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SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 08

Der Sturz des Sonnenkönigs

Die Parteienverdrossenheit erreicht die CSU

Zum 30.September dieses Jahres hat Stoiber den Verzicht auf alle Ämter in der CSU angekündigt. Ob die Führungskrise in der Partei damit beigelegt ist, ist fraglich.

Edmund Stoiber diente sich in der CSU zunächst als Büroleiter von Franz Josef Strauß und sodann als Generalsekretär und Innenminister hoch. Mehrfach fiel "das blonde Fallbeil" durch üble Attacken gegen den politischen Gegner, besonders SPD und Grüne, auf. Es ist mehr als erstaunlich, dass er die Amigo-Affären, die Strauß‘ Nachfolger Max Streibl 1993 das Amt kosteten, unbeschadet überstehen konnte — sicher hat auch er vom System Strauß und dessen geringem Unterscheidungsvermögen zwischen öffentlich und privat profitiert, ohne jedoch der barocken Lebenslust des großen Vorsitzenden zu frönen. Es gelang ihm aber, sich von den Amigos abzusetzen und sich das Image eines Saubermanns aufzubauen. Den Kontrahenten Theo Waigel biss er weg, indem er ihm klarmachte, dass im katholischen Bayern eine sündige Beziehung zur früheren Spitzenskiläuferin Irene Epple für einen noch Verheirateten ein Ding der Unmöglichkeit sei; Waigel wurde auf den Parteivorsitz abgedrängt und blieb in Bonn.
Nach dem wahlpolitischen Scheitern des Ablegers DSU in Sachsen und Thüringen, mit dem man eine Ausweitung der CSU nach Osten getestet hatte, versuchte Stoiber das Gewicht der CSU im Bund wieder durch vorsichtige Kritik an Kohls Politik zu stärken.
In Bayern führte Stoiber die in erheblichem Maße mit Strauß verbundene Politik einer "konservativen Modernisierung" unter den Bedingungen der 90er Jahre weiter. In der Nachkriegszeit hatte Bayern nicht nur vom Zuzug wichtiger Firmen aufgrund der deutschen Teilung profitiert — z.B. kam Siemens aus Berlin, sondern auch von der Unterstützung des Bundes für den strukturschwachen Osten des Bundeslands. Vor allem schaffte es der Bundesminister Strauß, einen Gutteil der Rüstungsindustrien (Diehl, MBB) in Bayern anzusiedeln.
Zahlreiche staatliche Hilfen für den relativ breiten Mittelstand sorgten für dessen Anbindung an die CSU, die seit 1957, seit sie die Konkurrentin Bayernpartei mit kriminellen Methoden zerstört hat, mit absoluter Mehrheit regiert. In den Wahlkämpfen verkaufte die CSU "das schöne Bayern" mit seinen Bergen und Tälern als ihr ureigenstes Werk und drosch im Übrigen auf den politischen Gegner ein.

Privatisierung

Die Stoiber‘sche Variante der kapitalistischen Modernisierung bestand vor allem im Verscherbeln des (erheblichen) Tafelsilbers des Freistaats Bayern, um mit dem Geld eine Initiative zur Schaffung und Ansiedlung neuer Industrien und Forschungsanstalten sowie von Gewerbeansiedlungen voranzutreiben. Immer wieder wurde von "Cluster-Bildung" geredet; staatliche Initiativen sollten massive private Investitionen auslösen, was in Teilen auch Erfolge zeitigte.
Die Verkäufe waren in diesem Sinne notwendig geworden, weil Bayern seit 1987 zum Nettozahler avanciert war und weil der Anschluss der früheren DDR einen erheblichen Transfer von Mitteln in Richtung Osten erforderte. Tatsächlich gelang es dieser Politik — nach der Devise "Laptop und Lederhose" — neue industrielle Bereiche vor allem in der Informationstechnologie, Ernährung, Biotechnologie sowie Luft- und Raumfahrt aufzubauen.
Seit geraumer Zeit zeigten sich jedoch auch die Schattenseiten der Stoiber‘schen Politik immer deutlicher: Die aus den beiden bayrischen Großbanken gebildete HypoVereinsbank hatte sich im Osten verspekuliert und wurde schließlich von der italienischen Unocredit gefressen; die abgespaltenen Teile des Siemens-Konzerns dümpelten nach kurzen Höhenflügen lange vor sich hin (Infineon) oder mussten Insolvenz anmelden (BenQ); der von der Staatsregierung vermittelte Verkauf der AEG in Nürnberg an Electrolux führte binnen weniger Jahre trotz eines heftigen, langen und beinahe beispielhaften Arbeitskampfs der Belegschaft zur Verlagerung der Produktion nach Polen. Die verschiedenen "Rettungsversuche" des Stahlwerks in Sulzbach-Rosenberg endeten ebenfalls mit der Schließung.
Die Krise der mittel- und oberfränkischen Industrien führte in den 90er Jahren zu kommunalen Wahlsiegen der CSU in dieser protestantischen, traditionell eher der SPD zuneigenden Region, doch spätestens 2002 holte sich die SPD die Rathäuser wieder zurück — auch wegen der Stoiber‘schen Sparpolitik, die auf Teufel komm raus 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen wollte. Somit ist es kein Zufall, dass die Fürther Landrätin Gabriele Pauli innerparteilich zur Führerin der Opposition gegen Stoiber werden konnte. Gerade in Franken und Schwaben sind die Zerwürfnisse in der Partei am heftigsten.

