SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 09

Rechtsradikale Jugendkultur in Ostdeutschland

Überzeugend gegen alles

Faschistische Bestrebungen wurden im Nachkriegsdeutschland lange Zeit von überzeugten Altnazis getragen und erschienen entsprechend antiquiert. Mittlerweile hat sich jedoch eine große rechtsradikale Jugendkultur herausgebildet, die in ihrem Auftreten und ihrer ideologischen Ausrichtung wesentlich moderner wirkt und deshalb ungleich gefährlicher ist. In Ostdeutschland hat sie einen Massenanhang, der einer besonderen Erklärung bedarf.
Diese Jugendkultur verbindet ideologisch soziale Phänomene mit menschenverachtenden und neofaschistischen Erklärungsansätzen. Dabei greift sie auf weit verbreitete Ressentiments gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen sowie tradierte bzw. über die bürgerlichen Medien transportierte Denkmuster zurück. Ihr Lifestyle und ihre Dresscodes wirken bis weit in breite Bevölkerung hinein und sind in manchen Gegenden Deutschlands die dominante Jugendkultur. Aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Erfahrungen, bedingt durch die deutsche Teilung und politische Wende in der DDR, ist es sinnvoll, die Entwicklung der radikalen Rechten in den alten und neuen Bundesländern getrennt zu betrachten.

Neofaschistische Bestrebungen in der DDR

Die DDR-Gesellschaft war ein Zwischending, ein instabiles Etwas zwischen Kapitalismus und Sozialismus: es gab zwar die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und soziale Errungenschaften, mit der Herrschaft der Partei hatte sich jedoch eine neue privilegierte herrschende Klasse herausgebildet, die über einen umfangreichen Macht- und Repressionsapparat verfügte und gewisse Privilegien genoss. Die Partei pflegte einen autoritären Führungsstil und hielt preußische Tugenden hoch. Der Personenkult um Stalin, aber auch um die DDR — Regierungschefs, trug Elemente eines Führerkults.
Ein Teil der Führungsspitze der Partei bestand aus überzeugten Antifaschisten, die während des NS im Zuchthaus saßen, Widerstand leisteten oder ins Ausland fliehen mussten. Mit dem Import des Gesellschaftssystems aus der Sowjetunion gelangten sie an die Macht und erklärten die DDR zum antifaschistischen Staat. An der gesellschaftlichen Basis hingegen fand eine Aufarbeitung des Nationalsozialismus nicht statt. Dafür avancierte der nunmehr historisch gewordene Kampf der Stalinisten gegen den Faschismus zu einem der Legitimationsgründe der Herrschaft der Partei über die Bevölkerung.
Als Staatsideologie musste der Antifaschismus für viele Missstände und Fehlentscheidungen herhalten. Bestes Beispiel hierfür ist die Bezeichnung der Berliner Mauer als "antifaschistischer Schutzwall". Die SED band zudem sehr schnell ehemalige NSDAP-Mitglieder, nicht selten Kader, in den Staatsapparat ein, um deren fachliches Wissen für sich nutzbar zu machen. Unter Androhung, sie gerichtlich zu belangen, wurden ehemalige NS-Funktionäre zur Mitarbeit in der Stasi gewonnen. Offiziell hingegen wurden immer wieder hohe NS-Funktionäre medienwirksam verurteilt. Der staatliche Antifaschismus diente zur Legitimierung und Sicherung der Herrschaft der Partei— er wurde damit auch zur Zielscheibe von Bestrebungen, die gegen die Herrschaft der Partei gerichtet waren.
Die in den 80er Jahren zunehmende Unzufriedenheit über die schlechte Versorgungslage wurde zu einer Keimzelle von Ausländerfeindlichkeit, verschiedene Jugendsubkulturen entstanden. Zunächst waren diese ein instinktives Aufbegehren gegen die vorgezeichneten Biografien und Lebensumstände der DDR, noch waren sie nicht explizit politisch. Neben Punks und Skins gab es New Romantics, Hausbesetzer, Hooligans und Grufties. Ab Mitte der 1980er Jahre politisierte sich die Szene und differenzierte sich infolgedessen aus. Der rechtsradikal orientierte Teil der Skinheadszene besaß zu diesem Zeitpunkt bereits klare, politisch motivierte Feindbilder. Es gab nun Jugendliche, die sich explizit der Jugendsubkultur der "Faschos" zugehörig fühlten. Die "Faschos" orientierten sich an einer Art NS- Ästhetik. Sie trugen lange Mäntel und Seitenscheitel. Auch in der Hooliganszene zeigten sich erste rechtsradikale Tendenzen.
Der Staat negierte offiziell die Existenz jedweder rechtsradikaler Bestrebung. Wo dies nicht möglich war, wurde sie als von Westdeutschland geschürt und gesteuert heruntergespielt, die eigenen neofaschistisches Gedankengut produzierenden Verhältnisse hingegen wurden nicht in Frage gestellt. 1988 stellte das Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig, das regelmäßig junge DDR-Bürger zu ihren politischen Einstellungen befragte, signifikante Veränderungen in den Lebensanschauungen und politischen Positionen der Jugendlichen fest — eine massive Zunahme neofaschistischen Gedankenguts, die als Krisensymptome und Vorboten der politischen Wende gewertet werden konnten. Die Studie wurde zu DDR-Zeiten unter Verschluss gehalten.

