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Ein sonniger Oktobernachmittag in einer Seitengasse in Schloss Neuhaus. Bis ins 19.Jahrhundert residierten hier die
Fürstbischöfe von Paderborn in ihrem Schloss. Heute ein verschlafener Stadtteil von Paderborn, in dem im Barockgarten hinter dem Schloss die
Bürger auf ordentlich begrenzten Spazierwegen flanieren, ohne den Rasen zu betreten. Ich treffe Michel Sajrawy vor dem Hotel, in dem wir das Interview
führen wollen. Doch die Bar hat zu und so setzen wir uns in den Barockgarten hinter das Schloss. Er wundert sich über die Ruhe. Die Maschinerie
Nazareth, wie es später sein Keyborder Loi Abusindi nennt, muss das völlige Gegenteil zu dieser geordneten Ruhe sein. Das spiegelt sich in der
Musik von Yathrib wieder, der CD, die von der Band auf ihrer ersten Europatournee vorgestellt wird. Michel spielt die Gitarre so, dass der Sound mich
unweigerlich an die Hochgeschwindigkeitsgitarristen Aldi Meola, Paco de Lucia und John McLaughlin aus den 80er Jahren erinnert. Gleichzeitig verarbeitet die
Band traditionelle arabische Kompositionsformen. Doch immer bleibt eine Art Aufgewühltheit aus dem "inländischen Flüchtlingslager,
in dem 70000 Menschen leben", wie es der Gitarrist Sajrawy nennt, spürbar.
Und doch beschreibt er Israel auch als "ein reiches Land. Es gibt dort viel Kultur und
sehr gute Musiker. Ich habe mein Musikstudio dort. Wenn ich z.B. eine westliche Violine aufnehmen will, hole ich mir einen russischen oder jüdischen
Musiker. Aber wenn ich jemanden will, der gut improvisieren kann, dann bevorzuge ich Palästinenser, weil das einfach eine andere Kultur ist. Russen sind
in der Regel buchstabengetreuer und sind darin sehr gut, aber bei der Improvisation haben eher die Geiger mit einem arabischen Hintergrund das feinere
Händchen."
Yathrib das ist der Name von Medina in vorislamischer Zeit. Michel hat diesen
Namen gewählt, da zu dieser Zeit verschiedene archaische und jüdische Stämme in dieser Gegend lebten. Durch den Austausch kam es zu
einer reichhaltigen Kultur des Crossover, wie Michel diesen Reichtum aus heutiger Sicht umschreibt. Die Musik der Band steht in dieser Tradition.
Jüdische, christliche und muslimische Musiker spielen live und auf der CD in einer spannungsgeladenen Harmonie miteinander, die immer wieder darauf
verweist, wie scheinbar Trennendes zu einem wunderbaren Gemeinsamen finden kann.
"Yathrib ist wie eine Summe und Zusammenfassung meiner bisherigen Erfahrung und
Kenntnisse: Als Teenager fing ich an, Rockmusik zu machen, und ich hörte verschiedene Arten von Musik. Das Album Yathrib ist wie eine Summe aller
Musiken, die ich jemals gehört habe. Durch dieses Album habe ich mich mehr und mehr auf Jazz konzentriert, wenn auch nicht den Standardjazz. Es ist
eine Mischung aus arabischen Stimmungen und arabischer Musik, ohne dazu Oud und arabische Violine zu benutzen. Diese Couleur versuche ich durch die
Gitarre und durch westliche Instrumente zu erzeugen, was das Ganze jazziger macht." Das Michel Sajrawy und seine Band weiter auf dem Weg sind,
Neues zu suchen und zu verarbeiten, zeigt die Improvisationsfreude, mit der sie live ihren eigenen Studiostücken eine neue Richtung geben.
Die neun Stücke auf der CD sind jedoch nicht nur ein aufgewühlter
Geschwindigkeitsrausch durch das Grenzgebiet zwischen arabischer Weltmusik und westlichem Jazz, sie bieten auch Verschnaufpausen, in den es nachdenklich
zugeht, dann meist dominiert durch Michel auf einer akustischen Gitarre. Michel Sajrawy "ist tief in der Musik des Mittleren Ostens verwurzelt, aber
weitet seinen musikalischen Horizont aus bis hin zu Jazz und zeitgenössischer klassischer Musik", heißt es in der israelischen Jazzzeitung
Jazzis. Doch ist dies vor allem ein Plattenproduktion, auf der mir auch nach mehrmaligem Hören immer wieder neue Elemente aufgefallen sind. So
schwindet die Assoziation zu "Friday Night in San Francisco" langsam und es wird deutlich, dass diese CD auch mehr ist als eine Mischung aus
diesem Konzert und John McLaughlins "Shakti", ergänzt durch ein paar arabische Elemente.
Yathrib reiht sich ein in die Reihe von Produktionen, die aus dem "Kampf der
Kulturen" Makulatur machen und das auf einem Niveau, das weit über dem liegt, auf dem sich Huntington und seine Epigonen bewegen.
Thomas Schroedter
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