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Im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in Brasilien am 1.Oktober wurde Lula nicht wiedergewählt. Er
verfehlte mit 48,6% der Stimmen die absolute Mehrheit. Sein Gegenkandidat von der bürgerlichen Rechten, Geraldo Alckmin, erhielt 41,6%, Heloisa
Helena von der Linksfront 6,9%.
Das kam unerwartet; alle Umfragen hatten Lula über 50% gegeben. Am 29.Oktober
wird es deshalb zu einer Stichwahl zwischen Lula (PT) und Alckmin (PSDB) kommen. Wahlanalysten machen den jüngsten Korruptionsskandal
den sog. Aktenskandal* für den knappen Wahlausgang verantwortlich sowie die Tatsache, dass Lula es drei Tage vor der Wahl abgelehnt hatte am
Fernsehduell teilzunehmen. Lula hat an keiner Debatte zwischen Präsidentschaftskandidaten teilgenommen. Der Wahlausgang am 29.Oktober gilt als
unsicher.
In anderer Hinsicht sind die Wahlen für die PT etwas günstiger ausgefallen als
vorhergesehen. Bei den gleichzeitig stattfindenden Gouverneurswahlen konnte die PT vier Gouverneurssitze erringen in Piauí, in Acre, in Sergipe
und in Bahia im Nordosten, einer der am dichtesten bevölkerten und ärmsten Bundesstaaten.
Die PT erreichte sehr gute Ergebnisse im sehr armen Norden und Nordosten Brasiliens, der
bislang eine Hochburg der Rechten war. Dies ist Ergebnis ihrer Sozialprogramme (vor allem die bolsa familial, das Familiengeld für die Ärmsten). In
den besser verdienenden Regionen wie in der Industriegegend um São Paulo und im industrialisierten Südstaat Rio Grande do Sul, der einst ihre Hochburg
war, erlitt sie starke Einbrüche.
Bei den Parlamentswahlen, die ebenfalls gleichzeitig stattfanden, ging die PT von 91 auf 83
Abgeordnetensitze zurück. Dabei wurden in vielen Fällen die Abgeordneten wieder gewählt, die der Korruption angeklagt waren. Das neue
Parlament ist rechter als das alte: die PMDB hält darin 89 Sitze, die PSDB und die PFL jeweils 65 Sitze; auf der Linke hält die PT 83 Sitze, die PSB
27 und die PDT 24 Sitze.
Auch andere Politiker, die in verschiedene Skandale verwickelt sind, schnitten gut ab. So
errang Paulo Maluf, ehemaliger Bürgermeister von São Paulo und geradezu Symbolfigur des korrupten Politikers, der dafür 40 Tage im Knast
verbrachte, fast 800000 Stimmen. Von 64 der Korruption angeklagten Abgeordneten schafften 55 ihre Wiederwahl. Der frühere Staatspräsident
Fernando Collor, der 1992 durch ein Absetzungsverfahren wegen Korruption zum Rücktritt gezwungen worden war, wurde im nordöstlichen
Bundesstaat Alagoas zum Senator gewählt und ist damit der Nachfolger von Heloisa Helena, der Präsidentschaftskandidatin der Linksfront.
Collor hat gesagt, er wolle Lula im zweiten Wahlgang unterstützen.
In der vorherrschenden politischen Verwirrung vertreten die meisten Kandidaten der PT und der PSDB sehr ähnliche Positionen, die jeweilige
Wahlmaschinerie hat mehr Gewicht als die ideologische Mobilisierung. Vor diesem Hintergrund muss man das Ergebnis der Linksfront und ihrer Kandidatin
Heloisa Helena (PSOL, siehe SoZ 10/06) bewerten. Sie hat 6,6 Millionen Stimmen gewonnen trotz der von den Wahlmaschinen bewirkten Polarisierung
zwischen den großen Parteien und trotz der Tatsache, dass diese hundertmal mehr Geld und Radio- und Fernsehzeit zur Verfügung hatten.
Vor diesem Hintergrund sind 6,9% ein achtbares Ergebnis für eine Kandidatin, die als
"radikal" gilt und die in der letzten Fernsehdebatte gesagt hat, der Sinn ihrer Kampagne sei, dem Sozialismus, dem die PT den Rücken gekehrt
habe, einen neuen Sinn zu geben.
Einige Kandidaten der Linksfront für Gouverneursposten erzielten Ergebnissen
zwischen 2 und 5%. Bei den Parlamentswahlen brachte die PSOL drei Abgeordnete ins Bundesparlament und drei in Bundesstaatsparlamente. Im Vergleich zur
vorherigen Legislaturperiode ist ihre institutionelle Präsenz damit zurückgegangen: unter dem Label der PT hatte sie zuvor eine Senatorin, sieben
Abgeordnete im Bundesparlament und vier Abgeordnete in Bundesstaaten.
Das Ergebnis der PSOL bestätigt, dass es in Brasilien Raum für eine
sozialistische Linke gibt, die den sozialliberalen Kurs der PT ablehnt trotz der politischen Verwirrung und der Entpolitisierung, die die Regierung Lula
bewirkt hat. Im zweiten Wahlgang will die PSOL keinen Kandidaten unterstützen.
Joao Machado
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