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Die gewaltfreie, lebendige, vielfältige, demokratische Gesellschaft von Frauen und
Männern, die sich als Ebenbürtige begegnen und anerkennen, ist auch für die am besten ausgebildete
Frauengeneration, die es in der Geschichte je gab, nicht erreicht. Barbara Holland-Cunz verweist darauf, dass über
die Frage, wie lange auf die Verwirklichung der Utopie gewartet werden muss, offensichtlich keine Einigkeit zu erzielen
sei. Nach ihrer Meinung hat sich die patriarchalische Herrschaft sogar "als sehr viel stabiler und dauerhafter
erwiesen, als die ersten Aktivistinnen vermutet haben".
Dennoch kann die Wirkung der Aktivitäten der Frauenbewegungen der 70er Jahre auf Erziehungsweisen, Verhaltens-
und Umgangsformen sowie auf die Gesetzgebung nicht übersehen werden.
Frauenbewegungen haben viele eigene Einrichtungen
geschaffen, die zwar stark von regionalen Spezifika geprägt waren, sich im Laufe der Jahre zunehmend
professionalisiert haben und öffentliche Institutionen entscheidend beeinflusst haben. Ihre Aktionsformen und ihr
Politikstil in Form von personenzentrierten, egalitären, offenen Gruppen und regionalen und internationalen
Netzwerken förderte nicht nur die Kompetenzbildung innerhalb der eigenen Reihen, sondern beeinflusste die Mitte der
70er Jahren entstandenen sozialen Bewegungen grundlegend. Die Reform des Ehe- und Familienrechts in der zweiten
Hälfte der 70er Jahre sind ebenso wie die Reform des §218 auf die Aktionen des "zivilen Ungehorsams"
der Frauenbewegungen zurückzuführen. Auch das Interesse an einer eigenen Auseinandersetzung von Frauen mit der
Geschichte der Frauen entwickelte sich aus den Neuen Frauenbewegungen. Dieses Interesse war von Anbeginn an nicht auf die
universitäre Geschichtswissenschaft begrenzt. Daraus mag sich das konsequente Desinteresse erklären, das die
"Historikerzunft" dieser neuen Disziplin zunächst entgegenbrachte.
Frauenbewegungen haben nicht nur das Leben der in ihnen
aktiven Frauen verändert. Sie haben auch auf die Beziehungen zwischen den Geschlechtern gewirkt, und auch manche der
beteiligten Männer machen sich verstärkt Gedanken um ihre Rollen. Auch wenn
"Geschlechtergerechtigkeit" nach wie vor nicht erreicht ist und Robert W. Connell, einer der bekanntesten
Männerforscher aus den USA, darauf verweist, dass leider noch wenige seiner Geschlechtsgenossen es als ihre Aufgabe
empfinden, als Reaktion auf die feministische Anklage, ihren "Kopf umzukrempeln, eine unterstützendere
Einstellung gegenüber Frauen zu entwickeln und andere Männer für ihr Verhalten zu kritisieren". Er
beschreibt eine Männergruppe, die diesem Anspruch weitestgehend gerecht wird. Er kritisiert allerdings, dass die
meisten von ihm befragten Männer ihren Blick auf Erwartungen und Einstellungen, persönliche Umgangsformen und
direkte Interaktion beschränken, die wirtschaftliche Diskriminierung, institutionalisierte Aspekte des Patriarchats
und den Feminismus als politische Bewegung jedoch nicht wahrnehmen. Der Blick auf die patriarchale Diskriminierung
unterbleibt auch, wenn Männer sich zunehmend undifferenziert ebenfalls als "Opfer der resistenten
Geschlechterverhältnisse" begreifen.
Feministinnen beobachten skeptisch, wenn die Umbenennung
der Frauenpolitik zunächst zur Geschlechterpolitik und dann zur Genderpolitik und analog dazu
Beiträge zur Geschlechterforschung und zur Genderforschung als "Paradigmenwechsel" gepriesen, und in
Wirklichkeit Frauenprojekte und -politiken für obsolet oder inopportun gehalten werden.
Der Begriff "gender" geht auf die nur in der englischen Sprache mögliche Unterscheidung zwischen dem
biologischen Geschlecht (sex) und dem kulturell konstruierten sozialen Geschlecht (gender) zurück. Annette Kuhn
verweist darauf, dass die erkenntnis- und geschichtstheoretisch belangvollen Fragen, wo das biologische Geschlecht
anfängt und wo es aufhört oder "Wann können wir vom Geschlecht als einem kulturell konstruierten,
kollektiven und/oder individuellen Körper sprechen?" sich weder früher, noch heute eindeutig beantworten
lassen. Damit wäre nicht nur das soziale, sondern auch das biologische Geschlecht sozial und kulturell
überformt. Karin Hausen und Heide Wunder vermissen offensichtlich ebenfalls den "Paradigmenwechsel", wenn
sie in ihrem Buch Frauengeschichte Geschlechtergeschichte darauf verweisen, dass das Interesse der
Frauengeschichte von Anfang an einherging mit der Absicht, "auch die Geschichte der kulturellen Geschlechterordnung
zu erforschen".
