SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 11

Venezuela

Die Vertiefung der Revolution

Am 8.Januar erklärte Hugo Chávez, seine Regierung wolle die Privatisierungen rückgängig machen, die frühere Regierungen durchgeführt hätten: "Wir sind auf dem Weg zum Sozialismus und nichts und niemand kann es verhindern ... Alles, was privatisiert wurde, soll verstaatlicht werden", äußerte Chávez.
Bei der Vereidigung seines neuen Kabinetts kündigte Chávez eine Reihe weitreichender Maßnahmen zur Vertiefung der Revolution an: "Nach einer Phase des Übergangs treten wir nun in eine neue Ära ein, das Nationale Projekt Simón Bolívar von 2007 bis 2021", das den "bolivarianischen Sozialismus" aufbauen will.

Fünf "Triebkräfte" der Revolution
Bei der Zeremonie gelobten die neuen Minister, sich dem Kampf für den Sozialismus zu widmen. Chávez nannte fünf "Triebkräfte" zur Förderung der Revolution: ein Gesetz, dass ihm erlaubt, für eine bestimmte Zeit Gesetze per Dekret zu verabschieden, um Änderungen rasch durchzusetzen; eine Verfassunggebende Versammlung, die die Verfassungsreformen überwacht, die den legalen Rahmen für die geplanten Änderungen liefern sollen; die Entwicklung eines "bolivarianischen" Bildungssystems zur Schaffung sozialistischer Werte; Veränderungen in Venezuelas geografischen Machtstrukturen, um marginalisierten Regionen mehr Mitspracherechte zu geben; und schließlich Schritte zum "Abbau des bürgerlichen Staates", der durch eine Vielzahl von "kommunalen Räten" ersetzt werden soll.
Chávez sprach sich auch dafür aus, dass die Regierung die Kontrolle über die autonome Zentralbank Venezuelas erhält. Die Bank hatte versucht, die Übergabe von Teilen ihrer beträchtlichen Reserven zu verweigern, mit denen Projekte finanziert werden sollten. Chávez nannte die Autonomie der Bank eine "neoliberale Idee".
Der Aufruf zur Wiederverstaatlichung privater Unternehmen sorgte weltweit in den bürgerlichen Medien für Unruhe. "Seit den 70er Jahren hat die Welt derartiges nicht mehr gesehen", beklagte sich die Times, während die Washington Post berichtete: die Finanzmärkte "von Buenos Aires bis Caracas rotieren". Sprecher des Weißen Hauses und des US-Energieministeriums verurteilten die Pläne — kein Wunder, sind doch US-Konzerne diejenigen, die am meisten dabei zu verlieren haben.
Chávez nannte Venezuelas größte Handelsgesellschaft, das Telekommunikationsunternehmen C.A. Nacional Teléfonos de Venezuela (CANTV), das 1991 privatisiert worden war, als eine der zu verstaatlichenden Gesellschaften. Associated Press berichtete, die Deutsche Bank Securities Inc. und Morgan Stanley & Co. gehörten zu den bekannten Namen an der Wall Street mit bedeutenden Anteilen an der CANTV.
Chávez deutete auch an, der Staat könne die Elektrizitätsgesellschaften wieder übernehmen. Das führte zu Spekulationen über eine mögliche Verstaatlichung von Electricidad de Caracas, die sich im Besitz des US- Konzerns AES Corp. befindet. Der Aktienkurse von CANTV und AES sackten nach Chávez‘ Rede in den Keller. Von der ebenfalls angekündigten Verstaatlichung von vier Ölförderprojekten im Orinokogebiet wären große Investitionen der Ölgiganten ExxonMobil, Chevron, Total, CononcoPhilips und Statoil betroffen.
Der Plan, die Privatisierungen wieder rückgängig zu machen, ist nichts weiter als Venezuelas legitime Ausübung des Rechts auf nationale Souveränität. In den 90er Jahren gelangten Tausende staatlicher Unternehmen in den Besitz multinationaler Konzerne — das spielte für die Verarmung von Millionen Menschen auf dem gesamten Kontinent eine unmittelbare Rolle.
Die bürgerlichen Medien verschweigen den Umstand, dass bei den bisherigen Enteignungen im Rahmen des revolutionären Prozesses alle früheren Besitzer voll entschädigt wurden, so wie es die venezolanischen Gesetze vorschreiben. Auch stellen alle Schritte zur Sicherung der Kontrolle der staatlichen Ölgesellschaft PDVSA über die vier Projekte im Orinokogebiet nichts als eine Ausweitung von Gesetzesänderungen aus dem vergangenen Jahr dar, als 32 Projekte in Joint Ventures umgewandelt wurden, an denen die PDVSA die Mehrheit der Anteile hält. Die dadurch entstandenen staatlichen Einnahmen haben eine massive Erhöhung der Sozialausgaben ermöglicht — laut Weltbank ist die Armut im Land binnen eines Jahres um 10% gesunken.
Das hat die bürgerlichen Medien nicht davon abgehalten zu behaupten, Chávez wolle seine persönliche Macht ausbauen. Diese Behauptung ignoriert den grundlegend demokratischen Charakter des Prozesses in Venezuela. Die Präsidentschaftswahlen waren der elfte landesweite Wahlsieg der Pro-Chávez-Kräfte in Folge, und Chávez führte seinen Wahlkampf auf einer ausdrücklich sozialistischen Grundlage. Chávez tut etwas, was bürgerliche Politiker fast nie tun, nämlich genau das, was er versprochen hat.

Demokratisierung

Noch wichtiger sind die im letzten Jahr gebildeten neuen kommunalen Räte: Chávez hat dazu aufgerufen sie auszuweiten und auf ihnen die Grundlagen des neuen revolutionären Staates aufzubauen. Diese Organe werden von Gruppen von 200—400 Familien gewählt und sind wieder abrufbar. Ihr höchstes Entscheidungsorgan ist eine Versammlung der Gemeinde, an der alle Mitglieder teilnehmen können, die über 15 Jahre alt sind — es kontrolliert die Durchführung der Sozialprogramme und andere Beschlüsse, die ihr Gebiet betreffen. Die Regierung hat im Januar angekündigt, sie werde für die Räte in diesem Jahr 5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellen, im vergangenen Jahr waren es 1,5 Milliarden Dollar. Es gibt bereits 13000 Räte und es wird erwartet, dass ihre Zahl bis Ende 2007 auf 21000 steigen wird.
Die Regierung Chávez erweitert die Demokratie und beschränkt sie nicht. In Verbindung mit weiteren Schritten zur Verstaatlichung liefert die Revolution in Venezuela damit eine machtvolle Alternative zum "entfesselten Kapitalismus", der den arbeitenden Menschen in der ganzen Welt aufgezwungen wird.

Stuart Monckton

Aus: Green Left Weekly (Sydney), Nr.694, 17.1.2007 (Übersetzung: Hans-Günter Mull).



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