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Faschistische Bestrebungen wurden im Nachkriegsdeutschland lange Zeit von
überzeugten Altnazis getragen und erschienen entsprechend antiquiert. Mittlerweile hat sich jedoch
eine große rechtsradikale Jugendkultur herausgebildet, die in ihrem Auftreten und ihrer ideologischen
Ausrichtung wesentlich moderner wirkt und deshalb ungleich gefährlicher ist. In Ostdeutschland hat sie
einen Massenanhang, der einer besonderen Erklärung bedarf.
Diese Jugendkultur verbindet ideologisch
soziale Phänomene mit menschenverachtenden und neofaschistischen Erklärungsansätzen. Dabei
greift sie auf weit verbreitete Ressentiments gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen sowie
tradierte bzw. über die bürgerlichen Medien transportierte Denkmuster zurück. Ihr Lifestyle
und ihre Dresscodes wirken bis weit in breite Bevölkerung hinein und sind in manchen Gegenden
Deutschlands die dominante Jugendkultur. Aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfahrungen,
bedingt durch die deutsche Teilung und politische Wende in der DDR, ist es sinnvoll, die Entwicklung der
radikalen Rechten in den alten und neuen Bundesländern getrennt zu betrachten.
Die DDR-Gesellschaft war ein Zwischending, ein instabiles Etwas zwischen Kapitalismus und Sozialismus:
es gab zwar die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und soziale Errungenschaften, mit der
Herrschaft der Partei hatte sich jedoch eine neue privilegierte herrschende Klasse herausgebildet, die
über einen umfangreichen Macht- und Repressionsapparat verfügte und gewisse Privilegien genoss.
Die Partei pflegte einen autoritären Führungsstil und hielt preußische Tugenden hoch. Der
Personenkult um Stalin, aber auch um die DDR Regierungschefs, trug Elemente eines Führerkults.
Ein Teil der Führungsspitze der Partei
bestand aus überzeugten Antifaschisten, die während des NS im Zuchthaus saßen, Widerstand
leisteten oder ins Ausland fliehen mussten. Mit dem Import des Gesellschaftssystems aus der Sowjetunion
gelangten sie an die Macht und erklärten die DDR zum antifaschistischen Staat. An der
gesellschaftlichen Basis hingegen fand eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus nicht statt. Dafür
avancierte der nunmehr historisch gewordene Kampf der Stalinisten gegen den Faschismus zu einem der
Legitimationsgründe der Herrschaft der Partei über die Bevölkerung.
Als Staatsideologie musste der
Antifaschismus für viele Missstände und Fehlentscheidungen herhalten. Bestes Beispiel
hierfür ist die Bezeichnung der Berliner Mauer als "antifaschistischer Schutzwall". Die SED
band zudem sehr schnell ehemalige NSDAP-Mitglieder, nicht selten Kader, in den Staatsapparat ein, um deren
fachliches Wissen für sich nutzbar zu machen. Unter Androhung, sie gerichtlich zu belangen, wurden
ehemalige NS-Funktionäre zur Mitarbeit in der Stasi gewonnen. Offiziell hingegen wurden immer wieder
hohe NS-Funktionäre medienwirksam verurteilt. Der staatliche Antifaschismus diente zur Legitimierung
und Sicherung der Herrschaft der Partei er wurde damit auch zur Zielscheibe von Bestrebungen, die
gegen die Herrschaft der Partei gerichtet waren.
Die in den 80er Jahren zunehmende
Unzufriedenheit über die schlechte Versorgungslage wurde zu einer Keimzelle von
Ausländerfeindlichkeit, verschiedene Jugendsubkulturen entstanden. Zunächst waren diese ein
instinktives Aufbegehren gegen die vorgezeichneten Biografien und Lebensumstände der DDR, noch waren
sie nicht explizit politisch. Neben Punks und Skins gab es New Romantics, Hausbesetzer, Hooligans und
Grufties. Ab Mitte der 1980er Jahre politisierte sich die Szene und differenzierte sich infolgedessen aus.
