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Israels 30-Tage-Krieg gegen den Libanon hat im vergangenen Spätsommer
einmal mehr verdeutlicht, dass es politische Selbstverständnisfragen gibt, bei denen Deutschland keine
Parteien kennt, sondern, auch auf der Linken, nur die eigene Nation und ihre Befindlichkeit.Deutsche
Solidarität mit Israel kann es, fragt man sich spontan, ein Muss geben, das weniger
hinterfragbar wäre? Und ist der in solcher Frage aufscheinende Zweifel bereits ein Zeichen von
Antisemitismus? Beide Fragen stellt sich der deutsch-israelische Grenzgänger Moshe Zuckermann in
seinem jüngsten Buch Israel Deutschland Israel. Und er antwortet mit provozierenden
Gegenfragen und -thesen: Kann man denn so ohne weiteres "die" Juden mit dem Staat Israel oder der
israelischen Staatsideologie des Zionismus identifizieren? Ist es nicht an der Zeit, zu differenzieren und
zu fragen, ob es noch gilt, dass der Staat Israel die sichere Zufluchtstätte weltweit verfolgter Juden
sei? Die Antwort darauf, so Zuckermann, "muss strikt Nein lauten".
Doch die Probleme beginnen damit erst, auch
für den sich der radikalen israelischen Linken zurechnenden und nichtsdestotrotz überzeugten
Israeli. "Es ist arg genug, sich einer Israelkritik gegenübergestellt zu sehen, wenn sie von
latentem (oder auch manifestem) Antisemitismus herrührt; die Instrumentalisierung des tragischen
Konflikts im Nahen Osten zur ideologischen Verfestigung des antijüdischen Ressentiments stellt ein
großes Problem für sich dar. Nicht minder abstoßend nimmt sich freilich eine blinde, das
Leid der Palästinenser in den besetzten Gebieten resolut übersehende Solidarität mit Israel
aus, die besonders, wenn sie in Deutschland auftritt stets das Gefühl aufkommen
lässt, dass sie sich neuralgischem Suhlen in eigenen Befindlichkeiten, weniger genuiner Sorge um
Israel verdankt."
Treffend arbeitet Zuckermann in einem
kleinen Kapitel seines weit darüber hinausgehenden Buches heraus, dass und inwiefern Antisemiten und
Philosemiten ihren Projektionsdurst an derselben Quelle stillen, ohne den historischen und
gesellschaftlichen Problemen gerecht zu werden, um die es real geht. So verkommt Solidarität, wo
Menschen "ihr Problem mit den Juden an den Juden austragen", zur "selbstischen
Solidarität", zur "Eigenbefindlichkeit, die sich des Anderen bediente, um sich
selbst zu setzen".
Was dies im Falle der bundesdeutschen
Politik bedeutet, hat Bernhard Schmid in einem kleinen, aber feinen Essay dokumentiert. Der Krieg und die
Kritiker ist nicht die erste und wird wohl auch nicht die letzte Schrift des Autors zum Thema bleiben.
Jedenfalls darf man dies gleichermaßen hoffen wie erwarten, denn die ihr zugrunde liegenden Probleme
werden ebenso anhalten wie die Tatsache, dass sich "der größte Teil der im weiteren Sinne
links Politisierten nicht mehr (traut), überhaupt noch (aktiv) Position zu beziehen" (Schmid).
Am Beispiel der linken deutschen
Diskussionen um den israelischen Libanonkrieg zeigt Schmid auf, wie manche politischen Strömungen
(nicht nur, aber vor allem der Linken) die Realität im Nahen Osten als Projektionsfläche ihrer
eigenen Schuldabwehr benutzen. Sind die Einwohner und Entscheidungsträger Israels für den
Antisemiten "in erster Linie Juden, denen er von vornherein alles Üble und Niederträchtige
zutraut", sind sie für den Konservativen "die Bewohner eines relativ wohlhabenden und
zivilisierten Landes‚ inmitten einer Dritten Welt die er als mehr oder minder barbarische Umgebung
wahrnimmt". Nimmt der europäische und deutsche Philosemit sie "als Opfer einer
jahrhundertelangen Geschichte der Verfolgung, Diskriminierungen und Pogrome wahr", sieht der
Antikolonialist und Antiimperialist in der Staatsgründung Israels einzig die Wiederholung des
imperialistischen Kolonialismus.
