SoZ - Sozialistische Zeitung |
Hugo Chávez wusste, was er wollte. Als in der Nacht zum 3.Dezember das
Ausmaß seines Sieges bei den Präsidentschaftswahlen deutlich wurde, sang er mit seinen
Anhängern im strömenden Regen die Nationalhymne und rief: "Es lebe der Sozialismus!"
Die Aufgabe, so Chávez, sei jetzt die Vertiefung der sozialistischen Revolution in Venezuela:
"Niemand sollte vor dem Sozialismus Angst haben. Der Sozialismus ist human. Der Sozialismus ist die
Liebe... Venezuela ist rot, durch und durch rot."
Zwei Wochen später skizzierte er den
ersten großen Schritt in diese Richtung die Bildung einer vereinigten politischen Partei,
welche die disfunktionale Koalition aus Parteiapparaten, die ihn bislang unterstützt hat, ersetzen
soll. Er hat auch schon einen Namen dafür: Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV).
Er sprach vor Vertretern der
Basisorganisationen, die im ganzen Land in den Stadtvierteln seinen Wahlkampf organisiert hatten, nach
seinen Angaben sollen es 11000 "Bataillone", 32800 "Züge" und 3,85 Millionen
"Gruppen" gewesen sein. Diese Organisationen, sagte Chávez, sollen sich nicht auflösen,
sondern ihre Mitglieder in ein Register eintragen, das die Basis für die neue Partei der
sozialistischen Revolution Venezuelas bilden soll.
Das ist ein gewaltiger Schritt, den
Revolutionäre innerhalb und außerhalb Venezuelas gewiss unterstützen sollten. Den aktivsten
Unterstützern der bolivarianischen Revolution ist seit langem klar, dass in ihrer Bewegung ein
großes Loch klafft: Zwischen der durchweg inspirierenden Führung von Chávez und der Vielzahl
lokaler Aktivitäten und Formen der Selbstorganisation der Massen fehlt eine effektive, landesweite
Organisation.
Erst neue Gewerkschaften wie die UNT oder Bauernorganisationen wie die Frente Campesino Ezequiel Zamora
haben begonnen, den Mangel an starken, strukturierten sozialen Bewegungen zu beheben. In Venezuela gab es
bislang nichts, was mit der Landlosenbewegung in Brasilien, der Bewegung der Indígenas in Ecuador oder
der Vielfalt an sozialen und Gewerkschaftsbewegungen in Bolivien vergleichbar wäre.
Andererseits sind die Parteien, die den
revolutionären Prozess bislang unterstützt haben Chávez eigene MVR, aber auch
die PPT, Podemos, die Venezolanische KP und einige kleinere Organisationen als Orte demokratischer,
kollektiver politischer Debatte, Entscheidungsfindung und Aktion ausgefallen. Sie haben weitgehend als
bürokratische (und bisweilen korrupte) Apparate zur Verteilung von Posten und Privilegien funktioniert
sehr ähnlich den traditionellen Parteien der Vierten Republik der Vor-Chávez-Ära.
Eine wahrhaft effektive, plurale und
demokratische politische Massenorganisation für Revolutionäre ist daher dringend erforderlich.
Einige von Chávez engsten Beratern haben in den letzten beiden Jahren darüber schon
gesprochen. Kleinere Strömungen der venezolanischen revolutionären Linken haben Versuche
unternommen, ihre Kräfte zusammenzuführen und die Bildung einer revolutionären Massenpartei
anzustoßen.
So lancierten zumeist trotzkistische
Strömungen aus der Moreno-Tradition im Juli 2005 die PRS (Partei der sozialistischen Revolution). Die
Front der sozialistischen Kräfte (FFS) unter Beteiligung von Utopia und der Liga Socialista war ein
anderer Versuch. Doch ohne direkte Unterstützung von Chávez selbst waren sie dazu verurteilt,
Minderheiteninitiativen zu bleiben.
