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Auch dies ein historischer Meilenstein im Umbruch politischer
Mentalitäten: Deutsche Soldaten "stehen" vor der israelisch-libanesischen Küste und
sollen, wie es heißt, den Frieden sichern.
Moshe Zuckermann lehrt Geschichte und
Philosophie in Tel Aviv und hat soeben im Wiener Passagen-Verlag Israel Deutschland Israel.
Reflexionen eines Heimatlosen veröffentlicht.
Für die SoZ sprach Christoph
Jünke mit Moshe Zuckermann.
Sind deutsche Soldaten vor der israelisch-libanesischen Küste eine in deinen Augen zu
begrüßende Normalisierung des historisch prekären Verhältnisses von Deutschen und
Israelis?
In der Frage ist im Grunde die Problematik schon angelegt. Denn zum einen bin ich mitnichten der
Meinung, dass man schon von einer Normalisierung im Verhältnis Deutschlands und Israels sprechen kann.
Das liegt nicht zuletzt an den Neuralgien, aus denen nicht nur in Israel, sondern auch in Deutschland immer
wieder auf die Vergangenheit reagiert wird. Die These von der Normalisierung ist im Wesen ideologisch. Es
mag sich lebensweltlich einiges verändert haben, aber nicht in den offiziellen Beziehungen oder in den
kollektiven Wahrnehmungen. Die sind immer noch zutiefst beladen.
Zum anderen, und das scheint mir wichtiger
in diesem Zusammenhang, bin ich nicht der Meinung, dass sich deutsche Normalisierungsbestrebungen in
internationalen militärischen Aktionen manifestieren sollten. Für Deutschlands Normalität
galt über Jahrzehnte, dass sich diese sonstwie, nur eben nicht militärisch niederschlagen sollte.
Wer mit seinem Militär soviel Unglück über das 20.Jahrhundert gebracht hat, kann und sollte
dies nicht militärisch "wiedergutmachen" wollen.
In einem aktuellen Artikel im Freitag hast du darüber hinaus dargelegt, dass und wie dieses
prekäre Verhältnis sogar die vermeintlich Frieden stiftende Aufgabe der Bundeswehr
konterkariert.
Der Punkt scheint mir zu sein, dass das, was noch immer neuralgisch nachwirkt, nun ideologisch
instrumentalisiert wird. In Israel dergestalt, dass man darauf insistiert, dass die Deutschen gerade wegen
dieses sich aus der Vergangenheit speisenden Verhältnisses auf "unserer Seite" sein
müssen. Wenn dies aber gleichsam geschichtsmächtig vorgegeben ist, können die Deutschen
nicht neutral im Sinne des UNO-Auftrags agieren. Die deutsche Kanzlerin Merkel deklarierte ja von
vornherein, dass es um nicht weniger als die Sicherung der Existenz Israels ginge. Das ist nebenbei gesagt
Unsinn: Israels Existenz ist zurzeit überhaupt nicht bedroht. Deutschlands Beteiligung an der UN-
Mission ist jedenfalls, so besehen, kein neutraler Versuch der Gewaltbeendigung und -vermeidung. Ich denke,
dass der Auftrag deswegen von vornherein zum Scheitern verurteilt ist: Wenn Militär auf Militär
trifft, verfolgt dasselbe irgendwann eine eigene, eben militärische Logik. Ich denke, dass sich dies
in den Zwischenfällen zwischen deutschem und israelischem Militär deutlich gezeigt hat.
Warum war die israelische Regierung ein treibender Faktor bei der Integration der deutschen Armee in
die UN-Streitmacht?
Eben weil Israel Deutschland aus Gründen der Vergangenheitsbewältigung als einen
verlässlichen Verbündeten betrachten kann. Es scheint mir in der gegenwärtigen Phase ein
ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass Deutschland Israel nie international kritisieren würde. Deswegen
kann sich die israelische Regierung auf die Deutschen verlassen, und zwar gerade auch, wenn es darum gehen
wird, Israel im Falle der Verletzung bestimmter Abmachungen zu kritisieren.
Die Vorstellung, dass es zwischen deutschen
und israelischen Soldaten zu blutigen Auseinandersetzungen kommen kann. ist ja eine geradezu endzeitliche
Vorstellung, nicht nur für den israelischen Premier und die deutsche Kanzlerin, sondern sicherlich
auch für die meisten Israelis und Deutsche. Trotzdem liegen militärische Zwischenfälle in
der Logik der Sache, denn eine Marine muss ja reagieren, wenn sie sich angegriffen sieht. Doch wenn es
wirklich "krachen" sollte, ist der Symbolwert ein ganz anderer als nur, dass eine Marine gegen
eine Luftwaffe kämpft. Dann kämpfen Deutsche gegen Juden.
