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Zum zweiten Mal hat ein argentinischer Staatsanwalt Ende Oktober einen
internationalen Haftbefehl gegen hochrangige iranische Politiker als angebliche Drahtzieher eines
Bombenanschlags in Buenos Aires erlassen. Alberto Nisman verlangt unter anderem die Verhaftung und
Auslieferung von Hashemi Rafsanjani, der von 1989 bis 1997 Präsident des Iran war. Ebenfalls auf
Nismans Liste stehen unter anderem der frühere iranische Außenminister Ali Akbar Velajati, der
frühere iranische Geheimdienstchef Ali Fallahian, der frühere Kommandeur der Revolutionsgarde
Mohsen Rezai und ein hochrangiges Mitglied der libanesischen Schiiten-Partei Hizbollah, Imad Mughnijeh.
Sie alle sollen direkt an der Beschlussfassung und Planung des Anschlags beteiligt gewesen sein,
behauptet die argentinische Justiz. Die Beweislage ist jedoch äußerst dünn: Der Haftbefehl
stützt sich fast ausschließlich auf die fragwürdigen Behauptungen eines Informanten des
deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND).
Am 18.Juli 1994 wurde das
siebenstöckige Gebäude der AMIA (Asociación Mutual Israelita Argentina eine Art
Sozialversicherung) durch eine Bombe zum Einsturz gebracht und vollständig zerstört. Unter den
Trümmern starben 85 Menschen, 300 wurden verletzt. In dem Haus hatten sich auch die Büros
mehrerer anderer jüdischer Organisationen und ein Gemeindezentrum befunden. Das Gebäude stellte
einen Lebensmittelpunkt der argentinischen Juden dar mit zwischen 200000 und 300000 Menschen die
größte jüdische Gemeinschaft Lateinamerikas.
Nach dem Anschlag nahmen Agenten der CIA
die mit dem argentinischen Geheimdienst traditionell eng kooperiert , der US-Bundespolizei FBI
und des israelischen Geheimdienstes Mossad sofort an Ort und Stelle die Ermittlungen auf. Amerikaner und
Israelis waren sich sofort einig, dass hinter dem Anschlag nur der Iran stecken konnte. Diese Hypothese
übernahm auch Bundesrichter Juan José Galeano, der als erster mit der Leitung der Ermittlungen
beauftragt wurde.
Als Glücksfall schien sich zu erweisen, dass 1996 ein iranischer Geheimdienstmann sich nach
Deutschland absetzte und ein außerordentliches Erzähltalent an den Tag legte. Abdolghassem
Mesbahi war nicht nur Kronzeuge im Berliner Mykonos-Prozess 1997, in dem es um die Ermordung von drei aus
dem Iran stammenden kurdischen Exil-Politikern ging. Mesbahi behauptete auch ganz genau zu wissen, dass der
Anschlag auf das AMIA-Gebäude am 14.August 1993 in einer Sitzung der gesamten iranischen
Führungsspitze beschlossen worden sei. Selbst dabei gewesen sein will Mesbahi aber nicht. Er habe das
alles von einem inzwischen verstorbenen Geheimdienstkollegen gehört.
Mesbahi hat vermutlich nicht erst 1996 die
Seiten gewechselt. Er soll 1989, als er an der iranischen Botschaft in Bonn tätig war, eine
maßgebliche Vermittlerrolle bei der Freilassung von zwei im Libanon entführten Deutschen gespielt
haben und auf diese Weise in Kontakt zum BND geraten sein. In den Iran zurückgekehrt hat er angeblich
im Stab von Präsident Rafsanjani gearbeitet.
1998 wurde Mesbahi erstmals von
Untersuchungsrichter Galeano verhört, der dazu nach Berlin kommen musste. Später hielt er sich,
immer noch unter dem Schutz des BND stehend, in verschiedenen anderen Ländern auf. Ende 2001 oder
Anfang 2002 rückte Mesbahi laut Verhörprotokoll mit einer ganz neuen Geschichte heraus: Der
frühere Präsident Carlos Menem (Amtsinhaber von 1989 bis 1999) sei in die Vertuschung, wenn nicht
gar in die Vorbereitung des AMIA-Anschlags tief verstrickt.
Schon Mitte der 80er Jahre, als Menem, der
syrischer Abstammung ist, noch Gouverneur der Provinz La Rioja war, habe der Iran seine Wahlkämpfe
finanziert, um ihn als Einflussagenten aufzubauen. Nach dem Anschlag habe Menem über ein Schweizer
Bankkonto Rafsanjanis 10 Millionen Dollar bekommen, als Lohn für die Verschleppung und Manipulation
der Ermittlungen.
