SoZ - Sozialistische Zeitung

Zur SoZ-Homepage SoZ - Sozialistische Zeitung, März 2007, Seite 07

Sehenden Auges in die Katastrophe?

Der UN-Klimabericht und die ersten Reaktionen

Nun kann es wirklich jeder wissen: Der Klimawandel hat begonnen und er ist ohne jeden ernstzunehmenden Zweifel auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen.
Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Fragen des Klimawandels (IPCC — Intergovernmental Panel on Climate Change) hat am 2.Februar einen Bericht über Beobachtungen, Modellierung und Projektion des Klimawandels vorgelegt, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt: Die Treibhausgase, allen voran das durch die Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Öl, Erdgas) und durch Entwaldung freigesetzte Kohlendioxid (CO2), werden in den nächsten Jahrzehnten das Klima in für die menschliche Zivilisation äußerst gefährlicher Weise verändern.

Wir haben (nur) noch 15 Jahre Zeit!

Einzelheiten über die erwarteten Folgen werden Anfang Mai in einem weiteren Bericht veröffentlicht. Aber schon jetzt ist klar, dass die globalen Veränderungen nur dann im Rahmen gehalten werden können, wenn innerhalb der nächsten 15 Jahre massiv umgesteuert wird. Die Formel heißt: Energiesparen wo möglich, Effizienz der Geräte und Maschinen drastisch steigern sowie massiver Ausbau der erneuerbaren Energiequellen Wind, Fotovoltaik, Solarthermie, Geothermie und — mit großer Vorsicht zu genießen! — einige Formen nachwachsender Rohstoffe.
Ein großer Teil der Medienlandschaft vermittelte in den letzten Wochen der Öffentlichkeit einen Eindruck von der Dringlichkeit des Problems, das man seit fast zwei Jahrzehnten kennt und dennoch weitgehend verschlafen hat. Nur die herrschenden Eliten aus Politik und Wirtschaft demonstrieren einmal mehr, dass sie weder in der Lage noch willens sind, essenzielle Zukunftsfragen zu lösen.
Während die großen Parteien versuchen, das Publikum mit allerlei Theater auf Nebenkriegsschauplätzen wie der Kfz-Steuer bei Laune zu halten, tun Autoindustrie, Energiekonzerne und der Bund deutscher Industrieller (BDI) einfach so, als sei nichts gewesen. Natürlich will man auch weiter Spritschleudern verkaufen und verwahrt sich gegen niedrigere Abgasnormen, natürlich will man auch weiter Kohlekraftwerke mit einem maximalen Wirkungsgrad von 50% bauen — und selbst der gilt nur bei modernsten Anlagen, die meisten nutzen den Brennstoff noch schlechter aus. Und natürlich ist der Gewinn deutscher Konzerne allemal ein höheres Gut als das Leben und Glück von Milliarden Menschen. Nach uns die Sintflut.

Der Kraftwerkspark muss erneuert werden

Nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland werden die nächsten ein bis maximal zwei Dekaden entscheidend sein. Hierzulande müssen die Treibhausgasemissionen um 80—90% reduziert werden, bis sie ein Niveau erreichen, auf dem ihre Konzentration in der Atmosphäre stabilisiert werden kann.
Ein Sektor, auf dem wesentlich Einschnitte nötig sind, ist daher die Stromproduktion. Im Augenblick leistet sich dieses Land noch den unglaublichen Luxus, auf vielen Quadratkilometern im Rheinland und in der Lausitz die Landschaft umzupflügen, um einen Energieträger zu gewinnen, der nicht viel mehr Brennwert als Stroh besitzt: die Braunkohle. Von allen fossilen Brennstoffen ist sie derjenige mit dem höchsten spezifischen CO2- Ausstoß. Trotzdem hat RWE erst im August letzten Jahres mit dem Bau eines neuen Braunkohlekraftwerks in Neurath (NRW) begonnen. 2,2 Milliarden Euro sollen dort investiert werden. Zum Spatenstich reiste die Bundeskanzlerin an.
Das Beispiel Neurath ist symptomatisch. In den nächsten Jahren stehen in Deutschland (wie auch in vielen anderen Industriestaaten) Investitionen in Höhe vieler Dutzend Milliarden Euro in der Strombranche an. Viele der alten Kraftwerke sind in die Jahre gekommen und müssen ersetzt werden. Allein RWE hat ein Investitionsprogramm von bis zu 25 Milliarden Euro angekündigt. Bisher sind die Stromkonzerne wild entschlossen, einfach neue Braun- und Steinkohlekraftwerke — letztere befeuert mit Importkohle — zu bauen. Die würden weitere 30 bis 40 Jahre CO2 in die Luft pumpen und Kapital binden, das wesentlich besser in Energiesparmaßnahmen und Strom aus erneuerbaren Energien eingesetzt wäre.
Zwar geht inzwischen das Schlagwort von der "sauberen Kohle" um, aber die Technologie, mit der Kohlendioxid aus Kraftwerkabgasen im großem Maßstab abgetrennt und in der Erde dauerhaft gespeichert werden kann, wird nicht vor 2020 ausgereift sein — wenn sie denn überhaupt funktioniert. Dieses Datum heißt natürlich nicht, dass die Technik dann auch sofort flächendeckend eingesetzt werden kann. Die heute gebauten Kraftwerke werden auf jeden Fall kaum viel früher als 2030 nachgerüstet werden, wenn überhaupt.
Die Zukunft der Stromversorgung, die Verhinderung möglichst vieler neuer Kohlekraftwerke und der zügige Umbau der Verteilernetze, damit sie den Erfordernissen der dezentralen Energieversorgung mit Windanlagen, Fotovoltaik und Blockheizkraftwerken gerecht werden, wird daher in den nächsten Jahren hierzulande ein wesentliches Feld im Kampf um eine Klimapolitik sein, die Schlimmeres verhindert. Die Verteidigung der noch bestehenden öffentlichen Stadtwerke und eine Rekommunalisierung der bereits privatisierten Stadtwerke wäre eine wichtige Voraussetzung, um die zerstörerische Macht der Stromkonzerne einzudämmen.
Die Interessen der Klimaschützer treffen sich also an einem wichtigen Punkt mit denen der Beschäftigten, die Land auf, Land ab in den privatisierten oder von Privatisierung bedrohten Betrieben um ihre Arbeitsplätze bangen. Deshalb sollte man meinen, dass die Gewerkschaften sich nicht gegen Klimaschutz sperren. (Mal davon abgesehen, dass sich Wind und Sonne in den letzten Jahren zu einem enormen Export- und Jobmotor entwickelt haben.)
Von der IG BCE, dieser gelben Pseudogewerkschaft, die jederzeit bereit ist, für Atomkraft, Kohleverstromung, Tagebau, Chlorchemie und was sonst der industrielle Kapitalismus (und sein östlicher Halbbruder) an Monströsitäten hervorgebracht hat, auf die Straße zu gehen, sind derlei Einsichten vielleicht ein bisschen zu viel erwartet. Aber von Ver.di., Mitglied bei Attac, Partner der Globalisierungskritiker, Unterstützer nationaler und internationaler Sozialforen, sollte man doch annehmen, dass die Zusammenhänge nicht ganz unbekannt sind.
Bleibt zu hoffen, dass die Sache auf dem Ver.di-Gewerkschaftstag im Herbst ein Nachspiel haben wird. Denn besonders auf Ver.di kann für eine erfolgreiche Energiewende eigentlich nicht verzichtet werden.

Wolfgang Pomrehn

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