Die Wendezeit

Die so hoffnungsvoll begonnene politische Wende in der DDR endete für einen Großteil der Bürgerinnen und Bürger der DDR letztlich als eine Kolonialisierung, die mit einer sowohl wirtschaftlichen wie auch politischen und moralischen Enteignung einherging.
Die Arbeitslosigkeit traf viele Ostdeutsche sehr hart. Zum einen hatte es in der DDR praktisch keine Erwerbslosigkeit gegeben, so dass sie nun mit einer ihnen gänzlich unbekannten Situation konfrontiert waren, für die sie emotional nicht gerüstet waren. Zum anderen war die Erwerbsarbeit in der DDR noch stärker sinn- und identitätsstiftend als in westlichen Gesellschaften. Die volkseigenen Betriebe wurden von den Belegschaften aller Herrschaft der Partei zum Trotz vielfach als "ihre" Betriebe und "ihre" Wirkungsstätte betrachtet, die man jetzt entwertet und abgewickelt sah.
Das alles ging einher mit einem Wandel der Lebenswirklichkeit, der sich so schnell vollzog, dass man praktisch von einem Austausch der Lebensumwelt sprechen muss. Der sich immer zu seiner Umwelt und innerhalb dieser verhaltende Mensch vermag sich in einer anderen Umwelt nicht mehr zu orientieren. Er wird in seiner Persönlichkeit in Frage gestellt, da plötzlich andere Fähigkeiten von Bedeutung sind, Eigenschaften anders bewertet werden und seine Stellung in der Gemeinschaft eine andere, ihm unbekannte ist. Er besitzt mit einem Mal einen anderen sozialen Status, seine sozioemotionalen Beziehungen verändern sich, seine gewiss geglaubten Lebensleistungen werden in Zweifel gezogen, und gesteckte Ziele lösen sich in Luft auf. Die Folge waren massive Verunsicherung und Ängste bei der Mehrheit der Bevölkerung.
Die rechtsradikale Jugendbewegung bot sich in mehrerlei Hinsicht als neue Autorität an. Sie gab sich antikapitalistisch und war zugleich antikommunistisch. Dadurch grenzte sie sich ebenso von der DDR-Führung ab, die man eben gestürzt hatte, als auch von den neuen Machthabern, die das Land kolonialisiert hatten. Gestärkt vom "Deutschland, einig Vaterland"-Hype der Wiedervereinigung bot sie die Möglichkeit, sich mit der Nation zu identifizieren bzw. die "altbewährte" Identifikation mit der Nation aufrechtzuerhalten.
Auf diese Weise stiftete sie Orientierung in den Wirren der Wendezeit und polierte das Selbstwertgefühl ihrer Anhängerschaft auf. Das Agieren in der Gruppe verlieh dem Einzelnen ein Gefühl von Macht und Stärke. Die Szene war nicht neu, sondern hatte sich kontinuierlich entwickelt, sodass sie nun sichtbar als "Alternative" zu Verfügung stand. Mit der Wende explodierte die Zahl der rechtsradikalen Jugendlichen. Rasch erhielten sie nun Schützenhilfe von Altnazis aus Westdeutschland, die in den neuen Bundesländern ihre Chance witterten und dort Rekrutierungsversuche starteten.
Zum Aufschwung der radikalen Rechten als Jugendszene trugen aber auch zwei gesellschaftliche Entwicklungen bei, die sich erst mit der Wende auftaten. Zum einen verschwanden die Freizeitangebote des DDR-Staats für Jugendliche, während sich noch keine konsumorientierte Angebotsstruktur entwickelt hatte. Die Neonaziszene organisierte Konzerte und Fußballturniere und "besetzte" die wenigen existenten Jugendeinrichtungen wie z.B. Jugendklubs. Der Musik kam und kommt ein besonderes Gewicht für die Indoktrination Jugendlicher mit neofaschistischem Gedankengut zu, da sie rechtsradikale Inhalte leicht verständlich und ansprechend verpackt transportiert und somit für Jugendliche zugänglich macht. Mit der "Besetzung" von Jugendklubs entschieden die Neonazis zudem über den Zugang zu den letzten verbliebenen Ressourcen. Zum anderen brachen die staatlichen Repressionsorgane weg, so dass die radikale Rechte in weiten Teilen freie Bahn für ihre Aktionen hatte. Die von der radikalen Rechten dominierten Jugendklubs dienten hierbei als Planungs- und Stützpunkte.
Staatliches Fehlverhalten der Bundesrepublik heizte die neonazi-freundliche Stimmung noch an. Die vorherrschende akzeptierende Jugendarbeit tolerierte die Dominanz der Rechten in Jugendklubs und begründete sie mit sozialpädagogischen Notwendigkeiten. Es gab polizeiliches Fehlverhalten, und die Asyldebatte wurde just zu einem Zeitpunkt geführt, wo die schlimmsten Übergriffe von Neonazis auf Ausländer zu verzeichnen waren.