Der rechtsradikal orientierte Teil der Skinheadszene besaß zu diesem Zeitpunkt bereits klare,
politisch motivierte Feindbilder. Es gab nun Jugendliche, die sich explizit der Jugendsubkultur der
"Faschos" zugehörig fühlten. Die "Faschos" orientierten sich an einer Art NS-
Ästhetik. Sie trugen lange Mäntel und Seitenscheitel. Auch in der Hooliganszene zeigten sich
erste rechtsradikale Tendenzen.
Der Staat negierte offiziell die Existenz
jedweder rechtsradikaler Bestrebung. Wo dies nicht möglich war, wurde sie als von Westdeutschland
geschürt und gesteuert heruntergespielt, die eigenen neofaschistisches Gedankengut produzierenden
Verhältnisse hingegen wurden nicht in Frage gestellt. 1988 stellte das Zentralinstitut für
Jugendforschung in Leipzig, das regelmäßig junge DDR-Bürger zu ihren politischen
Einstellungen befragte, signifikante Veränderungen in den Lebensanschauungen und politischen
Positionen der Jugendlichen fest eine massive Zunahme neofaschistischen Gedankenguts, die als
Krisensymptome und Vorboten der politischen Wende gewertet werden konnten. Die Studie wurde zu DDR-Zeiten
unter Verschluss gehalten.
Die so hoffnungsvoll begonnene politische Wende in der DDR endete für einen Großteil der
Bürgerinnen und Bürger der DDR letztlich als eine Kolonialisierung, die mit einer sowohl
wirtschaftlichen wie auch politischen und moralischen Enteignung einherging.
Die Arbeitslosigkeit traf viele Ostdeutsche
sehr hart. Zum einen hatte es in der DDR praktisch keine Erwerbslosigkeit gegeben, so dass sie nun mit
einer ihnen gänzlich unbekannten Situation konfrontiert waren, für die sie emotional nicht
gerüstet waren. Zum anderen war die Erwerbsarbeit in der DDR noch stärker sinn- und
identitätsstiftend als in westlichen Gesellschaften. Die volkseigenen Betriebe wurden von den
Belegschaften aller Herrschaft der Partei zum Trotz vielfach als "ihre" Betriebe und
"ihre" Wirkungsstätte betrachtet, die man jetzt entwertet und abgewickelt sah.
Das alles ging einher mit einem Wandel der
Lebenswirklichkeit, der sich so schnell vollzog, dass man praktisch von einem Austausch der Lebensumwelt
sprechen muss. Der sich immer zu seiner Umwelt und innerhalb dieser verhaltende Mensch vermag sich in einer
anderen Umwelt nicht mehr zu orientieren. Er wird in seiner Persönlichkeit in Frage gestellt, da
plötzlich andere Fähigkeiten von Bedeutung sind, Eigenschaften anders bewertet werden und seine
Stellung in der Gemeinschaft eine andere, ihm unbekannte ist. Er besitzt mit einem Mal einen anderen
sozialen Status, seine sozioemotionalen Beziehungen verändern sich, seine gewiss geglaubten
Lebensleistungen werden in Zweifel gezogen, und gesteckte Ziele lösen sich in Luft auf. Die Folge
waren massive Verunsicherung und Ängste bei der Mehrheit der Bevölkerung.
Die rechtsradikale Jugendbewegung bot sich
in mehrerlei Hinsicht als neue Autorität an. Sie gab sich antikapitalistisch und war zugleich
antikommunistisch. Dadurch grenzte sie sich ebenso von der DDR-Führung ab, die man eben gestürzt
hatte, als auch von den neuen Machthabern, die das Land kolonialisiert hatten. Gestärkt vom
"Deutschland, einig Vaterland"-Hype der Wiedervereinigung bot sie die Möglichkeit, sich mit
der Nation zu identifizieren bzw. die "altbewährte" Identifikation mit der Nation
aufrechtzuerhalten.
