SoZ - Sozialistische Zeitung |
In einigen Jahren, wenn die Partei "Die
Linke" die zehnte Ausgabe ihrer "Kleiderordnung für Fraktionsangehörige"
öffentlich vorstellt, wenn Klaus Ernst als Minister für Frauenfragen und anderes Gedöns in
einer Presseerklärung feststellt, dass ein bisschen schwanger unter Umständen nicht zu vermeiden
ist, dann wird ein rund gewordener Günter Jauch in einem Potsdamer Privatsender eine Billigquizsendung
moderieren, die das uralte Spiel von "Wahr oder Nichtwahr" für das Nachmittagsprogramm
aufgebrüht hat. Den Kandidaten werden zwei Geschichten aus dem Deutschland des Jahres 2007
erzählt und sie müssen raten, ob sie wahr oder nichtwahr sind. Zu gewinnen gibt es Aldi-
Einkaufsgutscheine und dreimal freies Tanken aus der Zapfsäule des Vertrauens.
Die erste Geschichte handelt von der
Kleinstadt Löbau in Sachsen. Dort gibt es 2007 fast so viele leer stehende Wohnungen wie Bezieher von
Arbeitslosengeld II. Diesen armen Menschen wurde durch die sog. Hartz-Gesetze vorgeschrieben, dass sie nur
eine bestimmte Wohnungsgröße bewohnen dürften, solange sie staatliche Stütze bekommen.
Ist die Wohnung zu groß, müssen die ALG-II-Abhängigen leider ausziehen. Das würde der
Gemeinde Löbau aber teuer zu stehen kommen, weil dann zu den vielen leer stehenden Wohnungen noch
weitere hinzukommen und weil es zu wenig kleine Wohnungen für rausgeworfene Hartz-IV-Opfer gibt.
Deshalb ist die "Wohnungsverwaltung
und Bau GmbH" in Löbau in Zusammenarbeit mit der ArGe, der Gemeinschaftsbehörde von Arbeits-
und Sozialamt zur Kontrolle der ALG-II-Bezieher, auf die Idee gekommen, die betroffenen Wohnungsmieter
könnten doch in ihren laut Gesetz "zu großen" Wohnungen bleiben, aber solange sie ALG
II erhalten auf ein oder zwei Zimmer darin verzichten. Die Zimmer werden geräumt und dürfen von
den Mietern nur noch zum gelegentlichen Lüften geöffnet werden. Dafür würde dann die
Miete auf den staatlich festgelegten "Regelquadratmeterpreis" verringert, was aber immer noch
mehr Einnahmen für die Stadt bedeutet, als wenn die Betroffenen ausziehen würden. Für
stichprobenartige Kontrollen könnte die ArGe auch noch einige neue
Beschäftigungsverhältnisse schaffen.
In Deutschland von 2007 legte man auf ein
gepflegtes Deutsch Wert, deshalb wurde diese Problemlösung als eine tolle "Win-win-
Lösung" gepriesen, das heißt es gibt keine Verlierer. Natürlich konnte der Kreistag von
Löbau dieser Regelung nicht widerstehen und er beschloss die Sache so wie erzählt. Nach kurzer
Zeit waren hundert ALG-II-Bezieher zu einer solchen Wohnungsverkleinerung auf Zeit bereit. Wahr oder
nichtwahr?
Die zweite Geschichte spielt in Potsdam. Es
ist Karnevalszeit und gleichzeitig hat die Tarifverhandlungsrunde in der Metallindustrie begonnen. Seit
vielen Jahren haben die Beschäftigten in der Metallbranche nur noch lausige Gehaltserhöhungen
erhalten, die angesichts der Inflation zu Reallohnverlusten führten. Die Metallunternehmer haben
dafür allerbeste Geschäfte und so dicke Gewinne gemacht, dass sie vor Selbstbewusstsein fast
platzen. Deshalb wollte der Arbeitgeberverband Gesamtmetall die Tarifverhandlungen schon mal auf der
Probebühne einüben. Es wurden 19 Journalisten in ein Mittelklassehotel in Potsdam eingeladen,
damit sie unter Anleitung von erfahrenen Tarifexperten von Gesamtmetall einmal Tarifverhandlungen spielen
können.
Eine Gruppe spielt Arbeitgeber, die andere
Gewerkschaften, die Trainer werden vom Arbeitgeberverband gestellt. "Darf ich ihnen einen Tipp
geben?", fragt der Coach die Arbeitgeberspieler. "Sie müssen der IG Metall immer das
Gefühl liefern, dass sie den Abschluss hart erkämpft hat." Das bräuchte die, um vor
ihrer Basis den nächsten lausigen Abschluss verkaufen zu können. Deshalb beginnen die Arbeitgeber
mit einem "Angebot" von 1,7%, obwohl sie wissen, dass die Gewerkschaft 6,5% gefordert hat. Jetzt
dürfen die Gewerkschaftsspieler richtig vom Leder ziehen, ob dieser ausbeuterischen Provokation der
Unternehmer. Die Reaktion ist gewollt, die Arbeitergebertrainer sprechen von der "Sprockhövel-
Phase". Das ist der Name einer bekannten IG-Metall-Bildungsstätte, die in besseren Tagen mal als
echte gewerkschaftliche Kaderschmiede galt.
Nach dem Theaterdonner kommt die
Vernebelung der Annäherung: die Arbeitgeber bieten plötzlich mehr Prozente, dazu eine
Einmalzahlung und fordern als Beitrag zur "Kostenneutralität" eine längere Laufzeit.
Nach ein paar Stunden, rechtzeitig vor Schließung der Hotelbar, sind die gespielten Tarifverhandlungen
zu Ende. Das Ergebnis: sechs Monate keine Lohnerhöhung, ab August mit 13 Monaten Laufzeit 4% mehr und
dazu eine mit dem Weihnachtsgeld verbundene und je nach betrieblicher Lage auszuzahlende Einmalzahlung.
Wahr oder nichtwahr?
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