SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 04

Déjà-vu für Kalte Krieger

Klare Kante von Putin

von OTFRIED NASSAUER

Josef Joffe weiß, wie man Schlagzeilen macht. Wladimir Putins Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz erinnerte den Herausgeber der Zeit an den Kalten Krieg. Schon hatten er und viele jüngere Kollegen ihr Thema. Doch es gab auch eine andere Sicht der Kritik Putins an der unilateralen Politik Washingtons: "Das war nicht Kalter Krieg, das war klare Kante", bemerkte trocken der Grüne Winni Nachtwei. Beide haben Recht. Nachtwei, weil er den Charakter der Rede Putins traf, Joffe, weil er das Klima einer Debatte vorwegnahm, die alsbald begann.
Die USA planen, Teile des Raketenabwehrsystems, das Washington vor atomaren Langstreckenraketen schützen soll, in Europa aufzustellen. Sie sagen, es richte sich gegen die Bedrohung aus dem Iran. Tschechien will einen Radar beherbergen, Polen zehn Abfangraketen. Beide erhoffen sich größere Bedeutung für die USA und mehr Unterstützung.
Für George W. Bush ist die Raketenabwehr eine Herzensangelegenheit der ersten Stunde. Wie sein großes Vorbild im Kalten Krieg, Ronald Reagan, ist Bush überzeugt, dass solche Waffen für die Sicherheit der USA unabdingbar und technisch machbar sind. SDI, Star Wars reloaded. Ein weltweites Raketenabwehrsystem, das angreifende Raketen in jeder Phase des Fluges bekämpfen kann, steht bei George W. Bush für den amerikanischen Traum von der Unverwundbarkeit der USA.
In diesem Traum ist es irrelevant, ob der Iran oder Nordkorea tatsächlich bald Raketen bauen können, die die USA erreichen. Es ist auch unerheblich, ob das Abwehrsystem wirklich funktioniert. Es muss gebaut werden, damit der Traum weitergeht. Wichtig ist nur, dass die Schurken dieser Welt glauben, dass das System möglicherweise doch funktioniert. Dann lassen sie sich abschrecken.
Die inneren Widersprüche sind offensichtlich. Sind es nicht gerade die Schurkenstaaten, denen Washington die Rationalität abspricht? Ist es nicht gerade der Iran, dessen Raketen- und Nuklearpotenzial Vizepräsident Cheney regelmäßig mit der Bombardierung droht? Doch Träume müssen nicht logisch sein. Schwierig wird es dagegen, wenn Politiker mit träumerischer Logik reale militärische Potenziale begründen.
China und Russland haben zur Kenntnis genommen, dass ein Teil ihrer atomaren Langstreckenwaffen im Wirkungsbereich der US-Raketenabwehr liegen könnte. Beide sehen, dass dieses Vorhaben Auswirkungen auf ihre militärischen Optionen und auf die Stabilität haben könnte. Russlands Präsident Putin stieß sich in München an George W. Bushs Traum von der Unverwundbarkeit Amerikas, weil dieser Traum Teil des russischen Alptraums einer globalen unilateralen Vorherrschaft Washingtons ist. Putin bezweifelt, dass Washingtons Macht ausreicht, um eine globale Dominanz der USA durchzusetzen. Er befürchtet, dass schon der Versuch im Scheitern mehr Instabilität mit sich bringt. Sein Verteidigungsminister Iwanow meldete deshalb Kritik an den Plänen an und ließ erkennen, dass Moskau sich zu wehren wisse.
Dass auch russische Generäle die Logik des Kalten Krieges internalisiert haben, bewies dagegen der Chef der Strategischen Raketentruppen Moskaus wenig später. Er drohte, Russland könne den INF-Vertrag kündigen. Der verbietet Russen und Amerikanern Mittelstreckenraketen mit 500—5500 km Reichweite. Mit solchen Raketen könne Russland die Basen der USA in Polen und Tschechien bekämpfen, drohte der General. Ein brillanter Schachzug, um Washington zu erschrecken! Die Kündigung des Vertrags ist schon lange Wunsch vieler Hardliner in der Regierung Bush. Zudem: Man stelle sich vor, Russland und die USA entdecken konventionelle und atomare Mittelstreckenraketen wieder. Dann begänne eine große neue Diskussion über verkürzte Vorwarn- und Entscheidungszeiten, über Präemption und präventive Schläge und nicht zuletzt über An- und Abkopplung — das Lieblingsthema der Atlantiker im Kalten Krieg.
Halten wir noch einmal fest: George W. Bush will mit Milliardenaufwand eine Raketenabwehr gegen iranische Langstreckenraketen aufbauen, von denen er nicht weiß, ob und wann es sie geben wird. Zugleich droht er dem Iran, dessen Raketen- und Atomtechnik mit einem Militärschlag zu vernichten. Nur eine von beiden Optionen kann glaubwürdig sein. Auftritt Tony Blair: Der britische Knappe bittet den König, einen Teil des neuen Raketenschildes auch auf seiner Scholle aufzustellen. Es scheint, als fürchte er um seine Rolle bei Hofe. Unaufhaltsam droht das Ende der Aufklärung: Nicht die Erkenntnis zählt, sondern das Bekenntnis.
Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit (BITS)

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