Mit Verve kritisiert Schmid die
vielfältigen Argumentationsmuster der entsprechenden Meinungsführer und wendet sich gegen jede
Art der Instrumentalisierung der Geschichte. Die vor allem in den 70er Jahren weit verbreiteten Vergleiche
heutiger politischer Verbrechen mit dem historischen Holocaust seien in der Sache falsch und haben
"objektiv zur Wirkung, in Deutschland die historische Realität des Holocaust zu relativieren, ja
ihre Aufrechnung gegen aktuelle Verbrechen des Staats der Opfer möglich zu machen".
Im Zentrum seiner Zielscheibe stehen jedoch
jene "Antideutschen", die Anfang der 90er Jahre auf der politischen Linken begannen und
mittlerweile "zu den vielleicht affirmativsten Vertretern des liberal-konservativen Mainstreams im
Gesamtwesten geworden" sind. Treffend arbeitet Schmid deren historische Ursprünge im
gescheiterten Aufbruch der "Radikalen Linken" der Jahre 19881990 heraus ("Wir haben
dabei geholfen, ein Monster zu gebären", schreibt er selbstkritisch) und zieht einen Bogen zu den
linken Kämpfen der 70er und 80er Jahre.
Angesichts der Tatsache, dass diese
Zusammenhänge kaum diskutiert und zumeist bereits der kollektiven Verdrängung anheim gefallen
sind, hätte man sich hier gerne mehr gewünscht. Auch was die Realität im Nahen Osten selbst
angeht, gibt sich Schmid auf den letzten Seiten eher verhalten, betont jedoch das doppelte
Selbstbestimmungsrecht von Israelis wie Palästinensern und erinnert an Marxens Wort, dass ein Volk
nicht selbst frei sein kann, solange es ein anderes unterdrückt.
Vergleichbar Bernhard Schmid, der die
politische Geschichte der (west-)deutschen Linken aufklärt, um ihre gegenwärtigen Blockaden zu
lösen, thematisiert Moshe Zuckermann die Blockaden des deutsch-israelischen Verhältnisses und
klärt dabei über die gesellschaftliche und sozialpsychologische Verfasstheit beider Länder
auf.
Seine Reflexionen eines Heimatlosen sind
ein Stück politischer Aufklärung im besten Sinne des Wortes. An zentralen Momenten seiner
individuellen Lebensgeschichte verdeutlicht er auf bemerkenswert einfühlsame Weise kollektive
Geschichte, schreibt, wenn er über sein jüdisches Leben in Deutschland berichtet, auch über
das Leben anderer Juden in Deutschland, und schreibt, wenn er von seinem Leben in Israel berichtet,
über das Leben und die Blockaden der israelischen Gesellschaft. Israel Deutschland
Israel ist ein erhellendes und anregendes Buch über die mangelnde "Normalität" in
beiden Staaten, über Macht und Ohnmacht des Zionismus, über die Instrumentalisierung von
Geschichte und den Missbrauch des Antisemitismusbegriffs ebenso wie über die verdrängte Schuld
von Deutschen und Israelis. Zuckermann weiß, wer Opfer und wer Täter ist. Und er weiß,
welche Methoden Opfer entwickeln, um Tätern als gleiche zu begegnen. Ein gelegentlich ambivalentes
Buch über dauerhaft ambivalente Verhältnisse, getragen von der Sehnsucht nach einer Welt ohne
Leid, in der man unbeschadet anders, also man selbst sein darf.
Christoph Jünke
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