Auf diese Weise stiftete sie Orientierung
in den Wirren der Wendezeit und polierte das Selbstwertgefühl ihrer Anhängerschaft auf. Das
Agieren in der Gruppe verlieh dem Einzelnen ein Gefühl von Macht und Stärke. Die Szene war nicht
neu, sondern hatte sich kontinuierlich entwickelt, sodass sie nun sichtbar als "Alternative" zu
Verfügung stand. Mit der Wende explodierte die Zahl der rechtsradikalen Jugendlichen. Rasch erhielten
sie nun Schützenhilfe von Altnazis aus Westdeutschland, die in den neuen Bundesländern ihre
Chance witterten und dort Rekrutierungsversuche starteten.
Zum Aufschwung der radikalen Rechten als
Jugendszene trugen aber auch zwei gesellschaftliche Entwicklungen bei, die sich erst mit der Wende
auftaten. Zum einen verschwanden die Freizeitangebote des DDR-Staats für Jugendliche, während
sich noch keine konsumorientierte Angebotsstruktur entwickelt hatte. Die Neonaziszene organisierte Konzerte
und Fußballturniere und "besetzte" die wenigen existenten Jugendeinrichtungen wie z.B.
Jugendklubs. Der Musik kam und kommt ein besonderes Gewicht für die Indoktrination Jugendlicher mit
neofaschistischem Gedankengut zu, da sie rechtsradikale Inhalte leicht verständlich und ansprechend
verpackt transportiert und somit für Jugendliche zugänglich macht. Mit der "Besetzung"
von Jugendklubs entschieden die Neonazis zudem über den Zugang zu den letzten verbliebenen Ressourcen.
Zum anderen brachen die staatlichen Repressionsorgane weg, so dass die radikale Rechte in weiten Teilen
freie Bahn für ihre Aktionen hatte. Die von der radikalen Rechten dominierten Jugendklubs dienten
hierbei als Planungs- und Stützpunkte.
Staatliches Fehlverhalten der
Bundesrepublik heizte die neonazi-freundliche Stimmung noch an. Die vorherrschende akzeptierende
Jugendarbeit tolerierte die Dominanz der Rechten in Jugendklubs und begründete sie mit
sozialpädagogischen Notwendigkeiten. Es gab polizeiliches Fehlverhalten, und die Asyldebatte wurde
just zu einem Zeitpunkt geführt, wo die schlimmsten Übergriffe von Neonazis auf Ausländer zu
verzeichnen waren.
Heute ist die radikale Rechte in vielen Gegenden Ostdeutschlands eine große oder gar die dominante
Jugendkultur, wobei sie Elemente anderer Jugendkulturen übernommen und mit rechtsradikalen Inhalten
belegt hat. So umfasst rechtsradikale Musik zur Zeit eine große Bandbreite an Musikstilen. Das
typische Nazi-Skin-Outfit ist selten geworden, dafür tragen junge Neonazis unverfänglich
scheinende Kleidung der mittlerweile verbotenen Marke Thor Steinar oder Kleidung wie andere Jugendliche
auch. So können sie ihre Inhalte besser an normale Bürgerinnen und Bürger herantragen.
Häufig vereinnahmen sie linke Dresscodes für sich oder ändern linke Symbole in
Neonazisymbole ab.
Die rechte Szene hat mittlerweile gute
Verbindungen zur NPD, welche die rechte Jugendbewegung als Wählerschaft und Rekrutierungsfeld entdeckt
hat und tatkräftig unterstützt. Die Kader der rechten Parteien sind oft vor Ort verankert .
In der Wissenschaft und in den offiziellen
Medien machen sich totalitarismustheoretische Betrachtungen über die "zwei deutschen
Diktaturen" breit. Der Nationalsozialismus wird mit der DDR gleichgesetzt, die in der Erinnerung
vieler Ostdeutscher noch sehr lebendig und nicht nur negativ bewertet wird. Gewollt oder ungewollt wird er
dadurch verharmlost. Die unlängst durchgeführten "Sozialreformen" haben der rechten
Szene neue Anhänger zugetrieben, was sich unmittelbar in den Ergebnissen verschiedener Landtagswahlen
niedergeschlagen hat. Dabei hat ein Gutteil der Wählerinnen und Wähler die NPD allerdings nicht
aus rechtsextremistischen Motiven gewählt, sondern um die etablierten Parteien abzustrafen.
Anja Köhler, Berlin
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