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Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Januar 2007, Seite 08

Kampf um Standorte und Beschäftigung bei Volkswagen

Ohne Konzept keine ausreichende Solidarität

Während die angedrohte Schließung des VW-Werks in Brüssel für einen Aufschrei in Belgien sorgt, ist in Wolfsburg anderer Trubel angesagt: Pischetsrieder räumt sein Büro, Piech privatisiert im Handstreich den VW-Konzern, in Werkshallen und Konstruktionsbüros wird über Sonderbonus und Begünstigungen für Betriebsräte diskutiert. Arbeitszeitverlängerung und Lohnkürzung werden fast geräuschlos umgesetzt, in Luxemburg kanzelt der EuGH wahrscheinlich auftragsgemäß das VW-Gesetz ab.

Der Kampf um (Einfluss bei) VW wird auf verschiedenen Ebenen und mit unterschiedlichen Mitteln geführt. Was bedeuten unter diesen Umständen Solidarität und praktizierte Mitbestimmung?
Das ist vielleicht das eigentümlichste und auch das lehrreichste an den aktuellen Vorgängen bei VW: Es gibt ein Vetorecht von 20% der Stimmen bei den Aktionärsversammlungen — entsprechend dem Stimmenanteil des Landes Niedersachsen, und eine strukturelle Mehrheit von "Arbeitnehmervertretern" und Landesministern im Aufsichtsrat. Aber das nutzt gar nichts, wenn sich alle zusammen — Gewerkschafter, Betriebsräte, Landespolitiker und Kapitalvertreter — auf eine anzustrebende Profitrate von 9% geeinigt haben. Davon ist das Unternehmen — ausweislich der offiziellen Bilanz — so weit entfernt, dass Personalabbau, Werksschließungen, Arbeitszeitverlängerung und Leistungsverdichtung zweckmäßige Maßnahmen sind, um die zur Notwendigkeit deklarierte Profitrate dann doch nicht zu erreichen. Das Laufen im Hamsterrad geht unlustig weiter.
Ausgangspunkt aller Überlegungen müssen die Überkapazitäten in der Weltautomobilindustrie wie bei VW sein. Unverdrossen beschließt der Aufsichtsrat weitere Investitionen und Kapazitäten in Russland und Indien. Ebenso verteilt der Aufsichtsrat Mitte November die Produktion auf die einzelnen Standorte— und holt eben alle Golfproduktion nach Deutschland. Manager und Betriebsräte feiern und loben gleichermaßen jährliche Produktivitätssteigerungen von 10% in den inländischen Werken und freuen sich über gefüllte Auftragsbücher.
Die andere Seite der Medaille, die vielen Kolleginnen und Kollegen Angst macht, ist der Personlabbau in den Werken der VW AG, der weitgehend geräuschlos und "sozialverträglich" über die Bühne geht. Im Leistungslohnbereich der Golffertigung in Wolfsburg wurde die Belegschaft seit November 2004, als der "Zukunftssicherungsvertrag" geschlossen wurde, von 19000 Beschäftigten um 3500 auf 15500 Beschäftigte reduziert. Bei einer Verlängerung der Arbeitszeit um vier Stunden pro Woche für 95000 Beschäftigte in der VW AG, die ab Beginn 2007 voll wirksam werden wird, und bei einer rasant steigenden Produktivität und Leistungsverdichtung kann man sich leicht ausrechnen, wie sich der Personalabbau noch fortsetzen wird. Bei der jüngsten Betriebsversammlung im Werk Braunschweig wurde die Verlängerung der Arbeitszeit um vier Stunden damit begründet, dass "Lücken geschlossen werden (müssen), die entstanden sind, weil uns viele Mitarbeiter verlassen haben". Also: Das Schwerste kommt auf die Belegschaften erst noch zu!