Die gegenwärtige Situation

Heute ist die radikale Rechte in vielen Gegenden Ostdeutschlands eine große oder gar die dominante Jugendkultur, wobei sie Elemente anderer Jugendkulturen übernommen und mit rechtsradikalen Inhalten belegt hat. So umfasst rechtsradikale Musik zur Zeit eine große Bandbreite an Musikstilen. Das typische Nazi-Skin-Outfit ist selten geworden, dafür tragen junge Neonazis unverfänglich scheinende Kleidung der mittlerweile verbotenen Marke Thor Steinar oder Kleidung wie andere Jugendliche auch. So können sie ihre Inhalte besser an normale Bürgerinnen und Bürger herantragen. Häufig vereinnahmen sie linke Dresscodes für sich oder ändern linke Symbole in Neonazisymbole ab.
Die rechte Szene hat mittlerweile gute Verbindungen zur NPD, welche die rechte Jugendbewegung als Wählerschaft und Rekrutierungsfeld entdeckt hat und tatkräftig unterstützt. Die Kader der rechten Parteien sind oft vor Ort verankert .
In der Wissenschaft und in den offiziellen Medien machen sich totalitarismustheoretische Betrachtungen über die "zwei deutschen Diktaturen" breit. Der Nationalsozialismus wird mit der DDR gleichgesetzt, die in der Erinnerung vieler Ostdeutscher noch sehr lebendig und nicht nur negativ bewertet wird. Gewollt oder ungewollt wird er dadurch verharmlost. Die unlängst durchgeführten "Sozialreformen" haben der rechten Szene neue Anhänger zugetrieben, was sich unmittelbar in den Ergebnissen verschiedener Landtagswahlen niedergeschlagen hat. Dabei hat ein Gutteil der Wählerinnen und Wähler die NPD allerdings nicht aus rechtsextremistischen Motiven gewählt, sondern um die etablierten Parteien abzustrafen.

Anja Köhler, Berlin

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