsparteitagsstil abgehaltenen Versammlungen, in denen sich schiitische Muslime vor einem einzigen Priester erniedrigen?
In Wirklichkeit hat all das, war wir jetzt erleben, wenig mit Religion zu tun. Natürlich gibt es viele nicht fundamentalistische Muslime, die tatsächlich den Roman lasen und die einige Passagen als beleidigend empfanden. Aber diese dürften darin übereinstimmen, dass der einzige Weg, Rushdie zu bekämpfen, derjenige eines Ideenstreits ist. Dies ist ebenso legitim wie die einzig seriöse Art, Menschen zu überzeugen.
Khomeini nutzt den Lärm um die Satanischen Verse, um sein erbarmungsloses Modell des Islam, das alle einer Staatsreligion unterwirft, durchzusetzen. Salman Rushdie wurde zum willkommenen Vorwand, dieses Ziel vor allen anderen durchzusetzen. Der iranische Klerus hat auch nicht einen einzigen Sieg gegen die Ungläubigen errungen, vielmehr richtet sich ihr Grimm gegen die Muslime selbst.
Der Iran-Irak-Krieg kostete auf beiden Seiten über eine Million Menschenleben. Wo war denn der Islam, als dieser Krieg stattfand? Welche Seite unterstützte Allah? Und wie viele Dissidenten innerhalb der islamischen Tradition wurden von den Hinrichtungskommandos getötet? Zehntausende politische Gefangene wurden im Gefängnis weggefegt. Die weiblichen Gefangenen, die noch Jungfrauen waren, wurden im Gefängnis vergewaltigt. Weshalb? Weil, so die Männer des Ayatollah, Jungfrauen direkt in den Himmel kommen. Massenhafte Vergewaltigung biete jedoch die Sicherheit, dass sie in die Hölle fahren.
Der Islam hat immer eine tolerante Seite gehabt. Es gibt eine lange Tradition des intellektuellen Widerspruchs innerhalb der muslimischen Welt. Bereits nach des Propheten Tod erhob dessen jüngste Frau, Ayesha, das Banner der Revolte gegen den designierten Nachfolger. Meinungsverschiedenheiten über die Interpretation des Islam hatten seither und bis zum heutigen Tag ihre Existenzberechtigung. Der Reichtum der frühen islamischen Zivilisation hat ihre Spuren in der gesamten Welt hinterlassen. Kultur und Wissenschaft schulden dieser großen, alten Tradition viel. Ich frage mich, wie das Buch Tausendundeine Nacht vom Iman in Khom ein Sauberkeitszertifikat erhalten könnte.
Auf dem indischen Subkontinent — der Salman Rushdie hervorbrachte — wurde der Islam von den Heiligen Sufis popularisiert. Ihre ekstatischen Tänze und ihre existenzialistische Dichtung formten den Islam in ganz Nordindien. Dies war und ist ein freudvoller Islam, der niemanden bedroht, der eine individuelle Vereinigung mit dem Großen Sufi im Himmel predigt, und der aus eben diesem Grund von den puritanischen Predigern des Fundamentalismus verabscheut wird. Bis zum heutigen Tag verspottet die von den Sufis beeinflusste Musik die Scheinheiligkeit der Mullahs.
Nehmen wir die folgende Tatsache als Beispiel: Einer der Anstifter zu dem Aufruhr in Islamabad [gegen Rushdies Buch], bei dem sechs Menschen ihr Leben lassen mussten, war ein Maulana (eine spezifische Art Mullah) namens Kausar Niazi. Eben jener Kausar Niazi war während der 60er und 70er Jahre ein wütender Gegner des Fundamentalismus der Verschnittmarke Jamaat i-Islami. Aus diesem Grund warb ihn Zulfiqar Ali Bhutto und machte ihn zum Minister seines Kabinetts. Er war Bhuttos Waffe gegen die Fundamentalisten. Niazi war eine schillernde Gestalt, er trank viel und liebte die Gesellschaft von Showgirls. Bhuttos Spitzname für ihn lautete "Maulana-Whisky".
Und heute? Beraubt um Macht und Einfluss versucht dieser Old Whisky sich vor seinen früheren Feinden zu rehabilitieren. Er setzt Bhuttos Tochter unter Druck, ihn als neuen — nun fundamentalistischen — Machtfaktor ernst zu nehmen.
Alle großen muslimischen Dichter Indiens haben, zum einen oder anderen Zeitpunkt, die religiöse Praxis in Frage gestellt. Ghalib, Iqbal und Faiz — sie alle waren mit den Mullahs in Konflikt geraten. Als Iqbal seine "Beschwerde bei Gott" verfasste, wurde er vom Klerus als Frevler und Renegat verurteilt. Seine Botschaft, die im Gedicht "Neuer Tempel" niedergelegt ist, denunzierte jede organisierte Religion. Sie würde in Teheran sofort mit dem Bann getroffen. Doch Muslime in Südasien könnten aus diesen Worten des Dichters viel lernen:
"Ich werde die Wahrheit sagen, o Brahmin, aber nimm mir dies nicht übel. Die Götzen in deinem Tempel sind vermodert. Von diesen Götzen hast du gelernt, in deinem eigenen Volk Feindschaft zu säen. Dieser Gott hat die Moslem-Prediger alle Arten des Hasses gelehrt. Mein Herz wurde krank und ich wandte mich ab von Tempel und der Kaaba. Von den Predigten der Priester und ihren Erzählungen, oh Brahmin hin zu steinernen Abbildern, die das Göttliche verkörpern. Für mich verkörpert jedes Staubkorn meines Landes die Gottheit. Komm, lass uns beseitigen all das, was die Entfremdung verursachte. Lass uns diejenigen versöhnen, die getrennt wurden, lass uns alle Zeichen von Spaltung beseitigen. Elend bewohnte lange Zeit mein Herz. Komm, lass uns einen neuen Tempel in unserem Land errichten. Lass diesen heiligen Ort höher sein als irgendeinen anderen auf dieser Erde. Seine Zinnen sollen den Himmel berühren. Und lass uns jeden Morgen erwachen und die süßesten Lieder singen und lass uns Gläubige den Wein der Liebe trinken."

Tariq Ali

Erschienen in SoZ 5/89 vom 2.3.1989

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