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Mitte Dezember ist in Brüssel zum zweiten Mal der Worst-EU-Lobby-Award, der Preis für das schlimmste und undemokratischste EU-Lobbying,
vergeben worden. Mehr als 18000 Stimmen sammelte die Abstimmung im Internet. Sie war geprägt durch die öffentliche Debatte über den
Klimawandel.
Der erste Preis ging an den Ölmulti ExxonMobil, in Deutschland bekannt unter den
Markennamen Esso und Mobil. Anfang dieser Woche hatte der Konzern noch in einigen überregionalen Zeitungen eine Anzeige geschaltet und behauptet,
er arbeite daran, "die Emissionen für 6,5 Milliarden Menschen zu reduzieren". Dennoch stimmten knapp die Hälfte der Internet-Nutzer
für den Konzern, der das Kyoto-Protokoll seit jeher ablehnt und in diesem Sinne auch die US-Regierung beeinflusst. Im vergangenen Jahr hat der
Ölmulti mindestens 39 Denkfabriken mit knapp 3 Millionen Dollar unterstützt. Sie versuchen, den Klimawandel in Frage zu stellen, um damit
effektive und für die Industrie kostspielige Maßnahmen zu verhindern. Allein in Brüssel sind es drei Denkfabriken, an die das
Geld des Ölmultis fließt.
Auch wenn die EU-Staaten das Kyoto-Protokoll unterzeichnet haben, ist dieses Geld von
ExxonMobil gut angelegt, denn an wirkungsvollen Maßnahmen zur tatsächlichen Begrenzung des CO2-Ausstoßes fehlt es bis heute auch in
Europa trotz zahlreicher rhetorischer Zugeständnisse. Den Einfluss der bezahlten Expertisen von ExxonMobil, die den Klimawandel in Frage
stellen, unterschätzen auch renommierte Wissenschaftsinstitute nicht.
Die manipulative Tätigkeit des Konzerns hat sogar im Herbst dieses Jahres die Royal
Society auf den Plan gerufen, das angesehenste Wissenschaftsgremium in Großbritannien. Es forderte den Konzern auf, die Finanzierung für
Denkfabriken einzustellen, die vorsätzlich wissenschaftliche Erkenntnisse über den Klimawandel leugneten.
ExxonMobil ist ein typisches Beispiel für die Versuche, EU-Politik im Sinne
großer Wirtschaftsunternehmen zu beeinflussen. Der Europäische Binnenmarkt, der auf sinkende Unternehmensteuern, Privatisierung und den
Abbau sozialer und ökologischer Standards abzielt, ist ein weiteres Projekt der Konzerne. Dahinter stand und steht der European Roundtable of
Industrialists, kurz ERT. Ihm gehören die Vorstände von 45 europäischen Konzernen an, darunter Bayer, Siemens, DaimlerChrysler,
Lufthansa, der Energieriese E.on, die Deutsche Telekom, der Softwaremulti SAP und Thyssenkrupp.
In einem Fernsehinterview von 1993 gab der damalige Kommissionspräsident Jacques
Delors zu, dass der ERT eine der Haupttriebkräfte hinter dem Binnenmarkt war. Ob Osterweiterung, Wettbewerbs- oder Handelspolitik in allen
Bereichen nutzt der ERT seinen privilegierten Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern in Brüssel, um die Interessen der Konzerne
durchzusetzen. Zum Teil sind diese Zugänge über sog. Beratergremien regelrecht institutionalisiert.
Für das Lobbying aber braucht es immer zwei. Den Einflüsterer und seinen
Handlanger. Deshalb meinten die Veranstalter des Worst EU Lobby Award, darunter die Kölner Organisation Lobbycontrol, die Umweltschützer
von Friends of the Earth, Corporate Europe Observatory aus Amsterdam und Spinwatch aus London, dass es Zeit sei für einen zweiten Preis, den
"Worst Privileged Access Award" in der EU.
In dieser zweiten Kategorie erhielt die Generaldirektion Binnenmarkt der EU-Kommission
den ersten Preis. Sie hatte bei den Anhörungen für ein europäisches Patentgesetz einer von Microsoft unterstützen Lobbygruppe
Vorzugsbehandlung gewährt. Vor allem beim Thema Softwarepatente treffen seit mehreren Jahren zwei Interessen aufeinander: Die der Open-source-
Bewegung, die auf die Informationsfreiheit und den offenen Zugang zu den Softwareprogrammierungen setzen, und auf der anderen Seite die der großen
Konzerne in der Branche, die sich über das Patentrecht den kommerziellen Zugriff auf alle Programme sichern wollen.
Auf den dritten Platz in dieser Kategorie hat es EU-Kommissar Günter Verheugen
geschafft. Nicht wegen der Nacktfotos, mit deren Hilfe die politischen Konkurrenten von der CDU/CSU den EU-Kommissar schassen wollen, um dann selbst
einen Kommissar zu stellen. "Bei uns geht es nicht um Postengeschacher, sondern um politische Inhalte", sagt Uli Müller von der Initiative
Lobbycontrol. Der Sozialdemokrat Verheugen sei nämlich bekannt dafür, Expertenkommissionen einseitig im Konzerninteresse zu besetzen und
habe Gewerkschaften und NGOs sogar bei der neuen EU-Politik zur "Sozialen Verantwortung von Unternehmen" (eng. Corporate Social
Responsiblity, kurz CSR) ganz ausgebootet.
Aus dem Programm zur "Sozialen Verantwortung der Unternehmen" mache
Verheugen eines zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Firmen. Deren größter Dachverband, die
europäische Unternehmervereinigung UNICE, schrieb denn auch in einem Brief, dass "ein paar Passagen zwar als verbale Zugeständnisse an
andere Stakeholder verstanden werden müssen, die jedoch keine echten Folgen haben werden".
Man müsse sich nicht wundern, dass immer mehr Europäer der politischen
Entscheidungsfindung misstrauen, hieß es in einer Rede der Preisverleiher in Brüssel, denn "fast routinemäßig handeln Politiker
und die großen Unternehmen gegen das öffentliche Interesse". Eine "gesunde Demokratie" hingegen brauche die Beteiligung von
vielen gesellschaftlichen Interessengruppen und Transparenz.
Aber davon ist Brüssel weit entfernt. Dort gibt es nicht einmal ein Lobbyregister, und
erst recht nicht müssen die Lobbyorganisationen ihre Geldgeber bekannt geben.
Gerhard Klas
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