Nichts von den Behauptungen war jedoch
beweisbar, und Mesbahi hat später bestritten, Menem bei seinen Vernehmungen überhaupt
erwähnt zu haben. Untersuchungsrichter Galeano brachte zwar im März 2003 noch die ersten
Haftbefehle gegen zwölf Iraner (u.a. auch gegen Rafsanjani) auf den Weg, wurde aber im August 2003 als
Ermittlungsführer abgesetzt und etwas später wegen schwerer Rechtsbeugung angeklagt. Unter
anderem soll er einem Zeugen 400000 Dollar angeboten haben, wenn dieser zu belastenden Aussagen gegen
führende Polizeibeamte der Provinz Buenos Aires bereit wäre. Galeano hatte sie der Mithilfe bei
der Vorbereitung des Attentats bezichtigt. Die daraufhin eingeleiteten Verfahren gegen rund 20
Polizeifunktionäre endeten im September 2004 mit Freisprüchen. In der Hauptsache war es um den
Vorwurf gegangen, die Polizisten seien in die Beschaffung des Autos, in dem sich der Sprengstoff befunden
haben soll, verwickelt gewesen.
Galeanos Nachfolger präsentierten am 9.November 2005 einen angeblichen Ermittlungserfolg: Der
Selbstmordattentäter, der sich am 18.Juli 1994 mit einem Lkw voll Sprengstoff vor dem AMIA-Haus selbst
in die Luft gejagt habe, sei nunmehr "einwandfrei identifiziert".
Es handelt sich um Ibrahim Hussein Berro,
ein Mitglied der libanesischen Hizbollah. Die Organisation hatte am 9.September 1994 seinen Tod in einem
Gefecht mit einer israelischen Patrouille im Südlibanon gemeldet. Berros Name war in den
argentinischen und US-amerikanischen Ermittlungen erstmals im Juni 2001 aufgetaucht offenbar kam der
"Tipp" vom israelischen Mossad.
Jedoch reichten die Beweise gegen den
Argentinier zu diesem Zeitpunkt nicht aus. Die am 9.November 2005 verkündete "definitive
Identifizierung" ging angeblich auf ein Gespräch zurück, das argentinische Ermittler und
FBI-Beamte mit zwei in den USA lebenden Brüdern Berros geführt hatten. Beide bestritten jedoch
sofort die Behauptungen über ihren Bruder und bekräftigten, er sei im Libanon im Kampf mit
Israelis getötet worden. Sie hatten, so ihre Erklärung, den Ermittlern lediglich ein Foto ihres
Bruders als 17-Jähriger mitgegeben; er war zum Zeitpunkt des Attentats 21. Es gibt einen einzigen
argentinischen Augenzeugen, der "mit 80%iger Sicherheit" behauptet, Ibrahim Hussein Berro am
18.Juli 1994 am Steuer des Lkw gesehen zu haben, in dem sich der Sprengstoff befand. Die Chance, sich an
einen vorbeifahrenden Autofahrer zu erinnern, ist nicht groß. Die Chance, sich an sein Gesicht nach
elf Jahren zu erinnern, wie in diesem Fall, ist noch geringer.
Die Sache hat einen weiteren schweren
Schönheitsfehler: Es ist keineswegs gesichert, dass es überhaupt einen Selbstmordattentäter
mit einem Lkw gab. Der Verlauf der Explosion sprach, einigen Berichten zufolge, eher dafür, dass sich
das Epizentrum im AMIA-Gebäude selbst befand, dass die Bombe also im Haus, vermutlich in dessen
drittem Stockwerk, versteckt war.
Der Angriff auf das AMIA-Gebäude war
weltweit der schwerste, der seit 1945 auf eine jüdische Einrichtung verübt wurde. Er muss aber in
engem Zusammenhang mit zwei anderen Attentaten betrachtet werden. Da hatte es zum einen in Buenos Aires am
17.März 1992 einen Bombenanschlag auf die israelische Botschaft gegeben, bei dem 29 Menschen
getötet wurden. BND-Informant Mesbahi schrieb auch dieses Attentat einem Auftrag der iranischen
Führung zu. Es spielt aber offenbar in den jetzt erlassenen neuen Haftbefehlen keine Rolle. Unter
anderem vielleicht, weil die argentinischen Behörden für diesen Anschlag noch nicht einmal einen
angeblichen Selbstmordattentäter präsentieren können.
Selten erwähnt wird das dritte in
diesem Zusammenhang zu nennende Attentat: Am 19.Juli 1994, also am Tag nach dem Anschlag gegen das AMIA-
Gebäude, explodierte eine Bombe in einem kleinen panamesischen Flugzeug. Alle 21 Insassen, darunter 12
Juden, wurden getötet. Es wurde eine fragwürdige Bekennererklärung im Namen einer bis dahin
unbekannten angeblichen libanesisch-schiitischen Gruppe veröffentlicht. Das Flugzeug befand sich auf
dem Rückweg von der panamesischen Freihandelszone Colón nach Panama-Stadt ein
Kurzstreckenflug von kaum 100 Kilometern. Die Passagiere waren Händler, die geschäftlich in
Colón gewesen waren.
