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Am 22.April und 6.Mai dieses Jahres wird in Frankreich ein neuer
Präsident oder dieses Mal vielleicht auch eine Präsidentin gewählt. Im Juni
folgt die Wahl des Parlaments. Was tut die französische Linke jenseits der Sozialdemokratie?
Da war das gesamte Jahr 2006 über sehr
viel von einer gemeinsamen "anti-neoliberalen Einheitskandidatur" die Rede, die es nun nicht
geben wird. Wahrscheinlich hat sie mit anhaltenden Beschwörung viele Hoffnungen und auch Illusionen
geweckt, die nun in einer herben Enttäuschung enden. Letztere wiederum dürften viele
Linkswähler so hat es zumindest ein Vierteljahr vor der Wahl den Anschein dazu bewegen,
doch noch das altbekannte "kleinere Übel" in Gestalt der Sozialdemokratie zu wählen.
Dass eine anti-neoliberale
Bündniskandidatur nicht zustande kam, hängt zunächst vor allem mit dem
"Durchpowern" der Führung der französischen KP seit dem Spätherbst zusammen. Diese
begann letzten Herbst, viele der rund 800 "anti-neoliberalen Einheitskollektive", die im Rahmen
der Kampagne gegen den EU-Verfassungsvertrag vom Mai 2005 entstanden sind, zu majorisieren um die
Kandidatur ihrer Parteichefin Marie-George Buffet (in den Jahren 19972002 Ministerin für Jugend
und Sport) durchzudrücken.
Doch jenseits der Frage, wer nun genau in
welchem Moment welche Verantwortung für das Scheitern der Einheitskandidatur trägt gibt es
objektive Faktoren, die von Anfang an dagegen sprachen, dass dieses Vorhaben aussichtsreich sein konnte.
Denn die längerfristigen Absichten und Interessen, die die beteiligten politischen Kräfte mit der
Perspektive einer eventuellen gemeinsamen Kandidatur verbanden, waren ziemlich unterschiedlich. Die
Mitglieder der Sozialdemokratie und der Grünen im Spektrum des "linken Nein zur EU-
Verfassung" schlossen sich im Laufe der Monate langsam aber sicher wieder ihren
jeweiligen Parteiführungen an. Die Hoffnungen auf tiefere Brüche in diesen beiden Parteien
erfüllten sich nicht.
Blieben die KP auf der einen Seite, die LCR (trotzkistisch, Mitglied der IV. Internationale) auf der
anderen Seite und eine Reihe von parteipolitisch Unorganisierten dazwischen. In diesem Spektrum fuhr man
fort, über eine Bündniskandidatur zu diskutieren. Aber es blieb eine zentrale strategische Frage
im Raum stehen, die nach wie vor offen ist: Wie würde man es, befände man sich in einem
gemeinsamen Wahlbündnis, hinterher mit der Unterstützung einer eventuellen SP-Regierung halten?
Die LCR schließt eine
Unterstützung für eine von Ségolène Royal oder ähnlich orientierten rechten
Sozialdemokraten geführte Regierung aus. Dabei ist sie gewissermaßen ein gebranntes Kind: Als
sich die KP in den Jahren 1987/88 während der Umbrüche im Ostblock zu spalten
schien, bereitete die LCR gemeinsam mit den "Erneuerern" aus der Partei eine gemeinsame
Präsidentschaftskandidatur im Frühjahr 1988 vor. Kandidat wurde der ehemalige KP-Sprecher Pierre
Juquin. Dieser zeigte sich zwar kritisch gegenüber dem stalinistischen Erbe und den innerparteilichen
Strukturen der KP, aber im Laufe der Zeit dafür immer offener für die Schalmeienklänge der
Sozialdemokratie.
Noch im Laufe des Wahlkampfs formulierte er
seine Bedingungen für einen Eintritt in eine sozialistisch geführte Regierung, während die
LCR in den Unterstützungskomitees vor Ort einen Großteil seines Wahlkampfs führte. Zum
Eintritt in die Regierung kam es dann nicht, weil Juquin nur 2% der Stimmen erhielt.
In der jüngsten Vergangenheit hat sich
dieses Szenario wiederholt: Die junge Beisitzerin des Pariser Bürgermeisters, Clémentine Autin,
die 2001 als parteilose Kandidatin auf der KP-Liste in den Stadtrat gewählt wurde, wurde einige Wochen
lang als aussichtsreiche Anwärterin auf die "anti-neoliberale Kandidatur" gehandelt.
Inzwischen hat sie in einem Interview Mitte Januar nicht ausgeschlossen, als Ministerin in eine Regierung
Ségolène Royal einzutreten.
Deshalb pochte die LCR von Anfang an auf
Garantien, dass eine gemeinsam mit anderen Kräften vorbereitete Wahlkandidatur nicht zum
Steigbügel für den Eintritt in ein zukünftiges sozialdemokratisches Kabinett werde. Die KP
hingegen ist zwar auch nicht von den Orientierungen Ségolène Royals begeistert. Aus ihrer Sicht
aber stellt sich die Frage einer künftigen Regierungsbeteiligung notwendig anders. Erstens erwartet
sie sich davon nach wie vor positive Gestaltungsspielräume, trotz einer insgesamt eindeutig negativen
Bilanz ihrer letzten beiden Koalitionsbeteiligungen in den Jahren 19811984 und in den fünf
Jahren bis 2002.