Die IG Metall

Zu dieser Seite der Medaille gehört auch, dass Beschäftigte aus verschiedenen Standorten auf Initiative der IG Metall zur großen Demo nach Brüssel gefahren sind, an der der Europäische Metallgewerkschaftsbund (EMB) mitwirkte. In Brüssel sahen sie sich auch mit diesem Transparent konfrontiert: IG Metall — beweg dich!
In einem Soli-Schreiben der IGM-Vertrauenskörperleitung von VW Braunschweig an die Brüsseler Kollegen heißt es u.a.:
Keine Entlassungen in Brüssel und anderswo!
Für die langfristige Sicherung aller Arbeitsplätze!
Weiter heißt es im Text: "Wir versichern euch, dass die IG Metall bereits vor Beginn der Tarifverhandlungen vom VW-Vorstand die Zusage erhielt, dass durch Produktzusagen für die deutschen Standorte und durch Vereinbarungen über Arbeitszeitverlängerungen in den deutschen Werken kein anderes Werk in Europa oder an einem anderen der weltweiten Standorte geschlossen wird. Die Erhöhung der Stückzahl in Wolfsburg soll über Volumensteigerungen erreicht werden."
Anschließend wird darauf hingewiesen, dass es ab 2009 genügend Modelle geben wird, die in Brüssel gefertigt werden könnten. Sicher gut gemeint diese Erklärung, aber eine Antwort auf die Probleme ist das bestimmt nicht.
Naheliegender ist die Erklärung von Christian Pilichowski von der französischen Metallgewerkschaft in der CGT: "Die erste Reaktion der Belgier war wohl, anzunehmen oder festzustellen, dass die Deutschen einen Beschluss gefasst haben, der sie zu den Gewinnern der Affäre macht. Aber das ist, glaube ich, eine irreführende Überlegung, denn es ist die Logik dieses Systems der Profitjagd, die Verlierer und Gewinner hervorbringt. Und die Beschäftigten sind alle in einem Lager, nämlich derjenigen, die die Kosten dieser Profitjagd zu tragen haben. In meinen Augen sind die einzigen Gewinner in dieser Affäre die Aktionäre. Deswegen müssen die Gewerkschaften sich um gemeinsame Mobilisierungen aller betroffenen Beschäftigten bemühen. Und man muss auch an die Arbeiter der Zulieferer denken, die reihenweise sicherlich ebenfalls die Rechnung werden bezahlen müssen."
Ob die Ankündigung des Wolfsburger Betriebsratsvorsitzenden und Vorsitzenden des Europäischen Betriebsrats ernst gemeint ist, wenn er mit einer Protestwelle droht, scheint eher unsicher, denn als Aufsichtsratsmitglied hat er vorher den entsprechenden Anträgen des VW-Vorstands zugestimmt. In der Sitzung des EBR wurden konkrete Restrukturierungspläne für die europäischen Standorte gefordert, der VW-Vorstand ist aber eine Antwort schuldig geblieben. Daran verwundert nicht nur, dass der EBR "Restrukturierungspläne" vom Vorstand fordert — was erwartet er eigentlich von diesem —, sondern auch die Sprachlosigkeit angesichts des unkooperativen Verhaltens dieses Vorstandes. Beim Abservieren von Pischetsrieder und der Installation von Porsche/Piech als Großaktionär waren sich "Arbeitnehmervertreter" und Piech noch einig gewesen. Warum eigentlich?
Das Problem der Überkapazitäten wird so nicht aufgelöst. Neben konkreter und praktischer Solidarität — an der es wahrlich mangelt — ist es erforderlich, über eine andere Produktion und eine andere Produktionsweise und über andere Produktionsverhältnisse zu beraten und für diese zu kämpfen. Da nutzt es nichts, über das gegenwärtig "ungünstige Kräfteverhältnis" zu jammern. Eine hoch organisierte Belegschaft wie die von Volkswagen kann dieses Kräfteverhältnis erheblich beeinflussen — und wenn über nationale Grenzen hinweg gehandelt wird, umso besser! Aber ohne Konzept (Theorie), gibt es auch keine Solidarität (Praxis).

Stephan Krull

Der Autor war bis April 2006 Mitglied des Betriebsrats bei VW in Wolfsburg.



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