Christina von Braun hob hingegen in einer Einführung
in "Gender Studies" die Vorteile des Begriffs hervor. Er habe "sich zu einem Begriff mit weitreichenden
Implikationen für gegenwärtige Subjekt- und Identitätsdiskurse entwickelt". Seine Verwendung stelle
im Gegensatz zum Feminismusbegriff, der häufig als Ausschluss- bzw. Ausgrenzungskategorie verstanden wird, ein
Angebot "auch an männliche Wissenschaftler dar ... sich mit der Konstruiertheit ihrer eigenen und der in Texten
vermittelten Geschlechtsidentität auseinanderzusetzen".
Hier wird auch die Chance des seit der
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 etablierten Gender Mainstreaming gesehen, das von Europäischer Union und
Bundesregierung auf die Agenda gesetzt wurde. Das Konzept will ausdrücklich Männer als Akteure beim Aufbau eine
geschlechtergerechten Gesellschaft beteiligen und verpflichten. Übersetzt hieße Gender Mainstreaming:
"Integration der Gleichstellung von Mann und Frau in alle Politikbereiche" Genderpolitik als
Querschnittsaufgabe, wie es in einigen Politikbereichen, Institutionen und Organisationen schon früher versucht
wurde. Gender Mainstreaming bietet eine Perspektive, die die Klärung von geschlechtsspezifischen Ungleichheitslagen
im nationalen und internationalen Rahmen im Auge behält. Eine Verknüpfung des Top-down-Konzepts mit einer
Beteiligung "von unten" steht noch aus.
Eine neue Bewegung, die von beiden Geschlechtern getragen wird, könnte allerdings erst dann entstehen, wenn
Frauen und Männer das Begehren nach einer geschlechtergerechten Gesellschaft entwickeln und wenn die theoretischen
Konzepte mit politischen Zielvorstellungen verbunden würden und Eingang in praktisches politisches Handeln
fänden. Die Geschichte sozialer Bewegungen, besonders die der Frauenbewegungen, hat allerdings gezeigt, dass es
gerade die Erfahrungen sind, die Menschen am Rande des Mainstreams oder außerhalb der Dominanzkultur gesammelt
haben, die soziale und gesellschaftliche Veränderungen bewirkt haben.
Obwohl heute in (fast) allen Organisationen Feministinnen
zu finden sind und separate Frauenräume heute keiner Rechtfertigung mehr bedürfen, entpolitisieren sich die
Frauenbewegungen zusehends. Den meisten (privilegierteren) Frauen scheint es nunmehr vor allem um die Frage zu gehen, wie
sie die Machtpositionen in den bestehenden Institutionen und Gremien einnehmen können, an denen Frauen nach wie vor
nur einen geringen Anteil haben. Gleichzeitig nehmen Erwerbslosigkeit und Armut in erschreckendem Maße zu.
Bei vielen jüngeren Frauen hat das Wort
Frauenbewegung heute keinen guten Klang. Feminismus ist als Welterklärungsmodell für sie nicht mehr attraktiv.
Selbst wenn sie verstehen, dass männerfreie Räume ihre Berechtigung haben, fühlen sich nur wenige dort
hingezogen. Für die Zukunft wird der gemeinsame Nenner "Frau sein" ebenso wenig für den politischen
Kampf ausreichen, wie er in der Vergangenheit wirklich tragfähig sein konnte. Zu unterschiedlich sind die Interessen
verschiedener Frauengruppen, zu sehr etabliert haben sich neue Unterschichtungen (auch) unter Frauen, zu gnadenlos sind
die Konkurrenzkämpfe um die geringer werdenden Ressourcen. Das notwendig abstrakte "Wir", das innerhalb
der "Neuen Frauenbewegungen" einmal eindeutig schien, existiert ohnehin nicht mehr.
Migrantinnen vor allem üben verstärkt Kritik am
eurozentristischen Feminismus und gründeten eigene Netzwerke. EU-Erweiterung und fortschreitende
Globalisierungsprozesse haben die Internationalisierung und damit auch die Ausdifferenzierungen der Frauenbewegungen
weiter vorangetrieben. Die Entwicklung internationaler feministischer Netzwerke gibt Anlass zu Hoffnung. Sie bedeutet,
dass auch internationale Ziele und Strategien entwickelt und feministische Kommunikationen und
Handlungsmöglichkeiten ebenso globalisiert werden müssen. Feministinnen verweisen darauf, dass Gegen-Macht im
Mahlwerk der neoliberalen Globalisierung ebenso notwendig wird wie Mit-Macht.
Internationale Bewegungen für eine friedliche Welt,
gegen den neoliberalen Freihandel und die zunehmende Ausbeutung sind Beispiele, dass sich Widerstand formiert. In diesen
Bewegungen und Kampagnen sind besonders viele Frauen aktiv. Ihre Proteste richten sich gegen die Zerstörung der
Umwelt, gegen die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft, gegen die soziale und geschlechterspezifische
Ungleichheit, und gegen die ungleiche Verteilung von Ressourcen, Wissen und Macht. Ihre Hoffnungen richten sich darauf,
dass diese Ungleichheiten überwunden werden und Alternativen zur kapitalistisch-patriarchalischen Wirtschaftsweise
(z.B. Genossenschaften) geschaffen werden.
Gisela Notz
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