Zweitens aber verspürt sie auch die
strukturelle Notwendigkeit, es sich mit der Sozialdemokratie nicht nachhaltig zu verderben. Im Juni 2007,
sechs Wochen nach der Präsidentenkür, finden die Parlamentswahlen statt, ein halbes Jahr
später werden sämtliche Rathäuser in Frankreich neu besetzt. Für die KP stehen dabei
sowohl das Überleben einer eigenen Parlamentsfraktion als auch die ihr noch verbleibenden
Kommunalregierungen auf dem Spiel.
Ohne ein Minimum an gutem Willen seitens
der Sozialdemokraten, die bisher stets in bestimmten für die Linke gut gewinnbaren
Wahlkreisen zu ihren Gunsten auf eine eigene Kandidatur verzichtet und damit die Wahl von KP-Abgeordneten
oder -Bürgermeistern ermöglicht hatten, wird das aber nicht funktionieren schon gar nicht
mehr in Zeiten, wo die KP (gegenüber der Zeit vor 1989) so geschwächt ist, dass sie strukturell
durch die Sozialdemokratie erpressbar geworden ist. Die KP ist deshalb darauf aus, die ihr bisher zur
Verfügung stehenden institutionellen Spielräume zu behalten.
Dieser Grundkonflikt wurde Monate lang durch Formelkompromisse überdeckt. So hieß es in einer
im Juni 2006 vom "Nationalen Kollektiv für eine anti-neoliberale Kandidatur" verabschiedeten
Grundsatzerklärung, man habe nicht vor, "in eine vom Sozialliberalismus dominierte Regierung
einzutreten". Den Autoren dieser Erklärung war zwar klar, dass der Begriff des
"Sozialliberalismus" den rechten Flügel der Sozialdemokratie bezeichnet, dem sowohl
Ségolène Royal als auch die große Mehrheit der jetzigen Parteiführung angehören.
Doch wird sich, sobald es in der Praxis konkret wird, die Frage stellen, was denn nun der Begriff der
"sozialliberalen Dominanz" bedeutet.
Eine Regierung mit ein paar Ministern aus
den Reihen der KP oder anderer Linkskräfte, und mit einigen keynesianischen Absichtserklärungen
im Programm, wäre sie nicht länger "vom Sozialliberalismus dominiert"? Damit wäre
man bestenfalls wieder bei der Konstellation der Jahre 19972002, in denen die Regierungslinke
bewiesen hat, dass sie absolut nicht in der Lage war, dem zeitgenössischen Kapitalismus ernsthaft
etwas entgegenzusetzen. Bei einer neuerlichen künftigen Regierungsteilnahme würde Ähnliches
herauskommen. Aber in den letzten Monaten beteuerten natürlich alle potenziell Beteiligten eifrig
strikt das Gegenteil.
Die Strategien der KP einerseits, der LCR
und anderer radikaler Linker andererseits klaffen seit längerem auseinander. Dennoch mochte keine
dieser Kräfte dafür verantwortlich sein, dass es letztendlich nicht zu einer
Bündniskandidatur kommen konnte, sie schoben sich daher monatelang gegenseitig in der
Öffentlichkeit den schwarzen Peter zu. Auch wenn es jetzt die KP ist, die "ihren Stiefel
durchgezogen" und im Alleingang ihre Chefin Marie-George Buffet zur "anti-neoliberalen
Kandidatin" ernannt hat, so tragen doch in den Augen weiter Teile der Öffentlichkeit beide
Organisationen zu fast gleichen Teilen die Verantwortung.
Auch muss man feststellen, dass die LCR-
Führung zwar mit ihrer Skepsis gegenüber einer solchen Kandidatur Recht behalten hat
solange strategische Grundsatzfragen ausgeklammert blieben , sich aber dennoch taktisch sehr unklug
angestellt hat. Anstatt den politischen Streit offensiv zu führen, inklusive um die Frage nach Sinn
oder Unsinn einer künftigen Regierungsteilnahme, machte sie auf viele Betrachter den Eindruck einer
ängstlich sich von der "Einheitsdynamik" abgrenzenden und ständig auf dem Rückzug
daraus befindlichen politischen Kraft. Das Scheitern der "Einheitsbemühungen" wird deshalb
auch ihr angelastet, und dies sogar von einem starken Minderheitsflügel (ein Drittel bis 40%) in der
eigenen Organisation.
Auch wenn ihr Kandidat Olivier Besancenot
bisher in den Umfragen relativ gute Popularitätswerte hat und meist vor der KP-Kandidatin Buffet
liegt, geht auch die LCR mit einem Handicap in den bevorstehenden Wahlkampf.
Voraussichtlich wird das Lager der
"anti-neoliberalen" Linken gegenüber einer Sozialdemokratie, die sich nach
fünfjähriger Oppositionskur jetzt als aufstrebende Kraft darstellen und erneut Illusionen wecken
kann, nicht sehr viel Spielraum haben.
Bernhard Schmid, Paris
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