SoZ - Sozialistische Zeitung

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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Dezember 2006, Seite 20

Vergessen und Erinnern

Michael Amons Abschlussbilanz eines Industriemagnaten

Michael Amon: Sonnenfinster. Roman, Wien: Molden, 2006, 240 Seiten, 19,90 Euro


Sonnenfinster heißt der politische Roman, mit dem Michael Amon nach Lemming und Yquem eine Trilogie abrundet. Wie in den früheren Werken fließen in die Erzählung Versatzstücke von Realität ein. So entsteht ein lebendiges Sittenbild der Hautevolee, personifiziert durch den Multimillionär Karl Kühn.
"Er war ein Mann aus dem Nichts, hatte immer ein großes Geheimnis aus seiner Herkunft gemacht, und merkwürdigerweise war ihm dieses auch gelungen. Vielleicht lag es daran, dass er in all den Jahrzehnten niemals ein Interview gegeben hatte, so neugierig die Journalisten auch waren. Ein Mann ohne Vergangenheit. Ein rätselhafter Schweiger. Ein mächtiger Mann." Wer sich hinter dieser Romanfigur versteckt? Wirtschaftkundigen Lesern fällt sicherlich jemand ein...
Ort der Handlung ist Schloss Oberweis bei Gmunden. Die Ereignisse konzentrieren sich auf den 11.August 1999, den Tag einer totalen Sonnenfinsternis. Noch einmal den Mond sich vor die Sonne schieben sehen, diese Obsession hält den todgeweihten Kühn am Leben. Während sich die Sonne langsam verdunkelt, rücken die Machenschaften des einflussreichen Patriarchen ans Licht. Geboren in kleinbäuerlichen Verhältnissen, fasste er früh den unumstößlichen Entschluss für ein "Leben in der ersten Klasse", und kannte bei profitablen Geschäften kein Pardon.
Amon verknüpft die Biografie seines Protagonisten mit den Szenarien des vergangenen Jahrhunderts: Gewalt, Krieg, Bürgerkrieg, Krisen, Nationalsozialismus, Wiederaufbau. Unter welchen Vorgaben auch immer, Kühn verstand es, die ökonomischen Handlungsspielräume für sich zu nutzen. Während der NS-Herrschaft kooperierte er mit den braunen Machthabern, wurde eifriger Verfechter und Nutznießer der Rassenideologie. Als "Herrenmensch" stellte er seine Manneskraft gerne in den Dienst der arischen Zuchtanstalt "Lebensborn". Nach 1945 adoptierte er seine mit einer Tschechin gezeugte Tochter und machte aus dem ehemaligen Lebensbornheim in Oberweis kurzerhand seinen Wohnsitz.
Mit seinen Untaten konfrontiert, flüchtete seine Ehefrau in den Selbstmord. Seine "Adoptivtochter" bekam bereits als kleines Mädchen die physische und emotionale Gewalt des Vaters zu spüren. Mit der Geschlechtsreife setzte der sexuelle Missbrauch ein, ein Inzest, der zur Geburt von Zwillingen führte.
Am Tag der Sonnenfinsternis sind sämtliche Familienmitglieder, der behandelnde Arzt, der ehemalige SS-Kommandant des Lebensbornheims sowie Mitglieder der schlagenden Burschenschaft um den moribunden Kühn versammelt, getrieben von Motiven wie Eitelkeit, Rachsucht und Habgier und bereit zum Totentanz. "Eben war eine ganze Welt dabei unterzugehen, und niemand vergoss eine Träne, fand ein Wort des Bedauerns. Es war Kühns Welt, die eben versank. Aber irgendwie würde sie neu geboren werden. In diesem Moment oder schon gestern. Vielleicht auch erst morgen. Aus den Welten der Kühns gab es kein Entkommen."
Michael Amon zählt zu den Umstrittenen. Seine literarischen Texte sind immer politisch, seine Kommentare treffen ins Schwarze und machen auch vor Schriftstellerkollegen nicht halt. Sonnenfinster rüttelt an gesellschaftlichen Tabus und Konventionen — und bleibt doch ein Roman über Österreich und seine Menschen.

Barbara Schleicher

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