SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, Februar 2007, Seite 16

Ökosozialismus oder Barbarei

Umwelt verträgt keinen Markt

Am 2.Dezember fand in London ein Seminar der Monatszeitung Socialist Resistance unter dem Titel "Ökosozialismus oder Barbarei" statt. Der folgende Artikel ist — mit leichten Änderungen — die deutsche Fassung des Einleitungsbeitrags des Autors für diese Veranstaltung.

Als Marxist war man in den letzten Jahrzehnten meist froh, wenn internationale Konferenzen kein Ergebnis hatten — bei der Klimakonferenz in Nairobi (6.—17.11.2006) war dies jedoch anders. Es ist für das Weltklima fünf nach zwölf und wenn nicht sofort etwas geschieht, wird der größte Teil der Pazifikinseln in den nächsten Jahrzehnten geflutet, weite Teile Afrikas werden versteppen — um nur einige Beispiele für die Konsequenzen des Klimawandels zu nennen. Die Grafik 1 zeigt das, was eine Reihe von bürgerlichen Wissenschaftlern die letzten Jahrzehnte zu leugnen versuchte, nämlich den dramatischen Anstieg der Konzentration von Treibhausgasen seit Beginn des Industriezeitalters.
Warum hat das herrschende politisch- ökonomische System zwangsläufig zu dieser katastrophalen Situation geführt? Und warum ist die Behauptung bürgerlicher Politiker wie Umweltschützer unwahr, gerade die aus ökologischer Sicht katastrophale Entwicklung des früheren nichtkapitalistischen Blocks beweise, dass der Marxismus keine Lösungsansätze für die ökologischen Probleme der Welt bietet?
Es seien vier Annäherungen an das Thema versucht.

1. Der Fortschrittsglaube

Als ich im Jahr 1988 von Havanna nach Managua flog — mit einem Versorgungsflug der Kubaner für Nikaragua —, saß ich neben einem jungen Nikaraguaner. Er hatte in der DDR Chemie studiert und flog jetzt zurück, um für die sandinistische Regierung zu arbeiten. Wir kamen ins Gespräch und auf das Klimaproblem und das Ozonloch zu sprechen. Als ich das Problem der halogenierten Kohlenwasserstoffe ansprach und meinte, es sei ein sofortiger Stopp der Produktion insbesondere der gängigen Kühlmittel nötig, widersprach er heftig. Er argumentierte — seiner Meinung nach marxistisch — auf zwei Ebenen. Erstens sei wissenschaftlich noch gar nicht zweifelsfrei bewiesen, dass diese Stoffe für die Zerstörung der Ozonschicht verantwortlich seien — er entwickelte eine Art Verschwörungstheorie: die Industriestaaten wollten andere Länder, die inzwischen eine eigene Produktion aufgebaut hätten, darin behindern. Zweitens zeige die Geschichte, dass die Menschheit immer in der Lage gewesen sei, solche Folgewirkungen durch neue Erfindungen wieder in den Griff zu bekommen.
Das erinnerte mich stark an die Haltung, die ein Onkel von mir, ehemaliger Absolvent der NAPOLA, dann Wehrmachtsoffizier, nach dem Krieg bis zu seiner Verrentung hochrangiger Manager bei IBM Deutschland, mir gegenüber in den 70er Jahren in Bezug auf die Atomkraft vertrat: Durch Auslese werde sich die Menschheit an die Radioaktivität einfach gewöhnen.
Es war eine entsetzliche Diskussion. Man muss wissen, dass im Rahmen eines jeden Studiums in der ehemaligen DDR grundsätzlich auch das Fach Politische Ökonomie belegt werden musste. Damit hätte man eigentlich annehmen müssen, jemand, der sein Studium dort abschloss, hätte eine gewisse Ahnung von dialektischem Denken mitbekommen — insbesondere in Bezug auf das, was Engels in seiner Dialektik der Natur thematisiert hat. Doch weit gefehlt. Was der junge nikaraguanische Genosse vertrat, hatte mit Dialektik nichts zu tun. Es war der gleiche blinde Glaube an den immerwährenden Fortschritt, der auch den kapitalistischen Wissenschaftsdiskurs prägt.
Was steckt dahinter? Zuerst einmal eine vergröberte, vulgärmarxistische Auffassung vom objektiven historischen Fortschritt. Weil Marx von der objektiv fortschrittlichen Funktion des Kapitalismus sprach, davon, dass er geeignet sei, die Produktivkräfte auf ein höheres Niveau zu heben, rannten die nichtkapitalistischen Staaten blind jedem wirklichen oder vermeintlichen Fortschritt der kapitalistischen Welt hinterher — exemplarisch ausgedrückt in Chruschtschows Satz vom "Einholen und Überholen". Vergessen haben diese Möchtegernmarxisten dabei allerdings, dass Marx sehr wohl auch die destruktiven Kräfte dieses kapitalistischen Systems erkannte, kurz ausgedrückt in dem Satz von Rosa Luxemburg: Sozialismus oder Barbarei.
Zweitens aber steckt eine unausgesprochene Einstellung zum Verhältnis von Mensch und Natur dahinter, die mit Marxismus nichts, mit Religion sehr viel zu tun hat. Es ist nichts anderes als der Satz aus 1.Mose 1,28: "Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan..." Es ist die Hybris des Menschen, der meint, allein die Tatsache, dass er in der Lage ist, die Naturgesetze zu erforschen und zu begreifen, versetze ihn auch in die Position, sich sozusagen außerhalb und über die Natur zu stellen.
Das Dritte, was dahintersteckt, ist die Unfähigkeit zu erkennen, dass man Menschen im Bildungsprozess nicht zu eindimensionalen Spezialisten degradieren darf — im konkreten Fall zu Chemikern, die jegliche Wechselwirkung dessen, was sie tun, mit der Umwelt erst abstreiten und dann einen anderen Spezialisten damit beauftragen, den Schaden zu reparieren. Im Falle des Klimawandels heißt das zum Beispiel: Die Antwort ist eine Optimierung des Deichbaus.

