SoZ - Sozialistische Zeitung

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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, November 2006, Seite 20

The Take, Kanada/Argentinien 2004,

Buch/Regie: Naomi Klein und Avi Lewis. Bereits angelaufen (www.thetake.org)

Es ist ruhig geworden um Argentinien. Auch in der linken Presse ist nicht mehr viel vom "Argentinazo" zu lesen, dem Aufstand, der 2001/02 dem Land innerhalb weniger Monate fünf Präsidenten bescherte, als sich die Bevölkerung unter der Parole "¡Que se vayan todos!" (Alle sollen abhauen) anzuschicken schien, das politische und soziale System des südamerikanischen Landes von Grund auf zu ändern. Mit Straßensperren der Erwerbslosen (piqueteros), basisdemokratischen Nachbarschaftsversammlungen, lautstarken Topfschlagdemonstrationen (cacerolazos) und Aktionen vor den Häusern der Schergen der Militärdiktatur, die von 1976 bis 1983 regierte, sog. escraches, was soviel wie "ans Licht bringen" bedeutet, sowie Fabrikbesetzungen schien das Land am Rande einer sozialen Revolution zu stehen. Präsident Menem hatte in den 90er Jahren das Land buchstäblich Stück für Stück verkauft. Als sein Nachfolger die privaten Sparkonten einfror, um den Schuldendienst zu gewährleisten, explodierte das soziale Pulverfass. Arbeiter, Erwerbslose und große Teile des verarmten Mittelstands taten sich zusammen und eine Zeit lang sah es so aus, als ob den etablierten Parteien die soziale Basis abhanden kommen würde.
Die revolutionären Hoffnungen erfüllten sich aber nicht. Bei den Präsidentschaftswahlen 2003 konnte der Linksperonist Kirchner die Wahl für sich entscheiden, in der Folge wurde ein großer Teil des sozialen Protests mit den für den Peronismus typischen populistischen Mitteln integriert. Man kann aber nicht sagen, dass die Proteste gar keine Folgen gehabt hätten. Vor allem die Fabrikbesetzungen halten bis heute an. Diesem Thema widmen sich Naomi Klein, Autorin des Buches No Logo und ihr Lebensgefährte Avi Lewis in ihrem 2004 für die kanadische Rundfunk- und Fernsehgesellschaft CBC gedrehten Dokumentarfilm The Take, was soviel wie "Die Übernahme" bedeutet. Gemeint sind aber keine Firmenübernahmen im Rahmen innerkapitalistischer Konkurrenz sondern die Übernahme von Fabriken durch ihre Arbeiterinnen und Arbeiter. Konkret geht es in diesem Film um die Autoteilefabrik "Forja" in Buenos Aires. Sie wurde von ihren privaten Besitzern still gelegt und dann von den Beschäftigten besetzt und wieder in Betrieb genommen. Im zähen Ringen mit der Polizei, Gerichten und dem Provinzparlament gelang es den Forja-Arbeitern, ihre Besetzung zu legalisieren, sodass sie heute als legale Kooperative in Selbstverwaltung produzieren können. Der Film zeigt die Arbeiter sowohl zu Hause als auch in der Fabrik, wo sie in Versammlungen mit demokratischen Methoden erfolgreich versuchen, die Produktion wieder in Gang zu bekommen. Zu Hause wird der Präsident der neuen Kooperative gezeigt, der erzählt, dass die Idee zur Wiederinbetriebnahme der Fabrik in Eigenregie auf sehr unmittelbare Not der entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter zurückzuführen war. Ihnen fehlte einfach das Nötigste zum Leben und so griffen sie zur Selbsthilfe. Es wird auch ein Seitenblick auf die Besetzung der Kachelfabrik Zanon in Patagonien und der Textilfabrik Brukman in Buenos Aires geworfen, wo die Auseinandersetzungen härter waren als bei Forja.
Ein weiteres Thema des Films ist der argentinische Präsidentschaftswahlkampf 2003. Dadurch wird deutlich, wie zwiespältig die Situation ist. Einerseits kämpfen die Arbeiterinnen und Arbeiter um ihre Fabriken und enteignen ihre Chefs, andererseits kann Menem, einer der Hauptverantwortlichen für die Krise, im ersten Wahlgang die meisten Stimmen holen. Sogar ein Forja-Arbeiter outet sich als Menem-Wähler! Das klientelistisch-populistische System des Peronismus funktioniert noch, viele Argentinier hoffen immer noch auf den starken Staat, der die sozialen Probleme löst. Das Vertrauen in die eigene Kraft ist zwar größer geworden, hat sich aber noch nicht durchgesetzt. Zwar siegt letzten Endes Kirchner und nicht Menem, aber auch er ist Peronist. Es gibt zwar auch Wahlverweigerer, die unter dem schönen Motto "Unsere Träume passen nicht in eure Wahlurnen" agieren, aber sie sind eine Minderheit, auch unter den Fabrikbesetzern.
Angenehm ist, dass im Film überwiegend die Arbeiterinnen und Arbeiter und keine Funktionäre zu Wort kommen. Etwas unangenehm ist, dass auch Naomi Klein und Avi Lewis meinen, sich ins Bild setzen zu müssen. Sie gehen dabei zwar nicht so weit wie Michael Moore, aber sie hätten es besser ganz unterlassen. Denn für so einen Film sollte ebenso wie für die Fabriken gelten, was einst die Band "Ton, Steine, Scherben" sang: "Die Fabriken gehören uns!"

Andreas Bodden

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