Die Geschäfte, die in den
Freihandelszonen Lateinamerikas gemacht werden, befinden sich teilweise am Rande oder außerhalb der
Legalität. Beispielsweise spielen Schmuggel und Drogenhandel dabei eine Rolle. Mindestens einer der
Männer, die bei der Explosion des Flugzeugs ums Leben kamen, stand bekanntermaßen mit
organisierter Kriminalität in Verbindung. Es gab daher ernstzunehmende Vermutungen, dass der Anschlag
ihm persönlich gegolten hatte und rein kriminelle Motive hatte. Auch die Möglichkeit, dass die
Tat sich gegen eine bestimmte Gruppe von Händlern in den Grauzonen der Illegalität richtete, ist
nicht auszuschließen. Es bleibt jedoch die Frage, ob irgendein Zusammenhang zu dem Attentat auf das
AMIA-Gebäude am Vortag bestand.
Nach Darstellung der argentinischen Behörden wurden die beiden Anschläge in Buenos Aires 1992
und 1994 von der libanesischen Hizbollah im iranischen Auftrag verübt. Dazu ist festzustellen, dass
die Hizbollah, abgesehen von diesen beiden ihr zugeschriebenen Attentaten, überhaupt keine
Anschläge außerhalb des Nahen Ostens ausgeführt hat. Ihr Aktionsfeld beschränkt sich
seit jeher ausdrücklich auf den Libanon und, in wenigen Einzelfällen, auf Israel. In diesem Sinn
haben Hizbollah-Führer auch immer wieder eindeutige Erklärungen abgegeben.
Warum sollte Hizbollah im Fall der zwei
argentinischen Anschläge von diesem Prinzip abgewichen sein? Untersuchungsrichter Galeano, der
zunächst die Ermittlungen geführt hatte und später abgesetzt wurde, hatte die Attentate als
Reaktionen auf israelische Angriffe gegen hochrangige Hizbollah-Führer im Libanon interpretiert. Als
Motiv für den Anschlag auf die Israelische Botschaft am 17.März 1992 sah Galeano die Ermordung
des damaligen Hizbollah-Chefs Sheikh Abbas al-Musawi und seiner Familie durch Israel am 16.Februar 1992 an.
Den Anschlag auf das AMIA-Gebäude am 18.Juli 1994 sah Galeano in Zusammenhang mit der Verschleppung
des libanesischen Schiiten-Führers Mustafi Dirani durch ein israelisches Kommando am 21.Mai 1994. Auch
ein israelischer Luftangriff auf ein Ausbildungscamp der Hizbollah am 2.Juni 1994, bei dem 26 Menschen
getötet wurden, hätte nach Ansicht Galeanos Teil des Motivs sein können.
Das könnte die beiden Anschläge
in Buenos Aires theoretisch als Racheakte der Hizbollah plausibel machen. Diese Theorie passt aber schlecht
zu der Annahme, die Anschläge seien von der damaligen iranischen Führung angeordnet worden. Das
muss irgendwann offenbar auch den argentinischen Chefermittlern (und ihren US-amerikanischen Freunden)
eingeleuchtet haben: In den vor kurzem ausgestellten neuen Haftbefehlen wird eine völlig andere
Motivlage konstruiert. Zugrunde gelegt wird jetzt die Annahme, die Iraner seien verärgert gewesen,
weil ihre Verhandlungen mit Argentinien über die Lieferung von Technologie über ihr ziviles
Atomprogramm geplatzt waren. Dieser Theorie zufolge hätten die Iraner mit den Anschlägen
gleichzeitig Argentinien und Israel dem sie eine Hauptschuld am Scheitern des Atomdeals gegeben
hätten bestrafen wollen.
Gareth Porter hat in einem am 14.November
von Antiwar.com veröffentlichten Artikel ("Argentine report casts doubt on Iran role in 94
bomb") diese Theorie detailliert auseinandergenommen und widerlegt. Er weist nach, dass die
argentinisch-iranischen Verhandlungen 1992, zur Zeit des Anschlags auf die Botschaft, noch voll im Gang
waren. Auch im Juli 1994 sei der Atomdeal noch nicht definitiv gescheitert gewesen. Zu diesem Zeitpunkt mit
einem Anschlag in Buenos Aires in Verbindung gebracht zu werden, wäre für die Iraner also total
kontraproduktiv gewesen.
Es kommt hinzu, was Porter nicht
erwähnt: Aufgrund des starken US-amerikanischen Drucks sind damals zur gleichen Zeit Dutzende von
angebahnten Nukleargeschäften des Iran geplatzt. Mit Ausnahme Russlands hat es seit den 80er Jahren
letztlich kein einziges Land gewagt, sich auf diesem Gebiet dem Diktat der USA zu entziehen. Es hätte
für Teheran keine Logik darin gelegen, deswegen ausgerechnet in Argentinien Anschläge
verüben zu lassen, was es ansonsten gegen die Partner der entgangenen Geschäfte auch nicht getan
hat. Politischen Sinn macht die neue Theorie aber im Rahmen der amerikanisch-europäischen
Konfrontationskampagne gegen den Iran, weil sie die gewünschte Verbindung zwischen den beiden
Hauptthemen "Iranische Atombombe" und "Unterstützung des internationalen
Terrorismus" herstellt.
Knut Mellenthin
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