2. Zurichtung statt Bildung

In Deutschland haben wir an den Universitäten in den letzten Jahrzehnten eine interessante Entwicklung zu verzeichnen. Die früher führenden Fakultäten, nämlich die Geisteswissenschaften, werden immer mehr an den Rand gedrängt. Der Mechanismus ist simpel und wurde nicht in Deutschland erfunden. Die einzelnen Fakultäten werben sog. Drittmittel ein, in der Regel von der Industrie, für die sie Forschung betreiben, und bekommen dann die gleiche Summe vom Staat hinzu. Das führt erstens dazu, dass die Bereiche, die am anwendungsbezogensten sind, das meiste Geld haben, andererseits dazu, dass Bereiche wie die Philosophie, auch die Psychologie oder Soziologie, die keine unmittelbare Nutzanwendung bieten, ausbluten. Letztere versuchen verzweifelt sich auf dem Markt zu behaupten, indem sie ihre Studiengänge möglichst anwendungsbezogen ausrichten: Umfragen, Marktforschung, Statistik usw.
Die EU hat für die von ihr favorisierte Art der Ausbildung den sog. Bologna-Prozess. Offiziell dient er dazu, die Ausbildungsgänge in der EU vergleichbar zu machen. In Wirklichkeit dient er dazu, ein Bildungssystem zu entwickeln, das abgestuft jedem nur noch das Basiswissen für den jeweiligen Job vermittelt — der Rest wird im jeweiligen Betrieb anwendungsbezogen vermittelt. Das Ganze nennt sich dann "lebenslanges Lernen".
Was hat das mit Umwelt und Klima zu tun? Sehr viel. Um dialektisch und damit ökologisch denken zu können, braucht man nicht in erster Linie Spezialwissen, auch wenn das nützlich und unverzichtbar ist, sondern zuvörderst Allgemeinwissen, geschichtliches und naturwissenschaftliches. Eine der hervorstechenden Eigenschaften der marxistischen Theorie ist, dass sie eine umfassende Theorie ist und dass sie den Generalisten im positiven Sinne braucht. Die kapitalistische Produktionsweise findet ihn nur störend — wer zu sehr über Zusammenhänge nachdenkt, hat zu viele Skrupel.
Das ist einer der Hauptgründe, warum die marxistische Herangehensweise dafür prädestiniert ist, ökologische Probleme zu bearbeiten: Sie arbeitet grundsätzlich mit den Wechselwirkungen und sie setzt den Menschen in die Relation zur Natur innerhalb derselben, nicht außerhalb. Engels schrieb: "Wir werden bei jedem Schritt, den wir tun, daran erinnert, dass wir nicht die Natur beherrschen, so wie ein Eroberer ein besetztes Land, wie jemand, der außerhalb ihrer steht, sondern dass wir uns vollkommen innerhalb ihrer befinden und dass all unsere Herrschaft darin besteht, dass wir — im Gegensatz zu anderen Lebewesen — in der Lage sind, die Gesetze der Natur zu erkennen und richtig anzuwenden."

