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Bis hinein in Gewerkschaften und WASG/Linkspartei wurde die Forderung des NRW-Ministerpräsidenten Rüttgers
(CDU), die Bezugdauer des Arbeitslosengelds I an die Dauer der Beitragszahlung zur Arbeitslosenversicherung zu koppeln, in der Öffentlichkeit als
Forderung nach einer Verbesserung der Absicherung älterer Erwerbsloser verstanden und damit gründlich missverstanden.
Tatsächlich handelt es sich um einen alten Hut. Bereits 2003 forderte der CDU-Parteitag: "Die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld soll
sich daher nach der Dauer der Versicherungszeit richten." Das "Daher" bezog sich auf die vorhergehende Forderung nach genereller
Kürzung der ALG-Bezugsdauer, die mit Hartz IV auch punktgenau umgesetzt wurde.
Das CDU-Wahlprogramm 2005 konkretisierte "Versicherungszeit" als Dauer der
eigenen Beitragsentrichtung und hob die "aufkommensneutrale" Finanzierung hervor: Mehrausgaben für langjährige Beitragszahler
sollen demnach durch Kürzungen an anderer Stelle gedeckt werden, sei es bei der Bezugsdauer der kürzer Versicherten oder bei den Mitteln zur
Arbeitsförderung.
Der Sprengsatz für die Arbeitslosenversicherung liegt indes weniger in solch
unsozialen Finanzierungsvorschlägen als in der Forderung selbst. Die Arbeitslosenversicherung gründet auf dem Gedanken der solidarischen
Risikoabsicherung: die Beschäftigten zahlen für die Erwerbslosen.
Die Koppelung der Bezugsdauer an die Dauer der Beitragszahlung würde dagegen die
Arbeitslosenversicherung in Richtung eines individuellen "Vorsorgesparens" nach dem Beispiel der Lebensversicherung verändern. Damit
schlüge die neoliberale Abrissbirne in die letzten noch stehenden Wände jener Ruine, die von der einstigen sozialstaatlichen
Arbeitslosenversicherung übrig blieb.
Allerdings war der Rüttgers-Vorstoß hervorragend inszeniert. Zunächst
wurde absichtsvoll der Eindruck erweckt, es gehe um eine generelle Verbesserung für die Älteren, deren Risiko, langzeit- und dauererwerbslos zu
werden, außerordentlich hoch ist. Eine gezielte Irreführung. Denn nicht um eine Verbesserung für Ältere ging es, sondern um eine
"Honorierung" kontinuierlicher Beitragszahlung, die nur denen zugute käme, die keine durch Familienpausen oder Erwerbslosigkeit
unterbrochenen Versicherungsverläufe haben. Auch ein Großteil der Älteren, Frauen zumal, würde mit Rüttgers verlieren.
Der ließ seinen Arbeitsminister, den CDA-Vorsitzenden Laumann, im Vorfeld des
Dresdener CDU-Parteitags einen "Richtungsstreit" in der CDU ausrufen. Damit wurde das Medienthema erst recht hochgezogen und der
öffentliche Eindruck verstärkt, hier trete ein "Sozialflügel" gegen die Neoliberalen an.
Dass Laumann junge Erwerbslose als "Säufer" diffamierte und sich so in
rechtspopulistischer Manier als Vorkämpfer der fleißigen Anständigen gegen nichtsnutzige Schmarotzer gerierte, tat der Wirkung kaum
Abbruch. Tatsächlich konnte die Rüttgers-Forderung, selbst Baustein des neoliberalen Systemwechsels, nie einen Richtungsstreit auslösen
was der Verlauf des Parteitags dann auch bestätigte.
Mehr noch: Münteferings schroffe Ablehnung von Rüttgers gab Anlass zur
öffentlichen Suggestion, Rüttgers überhole nicht nur den Wirtschaftsflügel der Union, sondern auch die SPD von "links".
Die SPD verteidigt den erbärmlichen Status quo einschließlich der den Arbeitgebern versprochenen Beitragssenkung in alle
Richtungen. In der Sache abwegig, hat die Behauptung vom "linken" Rüttgers in der öffentlichen Wahrnehmung seines Vorstoßes
eine gewisse Berechtigung.
Wollen die 80%, die in Umfragen Rüttgers zustimmten, dass die
Arbeitslosenversicherung nach dem Prinzip der Privatvorsorge umgebaut wird, oder wollen sie, dass etwa erwerbslose Eltern rascher als ältere
Langzeitzahler in Hartz IV abrutschen? Richtig ist das Gegenteil.
Die Mehrheit der Bevölkerung verlangt angesichts des Schreckens von Hartz IV nach
mehr Solidarität bei der Arbeitslosenversicherung. Sie weiß dabei um die hohen Arbeitsmarktrisiken der Älteren. Ihr Gerechtigkeitsempfinden
ist bei den Älteren, in der Spätphase eines arbeitsreichen Lebens, besonders verletzt. Diese Mehrheit wollte den Rüttgers-Vorstoß als
soziale Verbesserung verstehen und wurde von den Meinungsmachern darin bestärkt, statt aufgeklärt. Ein Grund mehr für die
Mehrheit, selbst öffentlich kundzutun, was sie will, statt es sich über die Medien sagen zu lassen.
Erst nach dem CDU-Parteitag legte der DGB ein Alternativkonzept vor, das dem
dringendsten Verlangen der Mehrheit tatsächlich entsprechen könnte. Über den Systemwechsel, auf den Rüttgers zielte, war indes kaum
etwas zu hören.
Derweil stellte die Linksfraktion in ihrem ALG-I-Antrag ganz im Sinne der CDU fest:
"Das Äquivalenzprinzip wer länger einzahlt, hat auch einen längeren Anspruch muss gestärkt werden." Da
sieht man künftigen Debatten auch um die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung mit noch größerer Sorge entgegen.
Aktuell versucht die Union, den Alternativvorschlag des DGB in Rückenwind
für ihre Forderung an die SPD umzumünzen, in Verhandlungen über das ALG I einzutreten. Es verhandelten dann die Verteidiger des
erbärmlichen Status quo mit den Privatisierern der Arbeitslosenversicherung. Ein Grund mehr, unsere Gewerkschaften zur Eile beim Widerstand zu
mahnen.
Daniel Kreutz
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