Höhenflug und Abstieg

Die Fähigkeit der CSU, immer gleichzeitig die Rolle einer Regierung und einer Opposition zu spielen, hatte in der Zeit von Kohl gelitten. Als aber 1998 Rot-Grün in Bonn/Berlin an die Regierung kam, funktionierten die Beißreflexe wieder. Generalsekretär Markus Söder trommelte wie weiland Strauß und Konsorten in den 70er Jahren zur Hebung der Moral des "mir san mir" gegen die preußische "sozialistische Gefahr". Und Stoiber wetterte gegen die undankbaren Ossis, die das Kreuz an der falschen Stelle machten.
Diese "Geschlossenheit" brachte der CSU neuerlich die absolute Mehrheit. Bei den Bundestagswahlen 2002 verkündete Stoiber ausgehend von seinem um 10% gesteigerten Ergebnis in Bayern etwas vorschnell den Wahlsieg der Union. Mit der knappen Niederlage begann auch sein Abstieg, obwohl er die Bayernwahl 2003 noch einmal haushoch gewann und die CSU-Fraktion im Landtag seither über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt.
Als sich bei den vorgezogenen Wahlen 2005 abzeichnete, dass alle Regierungsvarianten außer der Großen Koalition ausschieden, verkündete Stoiber, in Berlin für die Gesundung des "Sanierungsfalls Deutschland" als Superminister antreten zu wollen. Zu diesem Zweck sollte ein auf ihn zugeschnittenes Ministerium für Wirtschaft und Finanzen geschaffen werden. In München stritten sich Beckstein und Huber bereits über die Nachfolge im Amt des Ministerpräsidenten.
Doch an Allerheiligen 2005 trat Stoiber unvermittelt den Rückzug an — wohl weil er merkte, in Berlin in die Kabinettsdisziplin eingebunden zu werden und die Oppositionsrolle nicht mehr spielen zu können. Offiziell begründete er seinen Rückzug mit der Führungskrise der SPD nach dem Rücktritt Münteferings vom Amt des Parteivorsitzenden. Es ereignete sich der klassische Fall eines Politikers, der als Löwe sprang und als Bettvorleger landete.
Seine Flucht aus Berlin führte in Bayern zu Kopfschütteln und Unverständnis. Die allgemeine Bitternis brachte der geschasste Justizminister Sauter auf den Punkt: "Du hast den Bayern ihren Stolz genommen und dem Freistaat seinen Nimbus." Stoibers Getreue Michael Glos und Peter Ramsauer dürfen die CSU seither in Berlin vertreten und müssen die aus München eintreffenden Pfeile aushalten.

Patzer

In den letzten Jahren gerierte sich Stoiber — zur Freude der Kabarettisten — wie ein rastlos Getriebener, dem es nicht schnell genug gehen konnte, halbgare Programme in die Tat umzusetzen. In der Bildungspolitik, die in Bayern schon immer durch strenge Selektion gekennzeichnet war, wurde ohne gescheite Debatte und Vorbereitung und ohne ausreichende finanzielle Ausstattung das G8, das achtjährige Gymnasium, eingeführt. Die Umsetzung vor Ort ist nun häufig durch Improvisation und Chaos gekennzeichnet. Die Vorbereitung erfolgte zu Anfang noch unter der früheren Kultusministerin und Strauß-Tochter Monika Hohlmeier, die ihre Gegner im Münchner Ortsverein hatte bespitzeln lassen und schließlich trotz Stoiber‘scher Protektion zurücktreten musste.
Die von Stoiber und Müntefering ausgehandelte "Föderalismusreform", die zu einer "Entflechtung" der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern und zu einer deutlichen Reduzierung der zustimmungspflichtigen Gesetze führen sollte, führte eher zu noch mehr Kompetenzwirrwarr und Kleinstaaterei. Und in der Gesundheitsreform, bei der Stoiber ja selbst mit am Verhandlungstisch saß, wurde der jeweilige Kompromiss — kaum dass Edi wieder zurück in München war —, teilweise mit lächerlichen Argumenten in Frage gestellt. So wollte Bayern (wie auch Baden-Württemberg) höchstens 100 Millionen Euro an Transferleistungen aufbringen, als gäbe es in der Sozialversicherung das Regionalprinzip, als wären die Krankenkassen regional und nicht bundesstaatlich organisiert.
Alle diese Zickzacks zeugen von einer programmatischen Krise. Die Granden der CSU sind sich weder darüber einig, welche Rolle in Zeiten neoliberaler Politik der Staat zukünftig spielen kann und soll, noch wissen sie so recht, wie sie das nach der deutschen Einheit geringere Gewicht Bayerns im Bund einbringen können. Beckstein und Huber sind kaum jünger als Stoiber und werden nur eine Übergangslösung sein können. Die CSU-Führung wird vom Gespenst heimgesucht, dass die Zeit der absoluten Mehrheit in Bayern zu Ende und damit die fast vollständige Kontrolle über den Staatsapparat verloren gehen könnte. Vielleicht führt die allgemeine Unzufriedenheit sogar zu einem Volksbegehren und einer vorzeitigen Auflösung des Landtags.

Paul Kleiser

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