SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 04

Wahr oder nichtwahr

von Thies Gleiss

In einigen Jahren, wenn die Partei "Die Linke" die zehnte Ausgabe ihrer "Kleiderordnung für Fraktionsangehörige" öffentlich vorstellt, wenn Klaus Ernst als Minister für Frauenfragen und anderes Gedöns in einer Presseerklärung feststellt, dass ein bisschen schwanger unter Umständen nicht zu vermeiden ist, dann wird ein rund gewordener Günter Jauch in einem Potsdamer Privatsender eine Billigquizsendung moderieren, die das uralte Spiel von "Wahr oder Nichtwahr" für das Nachmittagsprogramm aufgebrüht hat. Den Kandidaten werden zwei Geschichten aus dem Deutschland des Jahres 2007 erzählt und sie müssen raten, ob sie wahr oder nichtwahr sind. Zu gewinnen gibt es Aldi- Einkaufsgutscheine und dreimal freies Tanken aus der Zapfsäule des Vertrauens.
Die erste Geschichte handelt von der Kleinstadt Löbau in Sachsen. Dort gibt es 2007 fast so viele leer stehende Wohnungen wie Bezieher von Arbeitslosengeld II. Diesen armen Menschen wurde durch die sog. Hartz-Gesetze vorgeschrieben, dass sie nur eine bestimmte Wohnungsgröße bewohnen dürften, solange sie staatliche Stütze bekommen. Ist die Wohnung zu groß, müssen die ALG-II-Abhängigen leider ausziehen. Das würde der Gemeinde Löbau aber teuer zu stehen kommen, weil dann zu den vielen leer stehenden Wohnungen noch weitere hinzukommen und weil es zu wenig kleine Wohnungen für rausgeworfene Hartz-IV-Opfer gibt.
Deshalb ist die "Wohnungsverwaltung und Bau GmbH" in Löbau in Zusammenarbeit mit der ArGe, der Gemeinschaftsbehörde von Arbeits- und Sozialamt zur Kontrolle der ALG-II-Bezieher, auf die Idee gekommen, die betroffenen Wohnungsmieter könnten doch in ihren laut Gesetz "zu großen" Wohnungen bleiben, aber solange sie ALG II erhalten auf ein oder zwei Zimmer darin verzichten. Die Zimmer werden geräumt und dürfen von den Mietern nur noch zum gelegentlichen Lüften geöffnet werden. Dafür würde dann die Miete auf den staatlich festgelegten "Regelquadratmeterpreis" verringert, was aber immer noch mehr Einnahmen für die Stadt bedeutet, als wenn die Betroffenen ausziehen würden. Für stichprobenartige Kontrollen könnte die ArGe auch noch einige neue Beschäftigungsverhältnisse schaffen.
In Deutschland von 2007 legte man auf ein gepflegtes Deutsch Wert, deshalb wurde diese Problemlösung als eine tolle "Win-win- Lösung" gepriesen, das heißt es gibt keine Verlierer. Natürlich konnte der Kreistag von Löbau dieser Regelung nicht widerstehen und er beschloss die Sache so wie erzählt. Nach kurzer Zeit waren hundert ALG-II-Bezieher zu einer solchen Wohnungsverkleinerung auf Zeit bereit. Wahr oder nichtwahr?
Die zweite Geschichte spielt in Potsdam. Es ist Karnevalszeit und gleichzeitig hat die Tarifverhandlungsrunde in der Metallindustrie begonnen. Seit vielen Jahren haben die Beschäftigten in der Metallbranche nur noch lausige Gehaltserhöhungen erhalten, die angesichts der Inflation zu Reallohnverlusten führten. Die Metallunternehmer haben dafür allerbeste Geschäfte und so dicke Gewinne gemacht, dass sie vor Selbstbewusstsein fast platzen. Deshalb wollte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Tarifverhandlungen schon mal auf der Probebühne einüben. Es wurden 19 Journalisten in ein Mittelklassehotel in Potsdam eingeladen, damit sie unter Anleitung von erfahrenen Tarifexperten von Gesamtmetall einmal Tarifverhandlungen spielen können.
Eine Gruppe spielt Arbeitgeber, die andere Gewerkschaften, die Trainer werden vom Arbeitgeberverband gestellt. "Darf ich ihnen einen Tipp geben?", fragt der Coach die Arbeitgeberspieler. "Sie müssen der IG Metall immer das Gefühl liefern, dass sie den Abschluss hart erkämpft hat." Das bräuchte die, um vor ihrer Basis den nächsten lausigen Abschluss verkaufen zu können. Deshalb beginnen die Arbeitgeber mit einem "Angebot" von 1,7%, obwohl sie wissen, dass die Gewerkschaft 6,5% gefordert hat. Jetzt dürfen die Gewerkschaftsspieler richtig vom Leder ziehen, ob dieser ausbeuterischen Provokation der Unternehmer. Die Reaktion ist gewollt, die Arbeitergebertrainer sprechen von der "Sprockhövel- Phase". Das ist der Name einer bekannten IG-Metall-Bildungsstätte, die in besseren Tagen mal als echte gewerkschaftliche Kaderschmiede galt.
Nach dem Theaterdonner kommt die Vernebelung der Annäherung: die Arbeitgeber bieten plötzlich mehr Prozente, dazu eine Einmalzahlung und fordern als Beitrag zur "Kostenneutralität" eine längere Laufzeit. Nach ein paar Stunden, rechtzeitig vor Schließung der Hotelbar, sind die gespielten Tarifverhandlungen zu Ende. Das Ergebnis: sechs Monate keine Lohnerhöhung, ab August mit 13 Monaten Laufzeit 4% mehr und dazu eine mit dem Weihnachtsgeld verbundene und je nach betrieblicher Lage auszuzahlende Einmalzahlung.
Wahr oder nichtwahr?

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