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Auch wenn der Stachel politischer Denker ein gerüttelt Maß an Brisanz verliert, wenn diese gestorben sind: die politischen wie
juristischen Auseinandersetzungen um ihr Erbe gehen dann bekanntlich erst richtig los. Das trifft auch auf Johannes Agnoli zu, einen der führenden Vordenker der
westdeutschen Neuen Linken der 60er und 70er Jahre.Seit dessen Tode im Mai 2003 (vgl. SoZ 6/03) obliegt es seiner Familie, allen voran seiner Witwe Barbara Görres-
Agnoli, den Nachlass des streitbaren Politikwissenschaftlers zu ordnen und zu verwalten, zu dem auch Agnolis hinterlassene Schriften gehören. Im Jahre 2004 ging sie deshalb
gegen den Freiburger Ça Ira-Verlag vor Gericht, in dem bis dahin Agnolis gesammelte Schriften erschienen waren. Vergeblich wollte sie den weiteren Vertrieb des dort von Stephan
Grigat herausgegebenen Sammelbands Transformation des Postnazismus verhindern, weil darin ein transkribierter, aber von Johannes Agnoli nicht mehr redigierter Vortrag nicht
nur ohne Wissen der Erbengemeinschaft veröffentlicht wurde, sondern sogar im Wissen darum, dass "ich", so Barbara Görres-Agnoli damals, "nicht
die Genehmigung dazu geben würde, dass von Johannes Agnoli nicht autorisierte Texte erscheinen".
Barbara Agnoli waren die Mannen jenes linksradikalen Kleinverlags schon in den 90er Jahren suspekt, der sich
damals zu einem der intellektuellen Zentren "antideutscher" Ideologieproduktion entwickelt hatte weniger politisch, als vielmehr weil sie einen genaueren Blick
auf die handelnden Personen geworfen hatte. Ihr Mann dagegen war wahrscheinlich froh gewesen, dass es in jener Zeit überhaupt jemanden gab, der seine Schriften neu
auflegte. Und weil seine theoretischen Einsichten in den integrierenden Strukturcharakter bürgerlicher Demokratie offen waren für einen gewissen Linksradikalismus,
der die Möglichkeiten linker Politik nur noch als "Antipolitik", als antiinstitutionelle "Kraft der Negation" zu fassen vermag, musste Agnoli dann
leider als einer der wenigen "Vordenker" jener Szene herhalten, die nach dem Epochenbruch von 1989/91 ihren Höhenflug erlebte.
Über die zynisch menschenverachtenden "Antideutschen" soll sich der radikale Humanist
zuletzt nur noch kopfschüttelnd geäußert haben. Bei einem von seinen "Jüngern" organisierten Kongress im Frühjahr 2001 in Wien, zu
dem ihn seine Tochter begleiten musste, weil er schon von Krankheit gezeichnet war, waren er und seine Tochter sich "darin einig, das sie [die Reise] die Mühe nicht
wert gewesen sei". Dies bezeugte seine Tochter im besagten Rechtsstreit gegen den Ça Ira-Verlag, denn bei dem zur Verhandlung stehenden Agnoli-Beitrag handelte es sich
um die nicht autorisierte schriftliche Fassung des Wiener Vortrags.
Frau Agnoli warf dem Verlag vor, er hätte den Vortrag ihres Mannes im antideutschen Sinne
entschärft und verzerrt, damit er in den Kontext jenes Buches passt, das u.a. gegen den "von Deutschland und Europa gesponserten Islamfaschismus der
Gegenwart" und einen Frieden in Nahost wettert, der nur "die Verewigung des perspektivlosen Mordens von Seiten der Palästinenser" bedeuten
könne. Auch wenn sie nachweisen konnte, dass es zu sinnentstellenden Übersetzungen gekommen war (aus dem italienischen Industriellenverband
"Confindustria" wurde "Arbeiter"; aus den kapitalistischen Errungenschaften wurden "Segnungen"; aus jenem "Gegenstand", der den
Nationalisten nach dem Ende des Nationalstaats abhanden gekommen sei, wurde das "Objekt der Begierde"), in der Frage der Rechte der Veröffentlichung standen
hier Aussage gegen Aussage.
Dass der mit eidesstattlichen und politischen Erklärungen und vielerlei privat-politischen
"Enthüllungen" ausgefochtene Meinungs- und Rechtsstreit trotz formaler Niederlage trotzdem ein politischer Erfolg für die Erbengemeinschaft wurde,
hängt mit der dadurch bedingten Publizität zusammen und natürlich damit, dass Frau Görres-Agnoli parallel sämtliche Verträge mit Ça Ira
gestoppt hatte, Agnolis bekannteste Schrift, Die Transformation der Demokratie im Hamburger Konkret Literatur Verlag neu herausgab und gleich noch eine kleine Biografie ihres
Mannes am selben Ort veröffentlichte (vgl. SoZ 1/05).
Mit einer Suada von wie gewohnt dummen und haltlosen Denunziationen diesmal gegen die Agnoli-
Witwe hielt Ça Ira zuerst die eigene Anhängerschaft auf Linie und legte dann nach, als die neuen Schriften erschienen. Joachim Bruhn, antideutscher Chefdenker und
führender Ça Ira-Mitarbeiter, sprach von "Verhunzung" und "Ärgernis" und nannte als Motiv solchen "Zerstörungswerkes"
von Seiten der "schwarzen Witwe" "Profitgier" und/ oder "Niedertracht". Er strengte nun seinerseits Klage auf Schadenersatz und
Schmerzensgeld gegen Barbara Agnoli an weil er sich in seiner Ehre als vermeintlicher Herausgeber der Agnoli-Schriften verletzt fühlte und sich dabei v.a. auf
angebliche Privatäußerungen Barbara Agnolis, sowie auf eine persönliche Passage in dem in SoZ 5/04 veröffentlichten SoZ-Gespräch mit ihr
stützte.
Im November nun beendeten die Beteiligten ihren Streit vor dem Amtsgericht Freiburg mit einem Vergleich und
gegenseitigen Ehrenerklärungen. Dem Gericht war es angenehm, die Auseinandersetzung gleichsam an die politische Öffentlichkeit zurücküberweisen zu
können. Die wiederum könnte belebt werden, wenn sich der Plan von Barbara Görres-Agnoli realisieren ließe, eine wirkliche Werkausgabe der Schriften
ihres verstorbenen Mannes auf den Weg zu bringen und dessen politisch-theoretisches Erbe, wie sie in einer Nachprozesserklärung schreibt, "zu einem steten Tropfen zu
machen, die den Stein, die Herrschaftsverhältnisse, schließlich höhlen".
Christoph Jünke
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