SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 04

Reform der Krankenversicherung

Vieles bleibt ungeklärt

von JOCHEN GESTER

In einem Artikel der Süddeutschen Zeitung zu den aktuell von der Großen Koalition vereinbarten Reformen im Gesundheitswesen heißt es: "Erstmals in der Geschichte Deutschlands gibt es eine Pflicht für alle, sich gegen Krankheit zu versichern." Es ist zunächst das Zusammenfallen von Krankenversicherung und Pflicht, was irritiert. Gewöhnlich veranlagte Menschen müssen zur Möglichkeit, im Krankheitsfall ärztlich versorgt zu werden, ja nicht gezwungen werden. Sie werden das doch eher als ein Recht begreifen, um dessen Nutzung sie sich aus freien Stücken bemühen. Die Betonung der Pflicht in Bezug auf das Gesetzesvorhaben erklärt sich wohl vor allem daraus, dass es insbesondere den privaten Versicherungen das Privileg beschneidet, sich aus der Finanzierung des allgemeinen Gesundheitswesens herauszustehlen und sich elegant der Mitglieder zu entledigen, an denen sie zu wenig verdienen können.
Ein Recht auf Krankenversicherung für alle Menschen, die im Lande darauf angewiesen sind, ist dadurch jedoch noch nicht entstanden, auch wenn die SPD-Bundestagsfraktion die Medienpräsentation ihrer Website zu den jetzt vereinbarten Reformen mit den starken Worten beginnt: "Alle Bürgerinnen und Bürger haben künftig die Möglichkeit, sich für den Krankheitsfall abzusichern."
Im Mittelpunkt der "Versicherungspflicht" steht die Gruppe der Selbstständigen, die irgendwann den Versicherungsschutz verloren haben, weil sie die Beiträge nicht mehr bezahlen konnten. Ihre Zahl wird auf 200000—300000 Menschen geschätzt. So Versicherte haben bisher monatlich Beiträge zahlen müssen, die weit über 500 Euro betrugen. Dieser Betrag wurde jetzt auf den sog. Basistarif von 500 Euro begrenzt. Wer der Krankenkasse nachweisen kann, dass er als Selbstständiger diesen Basistarif nicht bezahlen kann, kann den Beitrag auf 250 Euro halbieren. Bei Nachweis von Sozialbedürftigkeit ist es möglich, diesen Betrag nochmals um die Hälfte zu reduzierten. Die 125 Euro werden dann vom Sozialamt übernommen. Dies ist sicher ein Fortschritt gegenüber der Gesetzeslage vor der Reform.
Doch sind auch durch diese Zutrittserleichterungen nicht alle sicher im Boot. So schreibt der Berliner Tagesspiegel zurecht: "Vollkommen ungeklärt ist allerdings noch, was passiert, wenn derart pflichtversicherte Privatpatienten ihre Beiträge nicht zahlen, allerdings auch eine Sozialhilfebedürftigkeit nicht nachweisen können."
Das betrifft in erster Linie die in den Großstädten bedeutende Gruppe von Migranten, die keinen Anspruch auf Transferleistungen nach ALG I oder ALG II haben und sich notgedrungen als Selbstständige über Wasser halten müssen. Ihr Lebensstandard liegt nicht selten unterhalb des Hartz-IV-Niveaus. Nicht berücksichtigt sind auch die etwa 800000 in der Illegalität lebenden Flüchtlinge und sowie die geduldeten Asylbewerber, die nur ein eingeschränktes Recht auf gesundheitliche Versorgung haben.

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