3. Arm und Reich

Vor kurzem stand in einem großen deutschen Nachrichtenmagazin eine rührende Geschichte über eine Berufsgruppe in Haiti, einem der ärmsten Staaten der Welt. Es sind die Köhler, die ihr Geld damit verdienen, in den Bergen Holzkohle zu produzieren, um sie auf dem Markt zu verkaufen, denn Strom oder Gas kann sich die Masse der Bevölkerung nicht leisten. Der Verfasser des Artikels problematisierte diese Art der Energiegewinnung, denn Haiti ist bereits weitgehend abgeholzt, die Bodenerosion wird immer schlimmer, und die Auswirkungen auf das Klima wurden natürlich auch erwähnt.
Damit wären wir wieder bei der Weltklimakonferenz. Einer der wesentlichen Gründe, warum die Länder des Südens zum Teil eine Einigung blockieren, ist dass sie die folgende Tabelle kennen.

Verursacher der Erdklima-Erwärmung (Anteile am weltweiten energiebedingten CO2-Ausstoß in %)
   26   Nordamerika 
   16   Asien und Ozeanien (ohne China)
   15   Europäische OECD-Länder
   12   Europäische Nicht-OECD-Länder
   11   China
    9   Frühere Sowjetunion
    4   Mittlerer Osten
    4   Südamerika
    3   Afrika

Sie haben das Problem nicht hervorgerufen und da, wo sie mitverantwortlich sind, z.B. bei der Abholzung, sind es in Wirklichkeit die Länder und Konzerne des Nordens, die für eine sinnlose Flut von Hochglanzmagazinen ganze Regionen entwalden, wie in Mindanao, auf Borneo, im Amazonasgebiet oder jetzt wieder in Uruguay, wo ein skandinavischer Konzern die größte Papierfabrik der Welt baut. Sie haben diese Probleme nicht gemacht, aber: Sie werden die sein, die am ärgsten betroffen werden. Ihre Länder werden zur Wüste, wie in Afrika, werden geflutet, wie die Inseln im Pazifik, oder von El Niño betroffen, wie in Lateinamerika. Der Anstieg des Meeresspiegels biete ein eindeutiges Beispiel (siehe Grafik 2).
Deswegen ist auch die Ankündigung der Industrieländer, ihren Ausstoß von Treibhausgasen verringern zu wollen, schlichter Betrug. Es wird nämlich stillschweigend vorausgesetzt, dass die Menschen des Südens weiter auf dem Level des Energieverbrauchs sitzen bleiben, den sie derzeit haben — mit anderen Worten, es darf sich an der internationalen Verteilung des Reichtums nichts ändern. Bösartig formuliert könnte man sagen: Die Wissenschaft hat jetzt einen Grund gefunden, warum der Süden gar keinen höheren Lebensstandard haben darf.
Damit wären wir beim einzigen Ergebnis, das die Konferenz von Nairobi tatsächlich hervorgebracht hat. Es wurde ein Fonds von ein paar hundert Millionen Euro beschlossen, der den von der Klimakatastrophe am meisten betroffenen Ländern helfen soll, die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu mildern. Das heißt man hat bereits aufgegeben. Es geht nur noch darum, die Folgen etwas zu mildern, und das heißt auch, dass man die Menschen des Südens aufgegeben hat. Wer wird die Klimaflüchtlinge aus dem Pazifik, aus Afrika, aus Südamerika aufnehmen? Die Niederlande werden mit EU-Milliarden ihre Deiche erhöhen. Europa hat seine Mauer gegen die Flüchtlinge bereits gebaut.

