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Während die angedrohte Schließung des VW-Werks in Brüssel für einen Aufschrei in Belgien sorgt, ist
in Wolfsburg anderer Trubel angesagt: Pischetsrieder räumt sein Büro, Piech privatisiert im Handstreich den VW-Konzern, in Werkshallen und
Konstruktionsbüros wird über Sonderbonus und Begünstigungen für Betriebsräte diskutiert. Arbeitszeitverlängerung und
Lohnkürzung werden fast geräuschlos umgesetzt, in Luxemburg kanzelt der EuGH wahrscheinlich auftragsgemäß das VW-Gesetz ab.
Der Kampf um (Einfluss bei) VW wird auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Mitteln geführt. Was bedeuten unter diesen
Umständen Solidarität und praktizierte Mitbestimmung?
Das ist vielleicht das eigentümlichste und auch das lehrreichste an den aktuellen
Vorgängen bei VW: Es gibt ein Vetorecht von 20% der Stimmen bei den Aktionärsversammlungen entsprechend dem Stimmenanteil des
Landes Niedersachsen, und eine strukturelle Mehrheit von "Arbeitnehmervertretern" und Landesministern im Aufsichtsrat. Aber das nutzt gar nichts,
wenn sich alle zusammen Gewerkschafter, Betriebsräte, Landespolitiker und Kapitalvertreter auf eine anzustrebende Profitrate von 9%
geeinigt haben. Davon ist das Unternehmen ausweislich der offiziellen Bilanz so weit entfernt, dass Personalabbau, Werksschließungen,
Arbeitszeitverlängerung und Leistungsverdichtung zweckmäßige Maßnahmen sind, um die zur Notwendigkeit deklarierte Profitrate
dann doch nicht zu erreichen. Das Laufen im Hamsterrad geht unlustig weiter.
Ausgangspunkt aller Überlegungen müssen die Überkapazitäten in
der Weltautomobilindustrie wie bei VW sein. Unverdrossen beschließt der Aufsichtsrat weitere Investitionen und Kapazitäten in Russland und
Indien. Ebenso verteilt der Aufsichtsrat Mitte November die Produktion auf die einzelnen Standorte und holt eben alle Golfproduktion nach Deutschland.
Manager und Betriebsräte feiern und loben gleichermaßen jährliche Produktivitätssteigerungen von 10% in den inländischen
Werken und freuen sich über gefüllte Auftragsbücher.
Die andere Seite der Medaille, die vielen Kolleginnen und Kollegen Angst macht, ist der
Personlabbau in den Werken der VW AG, der weitgehend geräuschlos und "sozialverträglich" über die Bühne geht. Im
Leistungslohnbereich der Golffertigung in Wolfsburg wurde die Belegschaft seit November 2004, als der "Zukunftssicherungsvertrag" geschlossen
wurde, von 19000 Beschäftigten um 3500 auf 15500 Beschäftigte reduziert. Bei einer Verlängerung der Arbeitszeit um vier Stunden pro
Woche für 95000 Beschäftigte in der VW AG, die ab Beginn 2007 voll wirksam werden wird, und bei einer rasant steigenden Produktivität
und Leistungsverdichtung kann man sich leicht ausrechnen, wie sich der Personalabbau noch fortsetzen wird. Bei der jüngsten Betriebsversammlung im
Werk Braunschweig wurde die Verlängerung der Arbeitszeit um vier Stunden damit begründet, dass "Lücken geschlossen werden
(müssen), die entstanden sind, weil uns viele Mitarbeiter verlassen haben". Also: Das Schwerste kommt auf die Belegschaften erst noch zu!
Zu dieser Seite der Medaille gehört auch, dass Beschäftigte aus verschiedenen Standorten auf Initiative der IG Metall zur großen Demo
nach Brüssel gefahren sind, an der der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) mitwirkte. In Brüssel sahen sie sich auch mit diesem
Transparent konfrontiert: IG Metall beweg dich!
In einem Soli-Schreiben der IGM-Vertrauenskörperleitung von VW Braunschweig an
die Brüsseler Kollegen heißt es u.a.:
Keine Entlassungen in Brüssel und anderswo!
Für die langfristige Sicherung aller Arbeitsplätze!
Weiter heißt es im Text: "Wir versichern euch, dass die IG Metall bereits vor
Beginn der Tarifverhandlungen vom VW-Vorstand die Zusage erhielt, dass durch Produktzusagen für die deutschen Standorte und durch Vereinbarungen
über Arbeitszeitverlängerungen in den deutschen Werken kein anderes Werk in Europa oder an einem anderen der weltweiten Standorte geschlossen
wird. Die Erhöhung der Stückzahl in Wolfsburg soll über Volumensteigerungen erreicht werden."
Anschließend wird darauf hingewiesen, dass es ab 2009 genügend Modelle
geben wird, die in Brüssel gefertigt werden könnten. Sicher gut gemeint diese Erklärung, aber eine Antwort auf die Probleme ist das bestimmt
nicht.
Naheliegender ist die Erklärung von Christian Pilichowski von der französischen
Metallgewerkschaft in der CGT: "Die erste Reaktion der Belgier war wohl, anzunehmen oder festzustellen, dass die Deutschen einen Beschluss gefasst
haben, der sie zu den Gewinnern der Affäre macht. Aber das ist, glaube ich, eine irreführende Überlegung, denn es ist die Logik dieses
Systems der Profitjagd, die Verlierer und Gewinner hervorbringt. Und die Beschäftigten sind alle in einem Lager, nämlich derjenigen, die die
Kosten dieser Profitjagd zu tragen haben. In meinen Augen sind die einzigen Gewinner in dieser Affäre die Aktionäre. Deswegen müssen die
Gewerkschaften sich um gemeinsame Mobilisierungen aller betroffenen Beschäftigten bemühen. Und man muss auch an die Arbeiter der Zulieferer
denken, die reihenweise sicherlich ebenfalls die Rechnung werden bezahlen müssen."
Ob die Ankündigung des Wolfsburger Betriebsratsvorsitzenden und Vorsitzenden des
Europäischen Betriebsrats ernst gemeint ist, wenn er mit einer Protestwelle droht, scheint eher unsicher, denn als Aufsichtsratsmitglied hat er vorher den
entsprechenden Anträgen des VW-Vorstands zugestimmt. In der Sitzung des EBR wurden konkrete Restrukturierungspläne für die
europäischen Standorte gefordert, der VW-Vorstand ist aber eine Antwort schuldig geblieben. Daran verwundert nicht nur, dass der EBR
"Restrukturierungspläne" vom Vorstand fordert was erwartet er eigentlich von diesem , sondern auch die Sprachlosigkeit
angesichts des unkooperativen Verhaltens dieses Vorstandes. Beim Abservieren von Pischetsrieder und der Installation von Porsche/Piech als
Großaktionär waren sich "Arbeitnehmervertreter" und Piech noch einig gewesen. Warum eigentlich?
Das Problem der Überkapazitäten wird so nicht aufgelöst. Neben konkreter
und praktischer Solidarität an der es wahrlich mangelt ist es erforderlich, über eine andere Produktion und eine andere
Produktionsweise und über andere Produktionsverhältnisse zu beraten und für diese zu kämpfen. Da nutzt es nichts, über das
gegenwärtig "ungünstige Kräfteverhältnis" zu jammern. Eine hoch organisierte Belegschaft wie die von Volkswagen kann
dieses Kräfteverhältnis erheblich beeinflussen und wenn über nationale Grenzen hinweg gehandelt wird, umso besser! Aber ohne
Konzept (Theorie), gibt es auch keine Solidarität (Praxis).
Stephan Krull
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