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"Heute sind wir alle Keynesianer". Das Zitat könnte von einem WASG-Funktionär stammen. Allerdings war es der damalige US-
Präsident Richard Nixon, der in den 70er Jahren dieses Bekenntnis ablegte. Wie es zum Wechsel vom Keynesianismus zum Neoliberalismus im
gedanklichen Mainstream und praktischen Handeln der herrschenden Eliten kam, untersuchte Elmar Altvater Anfang Dezember bei einem Vortrag vor dem
SALZ-Bildungskreis in Dortmund, einer Bildungsgemeinschaft in und um die WASG.
Das Zitat macht klar: Vom Neoliberalismus reden jetzt alle, vor wenigen Jahren war er noch
unbekannt. Er ist kaum hinterfragte Leitlinie der wirtschaftspolitischen Theorie und Praxis. "Das geht bis in die SPD hinein, bis in die Grünen und
selbst bis in die PDS", so stellte Altvater bedauernd fest. Altvater, emeritierter Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, hatte in
seinem Vortrag vor knapp 40 Anwesenden einen Bogen geschlagen von den ersten Überlegungen während des Zweiten Weltkriegs über die
"Freiburger Schule" in der Bundesrepublik bis hin zur Kritik von links an der so Altvater "sozialdarwinistischen"
Theorie.
Die Prinzipien des Neoliberalismus lassen sich in wenigen Sätzen zusammenfassen:
Ungestörte private Eigentumsrechte seien die Voraussetzung für eine freiheitliche Wirtschaft, die wiederum die Voraussetzung für ein
freiheitliches politisches System seien. Eine stabile Geldwährung, eine freie Markpreisbildung und ein freies Unternehmertum seien deren Grundlagen.
Nur durch Deregulierung und Privatisierung funktioniere der freie Wettbewerb, der wiederum Bedingung für einen größtmöglichen
Wohlstand sei.
Obschon damals siehe Eingangszitat "alle Keynesianer" waren,
so waren es doch genau diese 70er Jahre, in denen der Neoliberalismus den Keynesianismus als praktizierte Wirtschaftslehre verdrängte. Den
Gründen dafür ging Altvater auf die Spur: Der Zusammenbruch des System von Bretton Woods mit der Liberalisierung der Finanzmärkte, die
Freigabe der Ölpreise und die Ablösung der Vollbeschäftigungsphase durch eine strukturelle Arbeitslosigkeit kombiniert "mit einer
geschickten Kampagne, die bereits unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg begann". Und die bis jetzt fortgesetzt wird. Die "Initiative Neue Soziale
Marktwirtschaft" gehört dazu genauso wie "Du bist Deutschland" oder die Bertelsmann Stiftung.
Mittlerweile wird das Credo des Neoliberalismus radikal durchgesetzt: "Die
Privatisierung von allem, was nicht niet- und nagelfest ist." Aufgekündigt sind gesellschaftliche Solidarität und das Bemühen,
Ungleichheiten möglichst gering zu halten. Es genüge, die offiziell von der Bundesregierung gerade verkündeten Armutszahlen zur Kenntnis
zu nehmen: Knapp 11 Millionen Menschen sind arm. Das sind beinahe 13% der Bevölkerung, im Osten sogar 17%. Die Kehrseite: im Laufe der letzten
Jahre ist die Zahl der Superreichen weltweit um über 800% gestiegen.
Dringend sei es geboten, "die Trümmerwüste, die der Neoliberalismus
hinterlässt, aufzuräumen". Deshalb müssten im Sinne einer "ökonomischen und ökologischen
Alphabetisierung" Alternativen zum "Einheitsdenken" aufgezeigt werden. Dabei reiche die nationale Ebene schon lange nicht mehr aus. Die
Eingriffe müssten global geschehen. Notwendig sei eine weltweite Kampagne gegen den Neoliberalismus.
In diesem Sinne setzt Altvater Hoffnungen auf die linken Regierungen in Südamerika
genauso wie auf die Europäischen oder die Weltsozialforen. Klar sei auf jeden Fall: "Die Fortsetzung des Neoliberalismus führt in ein
Desaster." Mit Blick auf den Irak warnte Altvater, dass wir hiervon bereits einen "Vorgeschmack" bekommen.
An die Bruchstelle zwischen Keynesianismus und Neoliberalismus in den 70er Jahren
knüpfte Manuel Kellner in seinem Koreferat an. Für Kellner, Politikwissenschaftler und pädagogischer Leiter von SALZ, ist es ein Fehler,
wenn Linke und Gewerkschafter noch heute das keynesianische Konzept vertreten, "das auf den Bedingungen der Vergangenheit aufgebaut ist".
Der Keynesianismus habe in den Nachkriegsjahrzehnten einen gewissen Sinn gehabt,
allerdings unter Bedingungen der Vollbeschäftigung, des Nachkriegsbooms und der Systemkonfrontation mit der DDR und der Sowjetunion. "Heute
aber haben wir ein stagnativ-depressives Klima und der tendenzielle Fall der Profitrate hat sich durchgesetzt." Deshalb würde das Kapital "in
spekulative und andere unproduktive Bereiche flüchten" und hätte sich von der Sozialpartnerschaft abgewandt: "Die Situation hat sich
also grundlegend geändert und die Gewerkschaften haben bislang keine Antwort darauf gefunden und arbeiten nach wie vor mit Bruchstücken einer
alten Strategie."
Sein Vorschlag an die Linke ist, sich die "Strategie der
Übergangsforderungen", wie sie beispielsweise Rosa Luxemburg aber auch die junge Kommunistische Internationale vor ihrer Stalinisierung
angewandt haben, in Erinnerung zu rufen. Diese knüpft mit konkreten Forderungen an den Tagesinteressen der Beschäftigten und Erwerbslosen an,
um sie zur Massenaktion zur ermutigen. Die Strategie der Übergangsforderungen setzt darauf, "dass nur durch massenhafte Aktionen und die
Selbstorganisation von unten eine große Zahl von Menschen sehr rasch lernen und ihr politisches Bewusstsein ändern und zur Einsicht kommen
können, dass die Macht des Kapitals gebrochen werden muss".
Uwe Bitzel
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