4. Verschwendung

Im November präsentierte die Polizei im Fernsehen in der Hauptnachrichtensendung im Hamburger Hafen den bislang größten Fang an gefälschten Markenprodukten — Textilien und Schuhe im Wert von über 400 Millionen Euro, ganze Container voll. Stolz wurde gezeigt, wie der Inhalt geschreddert und auf einer Mülldeponie abgeladen wurde.
Man muss sich das vorstellen: Da sind Fabriken, in denen diese Güter produziert wurden, es wurde Strom, Brennstoff, Material eingesetzt, Menschen haben hart gearbeitet, die Waren wurden per Schiff von Asien um den halben Globus gefahren — nur um mit erneutem Energieeinsatz zum Müll geworfen zu werden.
Das Ereignis wurde im Fernsehen als großer Erfolg gefeiert, als Schlag gegen die internationale Mafia usw. Dass hier ein Verbrechen gegen die Umwelt begangen wurde, und zwar gleich doppelt, interessierte niemanden, es wurde nicht erwähnt. Aber das ist nur ein kleines Beispiel. Jeden Tag werden auf dem Globus Massen von Gütern vernichtet, weil sie nicht mehr "modern" sind, weil Preise hochgehalten werden "müssen", während gleichzeitig anderswo Menschen keinen Zugang zu ihnen bekommen.
Ein großer Teil der Produktion von Treibhausgasen geht schlicht auf diese Art von Verschwendung zurück, die nichts mit Heizung oder Beleuchtung zu tun hat, sondern mit einer Art von Produktion, in der alles Mögliche eingeplant wird — nur eines nicht, die eigentlich an die erste Stelle gehörende Frage, welche Auswirkung sie auf unsere Umwelt hat. Im soeben zitierten Beispiel könnte man es ganz simpel auf die Formel bringen: Der Marken- und Patentschutz ist umweltschädlich. Darüber hinaus illustriert dieser Vorgang etwas, was wir denen entgegenhalten, die sagen, wir müssten wieder zurück zu Öllämpchen und Pferdefuhrwerk: Immer noch bringt der Globus mehr hervor als notwendig ist, jedem Menschen auf der Erde ein würdiges und sicheres Leben zu bieten. Wir haben, auch das zeigen die Schuhe auf der Deponie in Hamburg, kein Produktionsproblem, wir haben ein Verteilungsproblem.

Die Antwort?

Im Gegensatz zum Marxismus für simple Gemüter, der in den stalinistischen Regimen praktiziert wurde, gingen Marx und seine Nachfolger davon aus, dass der Mensch eben nicht über oder außerhalb der Natur steht. Wie der schon zitierte Friedrich Engels sagte, ist der Mensch Teil der Natur und ohne sie nicht denkbar, deshalb ohne sie auch nicht überlebensfähig. Alle Versuche, die Natur durch Artefakte zu ersetzen, enden in immer größeren Desastern.
Im konkreten Fall der Klimakatastrophe lautet die entscheidende Frage deshalb nicht, wie man die Treibhausgase reduziert, sondern, wie man eine Produktions- und Lebensweise findet, die
Verschwendung vermeidet,
erst über die Folgen redet und dann Maßnahmen trifft,
die nationale und internationale Ungleichheit aufhebt und damit überhaupt die Voraussetzung für eine solidarische und kollektive Problembearbeitung schafft,
dafür die Menschen umfassend bildet und nicht lediglich zum Zweck, eine umgrenzte Funktion im Produktionsprozess zu übernehmen.
Eine solche Lebensweise bedeutet aber vor allem, dass eine allgemeine "Entschleunigung" eintreten muss. Wollen wir in Zukunft mit der Natur leben, deren Teil wir sind, dann müssen wir uns die Zeit nehmen, bei allem was wir tun erst nachzudenken, zu diskutieren, zu untersuchen, demokratisch zu entscheiden — und dann erst zu handeln.
Das ist ein Verfahren, das dem herrschenden System diametral zuwiderläuft. Es ist nicht die Liebe des Menschen zur Geschwindigkeit, die diese Welt immer schneller macht, sondern der Zwang zum immer schnelleren Umschlag des Kapitals. Dieser Zwang ist dem System inhärent. Das ist einer der Gründe, warum der Kapitalismus für eine integrative Lösung des Klimaproblems nicht geeignet ist. Kapitalismus ist etwas für dumme, kurzfristig denkende Menschen.
Ökosozialisten sind anders. Sie nehmen sich Zeit.
Keine Zeit haben wir allerdings, was die Klimaentwicklung betrifft. Dringend nötig ist der Aufbau einer internationalen Massenbewegung gegen die Klimapolitik der Industrieländer. Das wird in den nächsten Jahren eine der zentralen Aufgaben für alle von uns sein.

Thadeus Pato

Informationen und Meinungen sollten keine Waren sein. Und Geld ist ein Fetisch. Dennoch und ganz praktisch: Die Online-SoZ sieht nur umsonst aus. Wir brauchen Eure Euros.
Spendet steuerlich abzugsfähig!
VsP, Postbank Köln, BLZ 370100 50,
Kontonummer 603 95 04


zum Anfang