SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 07

Tod in der Zelle

Behörden verschleppen Ermittlungen im Fall Oury Jalloh

Am 7.Januar 2005 verbrannte der aus Sierra Leone geflüchtete Afrikaner Oury Jalloh in einer Zelle eines Dessauer Polizeireviers. Der wirkliche Tathergang ist bis heute nicht aufgeklärt.
Die erste offizielle Version lautete: Der Asylbewerber habe zuerst eine Frau sexuell belästigt und sich nach seiner Verhaftung im Polizeigewahrsam das Leben genommen.
Eine sexuelle Belästigung hat es jedoch nicht gegeben und der angebliche Selbstmord lässt sich durch die vorliegenden Beweismittel wenig erhärten. Es dauerte fünf Wochen, bis die Staatsanwaltschaft eine Erklärung abgeben konnte. Die offizielle Version des Tathergangs war — wie die Journalistin Constanze von Bullion von der Süddeutschen Zeitung zu Recht anmerkte — eine Geschichte, "die haarsträubender kaum sein könnte". Oury Jalloh, der laut Gutachten über 2 Promille im Blut und auch andere Rauschmittel konsumiert hatte, soll sich danach mit einem Feuerzeug selbst in Brand gesteckt haben.
Dank der Recherchen der Beratungsstelle für rechtsextreme Gewalt in Dessau, der Initiative eines PDS-Abgeordneten und der mutigen Aussage einer Polizistin gegen den verantwortlichen Dienstgruppenleiter kamen dann nach und nach jedoch andere Fakten auf den Tisch. Der inhaftierte Oury Jalloh war in der Zelle an Händen und Füßen gefesselt. Das legt die Frage nahe, wie ein so "fixierter" Gefangener sich selbst und die schwer entflammbare Matratze anzünden kann und wie das Feuerzeug trotz Leibesvisitation überhaupt in die Zelle kam.
Dieser offene Widerspruch führte zur Aufnahme von Ermittlungen gegen den Beamten, der das übersehen haben musste. Ermittelt wurde auch gegen den Dienststellenleiter, nachdem bekannt wurde, dass dieser die Gegensprechanlage, mit der Jalloh abgehört werden konnte, mehrfach abgestellt hatte. "Diese störenden Geräusche, dieses Grölen und Machen, das hat eigentlich gar nicht aufgehört", erklärte der Reviervorgesetzte. Er habe Ruhe beim Telefonieren gebraucht. In die Zelle ging er erst, als der Alarm im Lüftungsschacht laut aufheulte und ihn die belastende Polizistin dazu gedrängt hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der Raum nur im Kriechen betretbar und Oury Jalloh völlig verbrannt.
Das Ermittlungsinteresse der Staatsanwaltschaft ist nur beschämend zu nennen. Sie hat vier Monate für eine Anklage gebraucht. Dann lagen die Akten fünf Monate beim Gericht. Ein Brandsachverständiger durfte acht Monate nachermitteln. Dieses Gutachten ruhte drei Monate, dann wurde ein weiteres beantragt. Beide sind belastend und nicht entlastend. Die Anwälte der Familie konnte auch bei der zweiten erstrittenen Obduktion nachweisen, dass dem Inhaftierten das Nasenbein gebrochen wurde und dass er Verletzungen am Mittelohr hatte.
Nach 20 Monaten ist immer noch kein Hauptverfahren eröffnet. 17 Monate dauerte es, bis die Anwälte erreichen konnten, dass die Mutter als Nebenklägerin zugelassen wurde. Auch die politisch Verantwortlichen der Stadt unterstreichen den Eindruck fehlenden Interesse und mangelnder Verantwortungsbereitschaft. Der Dessauer Oberbürgermeister Otto erklärte auf Nachfragen der Medien, was er in der Sache unternehmen wolle: "Mir ist nicht danach", "Ich weiß da so wenig", und: "Soll ich mich mit der Polizei auch noch anlegen?" Die Behörden sind nicht so ratlos. Alle, die vor Ort die offizielle Selbstmordthese bezweifeln, müssen mit Anklagen wegen Verleumdung der Polizei rechnen. Einem Freund Oury Jallohs und Mitbegründer der Dessauer Flüchtlingsinitiative wurde die Gewerbelizenz entzogen und der Laden geschlossen. Auch die Ausländerbehörde hat versucht, durch Einschüchterungen Flüchtlinge vor der Teilnahme an Protestaktionen abzuhalten.
In der Zwischenzeit waren Flüchtlingsinitiativen und ihre Unterstützer nicht untätig. Ein Filmteam der ARD drehte den Film "Tod in der Zelle — Warum starb Oury Jalloh?" und erhielt dafür den Deutschen Menschenrechtsfilmpreis. Sowohl in Dessau als auch in Berlin fanden zum 2.Jahrestag des Todes von Oury Jalloh eine Pressekonferenz und eine Demonstration statt. Im Mittelpunkt der Demonstrationen, an der sich in Berlin etwa 500 Menschen beteiligte, standen die Forderungen nach vollständiger Aufklärung der Todesumstände, Verurteilung der Verantwortlichen und Entschädigung für die Opfer rassistischer Staatsgewalt.

Jochen Gester

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