SoZ - Sozialistische Zeitung |
1. Die ArbeiterInnenklasse ist nicht
einfach "da", ihre Reproduktion physisch, moralisch, affektiv usw. ist das
wichtigste Resultat der kapitalistischen Produktionsweise. Der fordistische Klassenkompromiss ist
längst aufgekündigt. Nun geht es darum, willige und billige Arbeitskräfte zu schaffen, die
sich Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte weitgehend abzuschminken haben. Massenarmut wird dabei
durchaus in Kauf genommen.
2. Die materielle Basis für dieses Kalkül sind die neuen, postfordistischen Arbeitsformen und
organisatorischen Strukturen in Wirtschaft und Staat. Stichwort: prekäre Arbeitsformen, kurzfristige
Jobs, Projektorientierung, Scheinselbständigkeit, Zergliederung und Aufsplitterung der Belegschaft.
Marktmechanismen als regulatives Prinzip sollen die ehemals bürokratischen Steuerungsmechanismen
ersetzen. Tradierte gewerkschaftliche Kampfformen werden dadurch erschwert und unterlaufen. Die Türe
zur Kapitalakkumulation durch absoluten Mehrwert soll weit aufgestoßen werden.
3. Daher greifen traditionelle Forderungen immer weniger. Arbeitszeitverkürzung würde nur
jene betreffen, die noch einen Vollzeitarbeitsplatz haben (oder wollen), ein Mindeststundenlohn eine
durchaus wichtige Forderung nur jene, die in einem Lohnverhältnis stehen. Andere Erwerbsformen
bleiben außen vor.
4. Wesentlicher Hebel zur Reproduktion der ArbeiterInnenklasse ist der Sozialstaat. Druck und Schikane
gegenüber Arbeitslosen ist zugleich Druck auf die Arbeitenden. Die Maßnahmen der
Arbeitsmarktverwaltung sind nun keineswegs sinnlos oder disfunktional. Was in Deutschland die 1-Euro-Jobs
sind in Österreich die zwangsverschriebenen Kursmaßnahmen. Klarerweise geht es dabei nicht um die
Schaffung von Arbeitsplätzen, es geht um die moralische und physische Zurichtung des Proletariats.
5. Die Zeichen stehen also in Richtung Workfare, kein Sozialtransfer ohne verhüllte Zwangsarbeit.
Die Forderung nach dem bedingungslosen garantierten Grundeinkommen stellt sich diesen Prozessen und
Tendenzen entschieden entgegen. Es umfasst und betrifft alle, Arbeitslose wie Arbeitende, Frauen wie
Männer, MigrantInnen und Nicht-MigrantInnen. Es argumentiert gegen alle Bedingungen und Auflagen,
gegen jede Art von Verpflichtung.
6. Die Forderung nach dem Grundeinkommen erlaubt es, Klartext zu reden: Entkoppelung von Lohnarbeit und
Einkommen, Ja oder Nein; Zwang zur Lohnarbeit, ja oder nein? Aber auch bei kleinen, bescheideneren
Auseinandersetzung weist das Prinzip des Grundeinkommens die Perspektive: Bezugsstreichung bei Verweigerung
eines Arbeitsamt-Kurses, ja oder nein; Recht auf Nichtannahme von Jobs durch Arbeitslose ohne Sanktionen,
ja oder nein?
7. Wenn es der Forderung nach dem Grundeinkommen an Radikalität fehlt, was wäre die
Alternative? Der Artikel von Angela Klein ist erstaunlich resultatlos. Was folgt eigentlich aus der
Tatsache, dass auch ein Kapitalist ein Grundeinkommen fordert? Götz Werner ist kein Marxist, schon
klar, Werner argumentiert nicht mit dem marxistischen Begriff der Ausbeutung, geschenkt. Und jetzt?
Favorisiert Angela Klein die alt ehrwürdige Forderung nach Verstaatlichung der Produktionsmittel und
die Perspektive einer Planwirtschaft? Vor zwanzig Jahren wäre die Antwort klar gewesen,
Verstaatlichung unter Arbeiterkontrolle, Planwirtschaft, Machtergreifung des Proletariats. Und heute?
Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung können nicht den Platz der ehemals so klar
erscheinenden revolutionären Perspektive einnehmen, sondern was?
8. Klein argumentiert völlig richtig, letztlich kann ein Grundeinkommen nur durch das Proletariat
selbst finanziert werden. Exakt: die Quelle der Gebrauchswerte sind Natur und Arbeit, die Quelle des
abstrakten Geldwerts allein die Erwerbsarbeit. Wieso daraus eine Kritik am Grundeinkommen folgen soll, ist
völlig unerfindlich. Wenn jener Sektor der Ökonomie, in der noch geregelte
Arbeitsverhältnisse bestehen, zunehmend schwindet, was spricht dann gegen den Wechsel auf eine
gesamtgesellschaftliche Ebene der sekundären Umverteilung via Steuern und staatlichen Transfers? Die
Bourgeoisie hat durch die postfordistischen Strukturen die klassischen Kampfformen unterlaufen, warum
schlagen wir da nicht klug zurück und wechseln unsererseits das Terrain?
9. Gesellschaft ist insgesamt ein produktiver Zusammenhang, alle tragen dazu bei, ob entlohnt oder
nicht. Die Produktivkraft der Gesellschaft erscheint als Produktivkraft des Kapitals, können wir bei
Marx lesen. Sitzen wir diesem Schein nicht länger auf. Unsere Tätigkeit ist materiell
anzuerkennen, das Mittel dazu kann nur das Grundeinkommen sein.
Karl Reitter
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