Das heißt aber doch, dass die israelische Regierung reichlich kurzsichtig agiert hat.
Mir scheint dies überhaupt ein Erbteil der israelischen Regierung der letzten Jahre, dass sie
immer reichlich kurzsichtig handelt. Auf der anderen Seite fanden sich ja lange keine Kräfte für
diese ausgesprochen gefährliche Mission.
Es gibt aber eben auch abgeleitete
Interessen, an solch einer Aktion teilzunehmen, bspw. die zuvor erwähnte Ideologie der Normalisierung:
dass es als Stück "Normalität" gilt, deutsche Soldaten wieder international
einzusetzen. Das scheint mir hier das Problem zu sein, und es ist in der Tat kurzsichtig.
Wird die israelische Regierung hierbei von ihrer Bevölkerung unhinterfragt unterstützt
oder gibt es eine Diskussion darüber?
Die Diskussion im Vorfeld war nicht so groß, wie es zu erwarten stand. Nach den Vorkommnissen
begannen sich jedoch viele zu fragen, was "wir" da eigentlich vor haben. Nun wurde es
prekär. Doch eine größere Diskussion, auch diplomatisch, wird es in Deutschland wie in
Israel wohl erst geben, wenn es "kracht".
Wie stellt sich die innenpolitische Situation Israels nach dem Libanonkrieg dar? Tanya Reinhardt hat
jüngst die These vertreten, dass die israelische Politik fest in der Hand der Militärs sei. Von
außen erscheint es in der Tat, als ob die israelische Gesellschaft ein einig Volk von Gläubigen
und Kriegern sei.
Man sieht die israelische Gesellschaft nach Lage der eigenen Projektionen. Das scheint mir auch der
Fall bei meiner guten Freundin Tanya Reinhardt zu sein, deren Bewertung etwas überspannt ist. Die
israelische Zivilgesellschaft und die israelische demokratische Kultur sind doch bei aller Problematik
etwas anders geartet.
Es stimmt allerdings, dass das israelische
Militär aus historischen wie politisch-militärischen Gründen eine Art Heiligtum darstellt.
Dass es Macht im Sinne einer Junta ausübt, ist natürlich Quatsch. Was man sagen kann, ist, dass
die politische Klasse und die Regierung nach dem Libanonkrieg sehr, sehr geschwächt sind, denn sie
haben es, wie es heißt, "nicht gebracht". Natürlich hätte man gar nicht erst in
diesen Krieg einsteigen dürfen. Aber sobald man dies tat, war man mit zweckrationalen Erwartungen
konfrontiert, wie ein solcher Krieg zu führen sei. Hier spielte vor allem die ungeheure Unerfahrenheit
der aktuellen Regierungspolitik eine Rolle, denn anders als Sharon sind Olmert und Verteidigungsminister
Peretz, letzterer ein erfahrender Gewerkschafter, alles andere als kriegserfahren. Dies ließ
natürlich die Vorstellung aufkommen, dass das Militär die Politik bestimmen würde was
ja auch in gewissem Sinne stimmte. Doch betrachtet man sich die Ergebnisse des militärischen
Vorgehens, so wird dies mitnichten gestützt.
Bezieht sich die von dir angeführte Krisensituation, in die die israelische Regierung geraten
ist, auf die eher zunehmende Bedrohung von außen? Oder gibt es auch einen innerisraelischen
Krisendiskurs?
Es gibt einen allgemeinen Krisendiskurs. Als sich Sharon 2005 aus dem Gaza-Streifen zurückzog, war
dies das Fanal für einen innerisraelischen Tabubruch. Sharon hatte sich zwar aus wohl erwogenen
zweckrationalen Gründen für die Räumung Gazas entschieden allein aus demografischen
Gründen wollte er die 1,5 Millionen Palästinenser in Gaza loswerden. Aber er hat damit etwas
eingeleitet, das Olmert in seinem Wahlkampf dann aufnahm, als er vergleichbares für das Westjordanland
nahelegte. Doch genau dies ist nun vorbei. Denn würde er diese angekündigte Politik nun
verfolgen, würde es scheinen, als ziehe sich Israel aus den besetzten Gebieten deshalb zurück,
weil der Widerstandskampf der Palästinenser erfolgreich ist. Dafür gibt es keinen Rückalt in
der israelischen Bevölkerung. Die Zeit solcher Rückzüge scheint vorerst vorbei zu sein.