Chávez eigene Bemerkungen
über die Lancierung seiner Initiative sind ermutigend. Er besteht darauf, dass die neue Partei die
demokratischste Partei sein soll, die Venezuela jemals gehabt hat, und von der Basis aus aufgebaut werden
muss. Er lädt alle Strömungen der venezolanischen Linken ein, dabei mitzumachen. Die Partei
dürfe nicht von wahlpolitischen Erwägungen beherrscht werden, auch nicht von den
gegenwärtigen Vorständen der bestehenden Koalitionsparteien.
Chávez hat auch eine Kritik daran
entwickelt, wie die bolschewistische Partei in Russland den Kampf der Ideen für den Sozialismus eher
erstickte als förderte. Er erinnert daran, wie die wunderbare Losung "Alle Macht den
Räten" zur traurigen Realität von "Alle Macht der Partei" degenerierte. All das
weist genau auf die Art von demokratischer und revolutionärer politischer Massenorganisation, die
erforderlich ist.
Aber es gibt auch große Risiken. Nicht
zum ersten Mal werden im Verlauf der bolivarianischen Revolution ernsthafte und notwendige Fragen
darüber laut, wie weit die Realität der neuen Partei den Erwartungen gerecht werden wird.
Zwei Fragen werden gestellt: Wer genau wird zu dieser Partei gehören, wenn die meisten der
bestehenden Parteien sich darin auflösen, wie es jetzt schon geschieht? Und wird es wirklich
möglich sein, mit den Strukturen und der Kultur der Bürokratie, des Paternalismus und der
Korruption zu brechen, die so oft selbst die radikalsten Initiativen der Revolution ausgebremst haben?
Noch vor Chávez genannter Rede
haben führende Mitglieder der PRS und der UNT wie Stalin Pérez Borges ihre Sorge über die
Art und Weise zum Ausdruck gebracht, wie die neue Partei vorbereitet wird. Pérez Borges verwies auf
Kommentare einiger "moderater" Gouverneure und MVR-Würdenträger, wonach "alles
bereits entschieden" sei, sowie auf Verhandlungen hinter geschlossenen Türen zwischen den
Apparaten der wichtigsten Parteien, wie die Posten in der neuen Partei aufzuteilen seien.
Pérez Borges erklärte, Aktivisten
der Gewerkschaften und anderer sozialer Bewegungen, politische Strömungen und Intellektuelle
würden zu einem "Vereinten Forum demokratischer Debatte" aufrufen, auf dem alle
Basiskräfte, die für die Vertiefung der Revolution eintreten, darüber diskutieren
könnten, welche Art von Partei sie aufbauen wollen und wie.
Die zweite Frage überschneidet sich
mit der ersten und verweist auf ein Paradoxon im Herzen des bolivarianischen Prozesses. Chávez
eigene Vorstellung von der neuen Partei mag die beste, radikalste und demokratischste sein aber die
Entscheidung, diesen Schritt zu tun, wurde von ihm getroffen und verkündet, und zwar offensichtlich
von ihm allein.
Nun mag dies der einzige Weg sein, um die
von der MVR und von anderen Parteiestablishments verursachte Blockade zu durchbrechen. Aber er könnte
gerade die radikale sozialistische Demokratie gefährden, die er fördern will. Der prominente
venezolanische Linksintellektuelle Edgardo Lander, einer der Organisatoren des Weltsozialforums in Caracas
im vergangenen Jahr, brachte es folgendermaßen auf den Punkt: "Was ist in Sachen Pluralismus und
Demokratie von einer Partei zu erwarten, deren Gründung auf diese Weise per Dekret verkündet
wird? Ist eine demokratische, plurale, polemische Debatte über die Zukunft des Landes möglich,
wenn grundlegende Entscheidungen schon als Beschlüsse verkündet werden, noch bevor die Debatte
darüber begonnen hat?"
Stuart Piper
Aus: Socialist Resistance (London), Nr.41, Januar 2007
((Übersetzung: Hans-Günter Mull).
Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch.
Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04