Hinzu kam jedoch in diesem Krisendiskurs,
dass ein Teil der Zivilbevölkerung in Israels Norden sich während des Krieges über Tage und
Wochen "verraten" von der Regierung sah, weil sie vor den Raketenangriffen aus dem Libanon nicht
geschützt worden war. Vergessen werden darf auch nicht das mittlerweile erreichte Ausmaß der
Korruption an der Spitze der israelischen Politik. Staatspräsident, Ministerpräsident, der
ehemalige Justizminister und andere stehen unter Verdacht oder Anklage der Vorteilsnahme bzw. der sexuellen
Belästigung. Ein erheblicher Teil des die politischen Spitzen bevölkernden Personals erscheint
vielen Israelis als nicht sehr vertrauenswürdig. Das ist schon eine zivilgesellschaftliche Krise.
Eine Krise, die sich aber in einem steigenden Wehrwillen der Bevölkerung äußert,
nicht in einer Infragestellung der Grundlinien der israelischen Politik?
Hier hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Einen Wehrunwillen kann man sich in Israel gar nicht
leisten, solange die Dinge so sind, wie sie sind. Solange es keinen wirklichen Frieden gibt, wäre
mangelnder Wehrwillen das Ende Israels. Eine ganz andere Frage ist freilich, warum man nicht weiter in
Richtung Frieden schreitet.
Eine friedliche und emanzipatorische Zukunft im heiligen Land, dass hast auch du immer vertreten,
kann nur aus einem solidarischen Miteinander von Arabern und Juden, von Israelis und Palästinensern
kommen. Eine solche Politik scheint nur noch eine kleine Handvoll von Israelis und Palästinensern zu
vertreten. Welche Perspektive hat diese Möglichkeit?
Das ist eine Frage der historischen Perspektive. Ich gebe zu bedenken, wie lange Deutschland und
Frankreich gebraucht haben, um gute Nachbarn zu werden. Ich denke zwar nicht, dass wir in Israel und der
Region ebenso 350 Jahre zur Verfügung haben. Aber auch wenn wir derzeit eine Regression beobachten
können, so haben doch die 90er Jahre einige historisch reale Möglichkeiten aufscheinen lassen.
Das Schlusswort der Geschichte ist sicher noch nicht gesprochen. Dabei müssen wir vielleicht weniger
von Möglichkeiten, als vielmehr von Notwendigkeiten reden, denn keine der beteiligten Parteien und
Nationen der Region kann längerfristig leben ohne eine größere konföderative
Zusammenarbeit. Das eigentliche Problem sind ja nicht die Territorien per se, sondern die des Wassers, des
Arbeitsmarkts usw. Und hier drängt sich die Realität zum Notwendigen. Gehorchen wir der Logik
dieser Notwendigkeit nicht, werden wir alle dort untergehen. Die Perspektive eines fortdauernden Krieges,
zumal eines mit Atomwaffen bestückten, muss in die Katastrophe führen. Deswegen möchte ich
betonen, das meine Hoffnung auf eine emanzipatorische, friedliche Perspektive nicht von sentimentalem
Idealismus herrührt, sondern sich dem realistischen Blick auf die Notwendigkeiten verdankt.
Dass sich diese Notwendigkeit zurzeit Bahn brechen würde, siehst du aber nicht?
Das "zurzeit" ist immer eine relative Sache. Man muss sich ja überlegen und fragen, wie
es gekommen ist, dass es zurzeit so ist. Es ist zunächst daher gekommen, dass Hamas an die Regierung
gelangt ist und nicht verhandeln will. Nun stellt sich aber die Frage, wie Hamas an die Regierung gekommen
ist. Und die Antwort lautet: Das war ein eindeutiges Produkt der Politik Sharons. Sharon wollte die
säkulare PLO demontieren und Arafat isolieren. Er hat die Fatah bekämpft und die
Autonomiebehörde funktionsunfähig gemacht. So entstand das Vakuum, das die
radikalfundamentalistische Hamas gefüllt hat. Bis dahin waren diese in der palästinensischen
Bevölkerung eher randständig. Was wir also als Sackgasse wahrnehmen, ist historisch
nachzuvollziehen. Und alles was historisch und politisch geworden ist, kann historisch und politisch auch
wieder überwunden werden.
Wenn Israel mit einem großen Angebot
auf die Palästinenser zugehen würde, wenn es die besetzten Gebiete räumen und
zurückgeben würde, die Jerusalem-Frage angehen und meinetwegen auch das Rückkehrrecht der
Palästinenser symbolisch anerkennen würde, dann hätten wir andere Voraussetzungen für
die Zukunft als im Moment.
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